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In „Drei Frauen“ porträtiert Maksym Melnyk drei Bewohnerinnen eines abgelegenen ukrainischen Dorfes und wird dabei selbst zum Teil der Gemeinschaft. Ein größerer Erkenntnisgewinn jedoch bleibt aus.

Drei Frauen (2022)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Cinéma vérité light

Der Name des kleinen Dorfes Stuschyzja bedeutet übersetzt so viel wie kalter Ort, und tatsächlich begegnen sie dort Maksym Melnyk zunächst mit emotionaler Kälte: Als der Regisseur eine ältere Dame filmt, harrscht sie ihn mehrfach an, das doch zu unterlassen. Doch schon kurz darauf lässt sie sich auf erste Gespräche ein, das Eis ist zwar noch nicht gebrochen, aber taut langsam auf in diesem Film, der am Dreiländereck zwischen der Ukraine, Polen und der Slowakei nach Begegnung und Nähe sucht.

Melnyk ist zusammen mit seinem Kameramann Florian Baumgarten im Jahre 2019 über längere Zeit in dem ukrainischen Dorf zu Gast, das immer älter und leerer wird. Wo der Priester darum gebeten wird, das neu gekaufte Auto zu segnen, um es vor Pannen zu bewahren; wo die Straßen so löchrig sind wie die Zahnreihen des Trunkenbolds, der schon am Vormittag an der Wodkaflasche hängt; wo viele Errungenschaften der Moderne noch nicht angekommen zu sein scheinen.

Melnyk und Baumgartner fokussieren sich vor allem auf die titelgebenden drei Frauen. Da ist die alte Bäuerin Hannah, die Mann und Kinder verloren hat und sich um einen Hof mit ein paar Hühnern und einer Kuh kümmert. Da ist Maria, die in der örtlichen Poststelle arbeitet und um ihren Job fürchtet, weil die Filiale im Nachbarort bereits geschlossen hat und Briefmarken Mangelware sind, weshalb sie vorschlägt, doch einfach bereits benutzte von alten Briefen zu kratzen. Und da ist Nelya, eine Biologin, die im nahe gelegenen Nationalpark tätig ist, Fledermäuse untersucht, sich tierisch über den Fund von Bärenkot freut, deren alter Ford Fiesta auseinanderzufallen droht und die sich insgeheim wünscht, einmal als Forscherin in die Antarktis ausgesandt zu werden.

Anfangs mutet Drei Frauen noch wie eine klassisch beobachtende Doku an, in der der Regisseur nur vereinzelt Fragen stellt, doch zunehmend werden er und Kameramann Baumgartner Teil der Gemeinschaft. Melnyk nippt zusammen mit Maria am selbstgebrannten Schnaps und nimmt dabei auch mal einen Schluck zu viel. Er schenkt Hannah ein Schwein, das er einem vorbeikommenden Viehbauern abkauft, feiert mit ihr Weihnachten, während sich Baumgartner von der alten Frau die Haare schneiden lässt. So wie das Duo in der ersten Hälfte immer präsenter wird, zieht es sich gen Ende aus den Bildern zurück und besinnt sich schlussendlich wieder aufs Fragenstellen.

Im Grunde in der Tradition des Cinéma vérité stehend, ist Drei Frauen als formales Experiment durchaus interessant, während er ein Schlaglicht auf das Leben einer Dorfgemeinschaft wirft, die in längst vergangenen Zeiten festzuhängen scheint. Und doch fehlt es der Doku maßgeblich an Erkenntnisgewinnen, die durch das Intervenieren des Filmteams entstehen könnten, respektive sollten. Das höchste der Gefühle ist hier noch, dass die anfangs so abweisende Hannah die beiden Filmemacher am Ende damit würdigt, dass sie sie mittlerweile als ihre verstorbenen Söhne ansehe –  während sie ihnen Fleisch des inzwischen geschlachteten Schweines in Plastiktüten packt und in die Hände drückt. Zu den anderen beiden Frauen bleibt der Film hingegen genauso distanziert wie zu Beginn, gewährt ihnen auch deutlich weniger Screentime als der alten Bäuerin. So beschleicht einen das Gefühl, als hätte Melnyk zwischenzeitlich ein wenig das Interesse an ihnen verloren.

Drei Frauen belässt es beim reinen Kennenlernen der drei Protagonistinnen, ihrer Vergangenheit, ihres Lebens, ihrer Träume. Größere, systematische Beobachtungen und Erkenntnisse hingegen bleiben aus. Das mag Teilen der Zuschauerschaft genügen – der Film erhielt den Publikumspreis beim Dok Leipzig 2022 –, ist angesichts des vielversprechenden Sujets aber dennoch zu wenig.

Drei Frauen (2022)

In einem abgeschiedenen Dorf, dessen Name sinngemäß „kalter Ort“ bedeutet, sucht dieser Film nach Wärme in der Begegnung. Das ukrainische Stuschyzja liegt in den Karpaten im Dreiländereck zwischen Polen und der Slowakei. Wo 2019, im Jahr von Selenskyjs Wahlerfolg, kaum noch junge Menschen leben, sind die drei älteren Protagonistinnen – Landwirtin, Postbeamtin und Biologin – fest verwurzelt. Mit der Zeit wird auch das Filmteam, zumindest temporär, zu einem geschätzten Teil der Dorfgemeinschaft. (Quelle: Dok Leipzig)

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Meinungen

Ina Banzhaf · 22.05.2023

Hallo liebes Kinozeit-Team,
habe gestern den Film "Drei Frauen" gesehen, deshalb bin ich auf dieser Seite gelandet. Das Dorf Stuschyzja liegt allerdings nicht in der Ostukraine, wie es oben im Kurztext steht, sondern im Nordwesten der Ukraine, im Dreiländereck Slowakei-Polen-Ukraine.
Herzliche Grüße
Ina Banzhaf