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Ryūsuke Hamaguchi zeigt in „Evil Does Not Exist“ die (Dis-)Harmonie zwischen Mensch und Natur vor dem Hintergrund des Eindringens kapitalistischer Interessen.

Evil Does Not Exist (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Natur und wir

Erhabene Naturaufnahmen und klassische Orchestermusik als Untermalung – damit lässt der japanische Filmemacher Ryūsuke Hamaguchi (Jahrgang 1978) sein neues Werk „Evil Does Not Exist“ beginnen. Die Klänge stammen von der Komponistin Eiko Ishibashi, die auch schon die Musik zu seinem Oscar-Sieger „Drive My Car“ (2021) schuf. Als Bildgestalter ist Yoshio Kitagawa tätig, mit dem der Regisseur bereits das mehr als fünfstündige Drama „Happy Hour“ (2015) drehte, das Hamaguchi den internationalen Durchbruch bescherte.

Die Laufzeit von Evil Does Not Exist ist mit rund 105 Minuten deutlich kürzer – dennoch wird auch hier sehr viel Wert auf eine ruhige Beobachtung gelegt. Nach einer langsamen Kamerafahrt durch den Wald, bei der die Baumwipfel und der klare Himmel gezeigt werden, sehen wir die achtjährige Hana (Ryô Nishikawa), die mit Strickmütze, Schal, Handschuhen und dicker Winterjacke durch den halb geschmolzenen Schnee spaziert.

Die Stille wird jäh von den Lauten einer Kettensäge durchdrungen. Takumi (Hitoshi Omika), Hanas verwitweter Vater, beschafft Feuerholz für das 6000-Seelen-Dorf Mizubiki im Umkreis von Tokio. Wir schauen ihm zu, wie er Holz hackt, es mit einer Schubkarre befördert und in der Nähe einer Hütte sorgfältig stapelt. Später schöpft er Wasser aus einem Fluss, um es in Kanister abzufüllen und zu seinem Wagen zu transportieren. Dabei erhält er Hilfe von einem Dorfbewohner, der im Ort ein Restaurant führt. Die beiden Männer sind höflich zueinander, reden indes nur über das Nötigste. Die Entdeckung von wildem Wasabi sorgt bei ihnen für große Freude.

An äußerer Handlung findet in diesem Auftakt gewiss relativ wenig statt. Allerdings erzählt Hamaguchi hier zugleich schon einiges – etwa über den Einklang der (Dorf-)Menschen mit der Natur und über die (durchaus harten) menschlichen Eingriffe, die gleichwohl vonnöten scheinen, um den Bewohner:innen von Mizubiki ein Dasein im Ländlichen zu ermöglichen. Der Wasabi kann zur Verfeinerung von Gerichten (mit denen in der Gaststätte Geld verdient wird) eingesetzt werden; das Wasser ist für alle in der Gegend im Alltag unerlässlich.

Ein klassischer Konflikt taucht schließlich mit dem Vorhaben eines Unternehmens auf, im Umfeld ein Areal für „Glamping“-Unterkünfte zu errichten. „Glamorous Camping“ soll gestressten Städter:innen die ultimative beziehungsweise die denkbar komfortabelste Naturerfahrung bieten. Im Rahmen einer Präsentation stellen die Agenturmitarbeiter:innen Takahashi (Ryūji Kosaka) und Mayuzumi (Ayaka Shibutani) den skeptischen Gemeindemitgliedern das Konzept vor. Fragen kann das Duo jedoch nur ziemlich unzureichend beantworten; die Verantwortlichen sind selbstverständlich nicht da, um sich den massiv von diesem Projekt betroffenen Leuten zu stellen.

Auf welcher Seite Hamaguchi steht, ist natürlich offensichtlich. Wie Takahashi und Mayuzumi auf jegliche Einwände mit leeren Floskeln reagieren, offenbart rasch deren Lächerlichkeit. Auch wenn Evil Does Not Exist den beiden daraufhin nach Tokio ins Büro folgt, wo sie in einer Videokonferenz mit ihrem reichlich skrupellosen Vorgesetzten diskutieren, darf die Aussage, die im Titel getroffen wird, sehr wohl infrage gestellt werden. Der Kapitalismus zerstört die Natur – und auch auf 6000 Menschen und deren Bedürfnisse kann kaum Rücksicht genommen werden, wenn es ums Geschäft geht.

Doch Hamaguchi verweigert sich einer allzu schlichten Schwarz-Weiß-Malerei. So begleiten wir Takahashi und Mayuzumi bei einer langen Autofahrt zurück nach Mizubiki und hören deren Gespräch über private und berufliche Ziele, über Dating-Erlebnisse und Ängste. In der Natur stellen sich die beiden eher ungeschickt an; reine Karikaturen sind sie aber nicht.

Der Film demonstriert Hamaguchis Gespür für Atmosphäre und Zwischenmenschliches, wenn Vater und Tochter beim gemeinsamen Gang durch den Wald gezeigt werden. Er setzt Farbe, etwa das Blau einer Jacke, gekonnt ein, um eindrückliche Kinobilder zu präsentieren. Und er steuert ganz zwangsläufig auf ein wuchtiges Ende zu, das zweifellos in Erinnerung bleiben wird.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián.

Evil Does Not Exist (2023)

Takumi und seine Tochter Hana leben im Dorf Mizubiki in der Nähe von Tokio. Wie Generationen vor ihnen führen sie ein bescheidenes Leben im Einklang mit den Jahreszyklen und der Ordnung der Natur. Eines Tages werden die Dorfbewohner auf den Plan aufmerksam, der vorsieht, in der Nähe von Takumis Haus einen Luxus-Campingplatz zu errichten, der den Stadtbewohner:innen einen komfortablen „Zufluchtsort“ mitten im Grünen bietet. Als zwei Vertreter der Firma aus Tokio, die das Projekt umsetzen will, zu einem Treffen im Dorf ankommen, wird klar, dass ihre Pläne negative Auswirkungen auf die örtliche Wasserversorgung haben und für Unruhe im Dorf sorgen werden. Die widersprüchlichen Absichten der Firma sind sowohl eine Bedrohung für das ökologische Gleichgewicht der einzigartigen Naturlandschaft rund um Mizubiki, als auch für die Lebensweise der Bewohner:innen – mit Folgen, die sich tiefgreifend auf Takumis Leben auswirken.

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