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Mit „The Boy and the Heron“ liefert der japanische Altmeister Hayao Miyazaki ein weiteres (und mutmaßlich sein letztes) beeindruckendes Animationsabenteuer.

Der Junge und der Reiher (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Leise Wehmut

Der 1941 in Tokio geborene Hayao Miyazaki hat mit dem berühmten Studio Ghibli zahlreiche wunderschöne Animes geschaffen, etwa „Das Schloss im Himmel“ (1986), „Prinzessin Mononoke“ (1997) und „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001). Sein neuer Film „The Boy and the Heron“ soll nun angeblich sein letzter sein. Falls sich dies bewahrheiten sollte, lässt sich zweifellos festhalten: Miyazaki sagt uns mit diesem Abenteuer auf gewohnt poetische Art und Weise Adieu – und vereint noch einmal alles, was sein Œuvre seit jeher so einnehmend macht.

Die autobiografisch gefärbte Geschichte um den 12-jährigen Mahito beginnt als historische Coming-of-Age-Story, ehe sie sich mehr und mehr zu einem Fantasy-Märchen entwickelt. Wir befinden uns anfangs im Jahre 1943 inmitten des japanischen Pazifikkrieges. Tokio brennt nach einem Luftangriff – und Mahitos Mutter Hisako kommt dabei ums Leben. Sein Vater Shoichi, Leiter einer Munitionsfabrik, heiratet daraufhin Hisakos jüngere Schwester Natsuko, die bald ein Kind erwartet. Die neu formierte Familie zieht aufs Land, wo sich Mahito nur äußerst schwer einzugewöhnen vermag.

Sehr feinsinnig zeigt Miyazaki, wie sich der adoleszente Protagonist vor den Erwachsenen stets gefasst gibt und den Schein der Höflichkeit wahrt, während er sich, sobald er allein ist, betrübt und erschöpft ins Bett fallen lässt. Der Schmerz und die zunächst unterdrückte Wut werden auf subtilem Wege deutlich, bis sich all die Trauer und all der Zorn in einem Streit mit einem Gleichaltrigen und in einem autoaggressiven Akt entladen. Das Surreale kündigt sich derweil bereits in Mahitos Albträumen an; der titelgebende Graureiher befördert den Film schließlich gänzlich ins Unwirkliche.

Das (vermeintliche) Tier, dem Mahito zu einem verlassenen Turm tief im Wald folgt, scheint als Projektionsfläche seiner (Verlust-)Ängste zu dienen; mit Pfeil und Bogen versucht der Junge, die Gefahr, die von dem eigentümlichen Graureiher ausgeht, zu bekämpfen. Als zudem noch Mahitos Tante/Stiefmutter Natsuko verschwindet, nimmt eine wilde Odyssee ihren Lauf, die von Miyazaki mit vielen visuellen Ideen sowie mit Tempo und Spannung umgesetzt wird.

Kröten-, Fisch- und Vogelschwärme erweisen sich dabei ebenso als Bedrohung wie umherwirbelnde Papierschnipsel. Es tun sich immer wieder neue Welten hinter Türen oder Vorhängen auf; unter anderem versinken die Figuren auch mal im Boden, um abermals in einer weiteren magischen Sphäre zu landen. Wenn an einer Stelle eine Person wie schmelzendes Speiseeis zerfließt, lässt dies an die Kunst des Spaniers Salvador Dalí denken.

Nach Wie der Wind sich hebt (2013) ist auch The Boy and the Heron ein Film mit sehr erwachsenen Sujets. Dennoch bleibt, wie bei Miyazaki üblich, Raum für skurrile Gestalten – allen voran der wenig niedlich daherkommende Graureiher, dessen Rolle (und Identität) sich im Filmverlauf entscheidend wandelt. Während in der Realität etwa die schrulligen alten Damen, die als Bedienstete für Mahitos Familie tätig sind, eine Comic-Relief-Funktion übernehmen, sorgen in der Traumwelt kleine weiße Bällchen mit winzigen Ärmchen, Beinchen und Gesichtern, die sich im Mondlicht aufplustern und fröhlich winkend davonschweben, für humorvolle Momente.

Der stimmige Mix aus kindlich-märchenhaftem Witz, starken Bildern und einer empathisch erzählten Heldenreise macht dieses (Abschluss-)Werk zu einer kraftvollen und auch persönlichen Ode an die Herausforderungen des Aufwachsens. Wir werden Miyazakis künstlerische Vision in Zukunft gewiss vermissen.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián.

Der Junge und der Reiher (2023)

Im Mittelpunkt des Films steht der reale Roman „How Do You Live?“, der im Leben des Protagonisten eine wichtige Rolle spielt. Er folgt einem 15-jährigen Jungen namens Junichi Honda, Spitzname Koperu, und seinem Onkel, der sich mit spirituellem Wachstum, Armut und der allgemeinen Erfahrung als Mensch auseinandersetzt.

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Meinungen

Hans im Glck · 23.01.2024

Inhaltlich ist es sehr schwer zu verstehen, was Hayao Miyazaki einem sagen möchte.
Die Bilder sind allerdings wunderbar, weshalb man den Film dennoch gerne schaut.