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Der neue Film des „Your Name.“-Regisseurs Makoto Shinkai verbindet erneut Coming of Age mit übernatürlicher Mystik und einer herausragenden Optik – und setzt sich mit der Erinnerung an jüngste Katastrophen auseinander.

Suzume (2022)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Wider das Vergessen

Als im März 2011 ein Tsunami die Ostküste Japans traf, das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi schwer beschädigte und es infolgedessen zur Kernschmelze kam, setzte sowohl im In- als auch Ausland ein massives Umdenken in Sachen Atomenergie ein. Die deutsche Bundesregierung etwa beschloss schon kurz darauf den Ausstieg, und auch im Land der Katastrophe selbst sank der Anteil der Atomenergiebefürworter*innen erheblich. Zwölf Jahre später scheint all das fast vergessen: Hierzulande ist die Diskussion um die Rückkehr zur Kernkraft im Zuge der Klimaschutzdebatte und Energiekrise wieder entflammt, und in Japan werden stillgelegte AKWs erneut ans Netz geholt. Die Narben der Menschen aber, die damals direkt von der Katastrophe in Fukushima betroffen waren, sind geblieben. Ihnen sowie vielen anderen Opfern von menschengemachten und natürlichen Katastrophen widmet sich Makoto Shinkai in „Suzume“.

Der neue Film des Regisseurs, der spätestens mit dem romantischen Coming-of-Age-Körpertausch-Dramedy Your Name. (2017) die Herzen von Anime-Fans weltweit eroberte, spricht die Worte „Fukushima“ und „Atomkraftwerk“ zwar nicht explizit aus, die inhaltlichen, räumlichen und zeitlichen Bezüge sind jedoch eindeutig. Die damals vierjährige Suzume verlor durch die Katastrophe ihre Mutter, wuchs danach bei ihrer Tante in einer Kleinstadt im Südwesten Japans auf, ist inzwischen 16 und wird nun wieder in ihre alte Heimat zurückkehren, um sich ihrem Trauma zu stellen.

Der Roadtrip quer durchs Land beginnt mit der Begegnung mit Souta. Der junge Mann aus Tokio, so stellt sich bald heraus, ist ein „Closer“: Er wandert durchs Land und verschließt Türen an ehemals belebten, nach Tragödien jedoch verlassenen Orten (Neudeutsch: „Lost Places“), die als Portal in eine Paralleldimension fungieren. Dort lauert eine uralte dämonische Gefahr, die, wenn nicht rechtzeitig eingedämmt, nach außen dringt, die Erde zum Beben bringt oder Schlimmeres verursacht. Diese Austritte häufen sich – und so ziehen Suzume und Souta durch das Land, um der Ursache auf den Grund zu gehen.

Regisseur Shinkai setzt mit Suzume die inhaltliche Erfolgsformel von Your Name. und Weathering with You (2019) grundlegend fort: Eine Coming-of-Age-Geschichte mit tragischen, humoristischen und (diesmal dezenteren) romantischen Anteilen wird zum Nährboden für eine Auseinandersetzung mit schwerwiegenden nationalen Tragödien, angereichert mit einer ordentlichen Prise Mythologie und Übernatürlichkeit, die angenehm untererklärt bleiben. Das schafft einerseits Raum für Ambivalenz (nicht alle Wesen, die hier scheinbar boshafte Absichten hegen, entpuppen sich am Ende auch als solche), andererseits für die ein oder andere Überraschung, mit mal komischem, mal tragischem, mal epochalem Resultat.

Gerade Letzteres nimmt in Suzume noch ein wenig mehr Platz ein als in Shinkais letzten Filmen. Immer wieder zieht der Film große Panoramen auf, in denen die (für Shinkai-Werke inzwischen obligatorische) atemberaubende Optik mit ihrer Mischung aus extrem detaillierten Kulissen, butterweich animierten Figuren und computergenerierten Elementen ihre volle Stärke ausspielen kann. Auch der Soundtrack spielt dann groß auf, beherrscht zwischendurch aber auch die leisen, wohligen Klänge und verstärkt damit den atmosphärischen Kontrast zwischen jenen epochalen Momenten und den ruhigen, zutiefst menschelnden Sequenzen, in denen Suzume und Souta die Gastfreundschaft ihrer Reisebegegnungen zuteilwird.

Der inhaltliche Kern von Suzume – die sozialen Folgen von Tragödien, Katastrophen und gesellschaftlichem Wandel – hätte derweil noch ein wenig mehr Raum bekommen können. Der Film setzt zwar ein Statement gegen das Vergessen solcher Ereignisse, vergisst dies aber manchmal selbst. Und insbesondere der Konflikt zwischen Suzume und ihrer Tante, der mitverantwortlich dafür ist, dass die Schülerin ihre neue Heimat verlässt, kann sich nicht ausreichend entfalten, weil Suzumes Vormund viel zu lange eine Randfigur bleibt. Shinkai mag dadurch zwar nicht an die Qualität von Your Name. anknüpfen, versöhnt jedoch für die fragwürdige Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel in Weathering with You und legt erneut einen erzählerisch guten, vor allem aber visuell herausragenden Film vor.

Suzume (2022)

Die Geschichte von „Suzume no Tojimari“ beginnt, als die 17-jährige Suzume, die in einer ruhigen Stadt in Kyushu lebt, auf einen jungen Mann auf Reisen trifft, der auf der Suche nach einer „Tür“ ist. Suzume folgt dem Fremden und entdeckt in den Ruinen in den Bergen eine alte Tür. Ohne groß über die Konsequenzen nachzudenken, öffnet Suzume die Tür, woraufhin in ganz Japan weitere Türen erscheinen, die Unglück und Katastrophen mit sich bringen. Damit das Land nicht den Katastrophen zum Opfer fällt, muss Suzume die Türen für immer schließen.

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