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Die Dokumentarfilmerin Grit Lemke zog als Kind aus der ländlichen Lausitz in die Stadt. Hätte man sie früher gefragt, ob sie Sorben kenne, hätte sie verneint, wie sie erzählt. Sie geht der Frage nach, wie sich sorbische Identität nach langer sozialer Unterdrückung wiederbeleben lässt.

Bei uns heisst sie Hanka (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die sorbischen Wurzeln der Lausitz

Viele Menschen, mit denen die Dokumentarfilmerin Grit Lemke in der Lausitz spricht, haben erst als Erwachsene von ihrer sorbischen Abstammung erfahren. Ein junges Paar, das in Tracht an einem Umzug teilnimmt, bezeichnet sich als sorbisch, obwohl es die Sprache nicht kennt. Die im Titel genannte Frau wächst als Anna-Rosina auf und wird die Sprache der eigenen Vorfahren erst lernen, nachdem sie in eine traditionsbewusste sorbische Familie einheiratet. Die rauschende Hochzeit, die sie und ihr Bräutigam Ignac unter Teilnahme des ganzen Ortes feiern, ist ein Bekenntnis zur slawisch-katholischen Kultur der Sorben oder Wenden, die in weiten Teilen der Lausitz bis ins 20. Jahrhundert die Mehrheit der Bevölkerung bildeten. Das Fest dient dem Dokumentarfilm, in dem sich die Regisseurin als Off-Erzählerin auch ihren eigenen, lange vergessenen sorbischen Wurzeln nähert, als dramaturgische Klammer.

Nach jahrhundertelanger Entrechtung sind die Sorben heute in Deutschland als ethnische Minderheit anerkannt. Der Dichter Jurij Koch sagt im Film: „Dass wir uns fast 1600 Jahre gehalten haben, ist ein Wunder.“ Die Sorben lebten schon lange vor der Ankunft deutscher Siedler in der Lausitz. Aber bald fingen die Deutschen an, sie zu ächten, verboten ihnen die Sprache. Die Nationalsozialisten dachten sogar daran, sie umzusiedeln. Im Film erzählen alte Leute, wie die eigenen Eltern von der sorbischen Sprache abrückten und sich zum Deutschtum bekannten. In der Familie eines Mannes galt es als wichtig, in den DDR-Ausweis als Nationalität „Deutsch“ eintragen zu lassen. Die in Spremberg in der Niederlausitz geborene Filmemacherin setzt sich hier mit Fragen zu einer ethnisch-kulturellen Identität, die größtenteils verschwunden schien und individuell wiederentdeckt werden muss, auseinander.  

Ihre Gesprächspartner*innen, alte und junge Menschen vom Dorf und aus der Stadt, schildern ihre persönlichen Wege, sich ihrer sorbischen Kultur anzunähern und auf sie stolz zu sein. Da gibt es die jungen Bauern, die ganz selbstverständlich Sorbisch sprechen. Oder die Frau, die sich immer wunderte, warum die Orts- und Straßenschilder in Städten wie Bautzen und Cottbus zweisprachig sind, obwohl sie dort kein sorbisches Leben wahrnehmen konnte. Der junge Fußballfan Měto hängt beim Spiel von Energie Cottbus selbstbewusst ein Transparent im Stadion mit dem niedersorbischen Namen von Cottbus – Chóśebuz – auf. Als Jugendlicher, erzählt er, habe er sich als Deutscher gesehen und sich am rechten Rand der Gesellschaft bewegt, nun sei er linksorientiert. Die junge Malerin Hella Stoletzki ist als Sorbin aus der Stadt nicht darauf erpicht, die alten Trachten zu tragen. Sie befasst sich künstlerisch unter anderem mit dem Verschwinden sorbischer Dörfer im Kohletagebau. Die Filmmusik spiegelt das inhaltliche Motiv der Identitätssuche, indem sie alte sorbische Volkslieder neu arrangiert und interpretiert. 

Das Trachtenbrauchtum aber, das auf Festen wie Hankas Hochzeit gelebt werden kann, ist nun einmal ein wichtiger Pfeiler der Kultur. Das Brautpaar und seine Gäste tanzen sorbische Tänze. Ein neues Selbstbewusstsein äußert sich in Teilen der Volksgruppe auch im Wunsch nach angemessener politischer Vertretung, beispielsweise in Form eines Parlaments. Auf einer politischen Versammlung werden Ideen und Ziele kontrovers diskutiert, die manche der Anwesenden als komplett unrealistisch kritisieren, etwa der Anspruch auf ein eigenes Territorium.

Grit Lemke nähert sich allen im Film angeschnittenen Aspekten behutsam und tastend an, hört den Leuten zu. Sie reflektiert ihre eigenen Erinnerungen an die Oma, die lieber deutsch als sorbisch sein wollte. Lemke bemüht sich, die Folgen langjähriger sozialer Herabsetzung und Unterdrückung an vielen Beispielen aufzuzeigen, ohne dass der seelische Schmerz der Erzählenden die Oberhand gewinnt. Aber die Trauer schimmert, besonders in den Erinnerungen der Alten, immer wieder durch. Mit ihr verbunden ist jedoch bei Alt und Jung oft die Verblüffung, wie viel Reichtum es zu entdecken und zu teilen gibt im Familien- oder Bekanntenkreis, wie sich diffuse blinde Flecken im Gespräch mit Farbe und Sinn füllen.  

Bei uns heisst sie Hanka (2023)

Heimat: Lausitz. Als erster Kinofilm über, von und mit Sorben begibt sich „Bei uns heißt sie Hanka“ auf einen Streifzug durch den östlichsten Rand Deutschlands. Jahrhundertelang entrechtet und schließlich als ethnische Minderheit offiziell anerkannt, suchen viele Sorbinnen und Sorben heute nach der eigenen und kollektiven Identität. Eingebettet in die malerische Natur der Lausitz begleitet der Dokumentarfilm sorbische Existenzen im Hier und Jetzt. Von der progressiven Künstlerin über traditionsbewusste Jungbauern bis zum intellektuellen Dichter könnten die Lebensentwürfe der sorbischen Gemeinschaft unterschiedlicher nicht sein. Vereint sind sie dennoch – in Sprache, Kultur und dem Ringen um das Wiedererwachen der sorbischen Idee.

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Meinungen

Michael Bildstein · 19.04.2024

Der Film ist großartig. Bin dafür extra aus dem Schwäbischen nach Leipzig gefahren. Ich werde ihn sicher nochmals anschauen. Auch die Filmmusik ist großartig und außergewöhnlich. Film je překrasny.