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Mit diesem wuchtigen Drama erinnert der Regisseur Hlynur Pálmason an die koloniale Vergangenheit Islands. Ein dänischer Priester soll im 19. Jahrhundert auf der Insel eine Kirche erbauen und leiten. Die Härte des Klimas, der Menschen und der eigenen Prinzipien bringen ihn an den Rand des Abgrunds.

Godland (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein Missionar im wilden Island

Der junge dänische Priester Lucas (Elliott Crosset Hove) zieht mit einem berittenen Treck durch Island, ein Holzkreuz, Bücher, die umfangreiche Fotografieausrüstung im Gepäck. Sein Ziel liegt am anderen Ende der Insel, wo er eine christliche Kirche errichten soll. Jetzt, am Ende des 19. Jahrhunderts, gleicht seine Reise einer Expedition durch unwirtliches, fremdes Gebiet. Der Bischof in Dänemark hatte ihn vorgewarnt, dass in Island alles anders sei, das Klima, die Menschen, die Landschaft. Lucas will es sich gewiss nicht leichtmachen. Indem er das Land durchquerte und fotografierte, wird er später sagen, habe er Natur und Menschen kennenlernen wollen. Doch schon auf den ersten Metern verhärten sich die Fronten, zwischen dem prinzipienfesten Lutheraner und dieser wilden Region, in der sich manche Einheimische der dänischen Sprache der kolonialen Besatzer verweigern.

In diesem wuchtigen Drama des isländischen Regisseurs Hlynur Pálmason (Weißer weißer Tag) kündigt sich der tragische Verlauf der Dinge schon früh an. Lucas’ dänischer Begleiter (Hilmar Guðjónsson), der für ihn dolmetscht und ihm Isländisch beibringen will, sieht sehr besorgt aus auf dem Foto, das Lucas vor einer Schluchtenlandschaft mit bemoosten Felsen von ihm schießt. Auf der Reise herrscht schlechte Stimmung. Obwohl Sommer ist, kann der häufige Regen schon mal Schneeflocken mit sich führen. Wenn Lucas in seinem Zelt erwacht und nach draußen blickt, sieht er den bärtigen Ragnar (Ingvar Sigurðsson) bei seiner Morgengymnastik im Freien. Der alte Einheimische leitet nicht nur den Treck, er soll auch die Holzkirche am Zielort bauen. Ragnar und Lucas liefern sich eine erbitterte private Fehde darüber, wer hier das Sagen hat. Wer das ist, bestimmt die Sprache – Ragnar spricht Isländisch, und Lucas antwortet ihm stur auf Dänisch, dass er ihn nicht verstehe. 

Mit seinem grimmigen Gesicht, das sein Selbstverständnis eines Kriegers spiegelt, scheint Ragnar direkt aus der nordischen Mythologie entsprungen. Wenn er am Lagerfeuer die Geschichte eines Mannes mit bösen Albträumen erzählt, wird es unheimlich, als lauerten hier draußen überall Kräfte, die den menschlichen Geist kapern und durcheinanderbringen könnten. Und Lucas beginnt dann bald auch schon Fotografien zu sehen, die er nie geschossen hat. Die Strapazen lassen seine Wahrnehmung und Fantasie verschwimmen. Das erinnert das Kinopublikum an The Northman, auch weil es sich hier um eine Männerwelt handelt, in der die Posen der Härte auf das schwelende, nie ganz erloschene Erbe der Wikingerzeit verweisen. 

Lucas und Ragnar gleichen sich in vielen Dingen, und wenn der schmächtige Priester mit dem Handwerker später einmal einen traditionellen Ringkampf vor Publikum vollführen muss, wird es keiner von ihnen schaffen, den anderen zu Boden zu werfen. Die Unerbittlichkeit, mit der sich Lucas und Ragnar mental ineinander verkeilen, erinnert an die beiden Männer in Robert Eggers’ Der Leuchtturm. Als Lucas am Zielort ankommt, ist er bereits schwer angeschlagen. Nicht alle haben die Reise überlebt, was auch eigenes Versagen bedeutet. Seine Miene ist die eines gekränkten Mannes, der sich tief in sich selbst einkapselt. Dabei scheinen sich die Dinge für ihn zum Besseren zu wenden, denn die Kirche wird neben dem Haus des Dänen Carl (Jacob Lohmann) gebaut, vor dem Ragnar Respekt hat. Wie beiläufig putzt Carl den Isländer mit kolonialer, rassistischer Attitüde herunter, als dieser beim Essen Wein verschüttet. Nun kann sich Lucas auf Dänisch unterhalten, was er vor allem gerne mit Carls erwachsener Tochter Anna (Vic Carmen Sonne) und ihrer jüngeren Schwester Ida (Ída Mekkín Hlynsdóttir) tut. 

Die beiden jungen Frauen können das Unheil, das sich in Lucas’ Gemüt einnistet, so weit abmildern, dass neue Hoffnung aufkeimt. Auch sie wissen, wie eng in dieser Gegend Schönheit und Schreckliches beieinander liegen. Sie könnten Lucas eine Brücke bauen, doch die animalische Wut, die er in sich spürt, zerstört das Fundament seines Glaubens. Diesem Charakter kommt der Film nie wirklich nahe, er lässt ihm seine Rätsel, während er versucht, seine Wahrnehmung wie durch einen Guckkasten zu ertasten. Der Regisseur wählte das fast quadratische Bildformat vergangener Kinoepochen, das einen eigenwilligen Kontrast zur weiten, oft menschenleeren Naturlandschaft bildet. 

Einmal bewegt sich die Kamera wie im Schneckentempo über eine Sumpfwiese, nimmt ihre Grasbüschel frontal ins Visier, als suche sie darin einen roten Faden. Die Vögel fangen laut, mit vielen verschiedenen Stimmen, zu singen und zu rufen an, bleiben aber unsichtbar. Menschen, vor allem Missionare und Kolonialherren, benutzen ihren Machteifer gerne wie Scheuklappen gegen die Angst, fremd in der Welt zu sein. In dieses packende Drama schleicht sich zuweilen eine Spur von Erbarmen mit all den Individuen ein, die sich auf letztlich auf selbstzerstörerische Weise stärker geben, als sie sind.

Godland (2022)

Im späten 19. Jahrhundert reist ein junger dänischer Priester in den Norden von Island, um dort eine Kirche zu errichten und die Menschen zu fotografieren, die dort leben.Doch je mehr er in dieser unwirtlichen Landschaft vordringt, umso mehr kommen seine Entschlüsse, sein hehres Ziel und seine moralischen Vorsätze ins Wanken.

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