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Auf „Suburra“ folgt „Adagio“: Stefano Sollima beendet seine Trilogie über die römische Unterwelt mit einem konventionellen, aber stimmungsvollen Gangster-Thriller.

Adagio - Erbarmungslose Stadt (2023)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Blackout in Rom

Stefano Sollima („Sicario 2“) schickt die Stadt der Sieben Hügel erneut zur Hölle. Wenn sie das nicht selbst schon längst ist. Ein korrumpierter Moloch, der nur darauf wartet, endlich unterzugehen. In Sollimas „Suburra“ versank Rom zuletzt in einem verschlingenden Regen, das Wasser sprudelte aus den Straßen hervor und mischte sich mit dem Blut der Ermordeten. Jetzt schlägt die Hitzewelle zu.

Menschen schwitzen, leiden unter der Sonne. Der Horizont steht in Flammen, Rauch steigt auf, das Feuer kommt näher. Adagio ist nach A.C.A.B. — All Cops Are Bastards und Suburra der konsequente Abschluss von Sollimas Trilogie über die Unterwelt von Rom, und wieder droht die unausweichliche Verdammnis.

Nun ist es in Zeiten dringlicher Klimadiskurse mehr denn je von Bedeutung, über den künstlerischen Gebrauch von Naturkatastrophen nachzudenken, wie man ihn auch in diesem Film vorfindet. Christian Petzold hat 2023 mit Roter Himmel etwa ein beachtliches Werk vorgelegt, das den aufziehenden Weltenbrand einerseits metaphorisch gebraucht, um verdrängtes Begehren, eskalierende zwischenmenschliche Probleme zu visualisieren. Andererseits verlieh Petzold dem Feuerinferno etwas ganz Wortwörtliches, begriff es als Naturgewalt, befreite sie von menschlichen Zuschreibungen und verhandelte die schwierige Frage, wie sie in der Kunst überhaupt erzählbar werden kann. Welche moralischen Konflikte gehen damit einher?

Von einer solch klugen Doppelbödigkeit ist in Sollimas Adagio wenig zu spüren. Der Italiener inszeniert schnörkelloses, konservatives Genrekino mit einer Vorliebe für das ganz große Drama. Hier müssen die Flammen allein zum tragisch überhöhten Sinnbild taugen, das mit großem Pathos der Wut dieser filmischen Anklage Ausdruck verleiht. 

Wieder entwirft Sollima dabei das Bild einer Nation, in der Politik vor allem mit den Gesetzen der Straße betrieben wird und ein vernünftiger, gesitteter Alltag kaum mehr möglich scheint. Das heißt: Gewalt, Gewalt und noch mehr Gewalt über alle Behörden und Institutionen hinweg. Kartelle regieren, mächtige Kriminelle halten insgeheim die Fäden in der Hand. Tag für Tag wird neue Schmutzwäsche gewaschen und die Jagd auf eine andere Person eröffnet, die einer anderen gefährlich werden könnte. Selbst der Vatikan hat seine Finger im Spiel, wie man in Suburra sehen konnte. In Adagio gerät nun ein junger Mann in die Fänge dieses brutalen Systems. Auf einer Party wird es brenzlig für den 16-jährigen Manuel (Gianmarco Franchini), der mit pikanten Fotos erpresst wird. Er flieht vor einer Schar brutaler Polizisten und ist schon bald seines Lebens nicht mehr sicher. Also sucht Manuel Zuflucht bei alternden Gangster-Bossen, Bekannten seines Vaters, die ihn unter ihre Fittiche nehmen sollen.

Die italienische Schauspiel-Größe Pierfrancesco Favino (Comandante), der bereits in den vorherigen Teilen der lose verknüpften Trilogie zentrale Rollen spielte, mimt eine dieser Unterweltgrößen. Unter üppiger Maskerade hat man Favino in einen glatzköpfigen, buckligen Hünen verwandelt, der keine Ruhe im Leben finden will und dennoch ahnt, dass es bald mit ihm zu Ende geht. Zwischen Romeo, so heißt er, und dem jungen Protagonisten entspinnen sich kurze Augenblicke einer rührenden Verletzlichkeit.

Nicht falsch verstehen: Das ist immer noch ein knallhartes Drama voller brutaler Szenen, die unerbittlich auf den eingangs erwähnten Untergang zusteuern. Für Gefühle und sanfte Gesten bleibt kaum Zeit. Dennoch ist Adagio unterschwellig ein erstaunlich zärtlicher, andächtiger Abschluss für Stefano Sollimas apokalyptische Filmtrilogie. Sein Mix aus Thriller und Neo Noir handelt von (Ersatz-)Vätern und Söhnen, Generationen und Parteien, die aufeinanderprallen und zugleich nach so etwas wie Frieden und Aussöhnung suchen.

Das ist reichlich altbacken erzählt, gewiss. Eine künstlerische Offenbarung braucht man von diesem Werk nicht erwarten. Man kennt seine Puzzleteile, weiß um alle kommenden Pointen. Dem schweren Los angeschlagener Gangster haftet in der langjährigen Geschichte vergleichbarer Stoffe eine zähe Beliebigkeit an. Frauenfiguren muss man in dieser männerdominierten Welt derweil mit der Lupe suchen. Vor allem ist Adagio ästhetisch ein kleiner Rückschritt in Sollimas Schaffen, nachdem Suburra mit seiner sphärischen Musik und starken Lichtstimmungen ein fast surreales, betont künstliches Zerrbild von Rom entwarf. In Adagio ist insgesamt alles wieder geerdeter, naturalistischer eingefangen. Es sind Blicke in heruntergekommene Wohnungen, in denen aus der Zeit gefallene Gestalten ihr Elend fristen. In den überfüllten Straßen bahnt sich unterdessen Chaos an.

In der eindrucksvollsten Szene neben dem wuchtigen Finale — und da schimmert Sollimas Talent für große Bilder durch — wandelt Manuel den Asphalt entlang. Vögel vermengen sich am Himmel als dunkle Punkte mit der herabregnenden Asche. Alle Hoffnung einer heruntergewirtschafteten, von Kriminalität zerrütteten Nation soll auf den Schultern dieses Jungen liegen. Der Regisseur und Co-Autor sprach im Vorfeld der Filmfestspiele von Venedig, wo sein Werk Weltpremiere feierte, gar von einem “Lichtstrahl” der neuen Generation. Nur: Wo soll sie hin, wo ist überhaupt noch Platz in der Welt? Mit dieser düsteren Frage hinterlässt einen Adagio aus dem Kino. Mag die Jugend ihre Pläne und Visionen haben, mag sie das Potential eines besseren Miteinanders bergen — in ihrem alten Kosmos ist offenbar nichts zu retten. Er muss zuerst sterben für den Neubeginn. Rom wird in diesem Film nicht nur von den Flammen, sondern wiederholt auch von plötzlichen Stromausfällen als Vorboten der Katastrophe heimgesucht. Das Feuer am Himmel, es raubt die klare Sicht und legt die Nerven blank. In der Stadt gehen schon die Lichter aus.

Adagio - Erbarmungslose Stadt (2023)

Weil er sich gelegentlich prostituiert, wird Manuel von drei korrupten Carabinieri erpresst. Die Polizisten zwingen den 16-Jährigen, auf eine Party mit minderjährigen Jungen und illegalen Drogen zu gehen und Fotos von einem prominenten Politiker zu machen. Doch der Teenager fühlt sich vom Trio getäuscht und ergreift mit den belastenden Bildern die Flucht. Von den brutalen Erpressern erbarmungslos gejagt findet Manuel Zuflucht bei zwei Männern, die wie sein Vater früher Gangster waren.

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