Rabies

Eine Filmkritik von Lida Bach

Wer anderen eine Grube gräbt...

Rabies steckt an. Aharon Keshales‘ und Navot Papushados Film trägt die Tollwut zu Recht im Namen, denn der englische Titel des Films bedeutet nichts anderes als „Virus“. Schon die erste Szene der israelischen Variation des klassischen Splatterfilms infiziert. Welche Gefahr in dem harmlos wirkenden B-Movie lauert, versteckt Rabies so kongenial, dass man sich selbst dann noch in Sicherheit wägt, während ein Symptom nach dem anderen auftritt.
Zuerst ist es nur Müdigkeit und das Vorgefühl von Kopfschmerz. Ein junges Geschwisterpaar verirrt im Wald, bedroht von einem heimtückischen Mörder (Yaron Motola), nur heißen die beiden nicht Hänsel und Gretel, sondern Tali (Liat Harlev) und Ofer (Henry David). Zu dem uralten Horrorstereotyp kommt das nächste: eine Gruppe Teenager im Auto und alle stehen auf die attraktive Blondine Shir (Yael Grobblas), nicht nur gehässige Pini (Ofer Shechter) und sein ruhigerer Kumpel Mikey (Ran Danker), auch Shirs Freundin Adi (Ania Bukstein). Weil die Fahrt zum Tennis gehen soll, tragen die Mädchen heiße Sport-Minis. Der inszenatorische Pfad führt zu einer pauschalen Nachahmung des amerikanischen Slashers – zumindest scheint es so. Doch Rabies bringt sein von der eigenen Genre-Kenntnis überzeugtes Publikum an einen weit düsteren Ort, der nicht im Splatter-Film, sondern in der Realität liegt.

Schleichendes Unbehagen kriecht empor, denn die herbeigerufenen Polizisten Yuval und Danny helfen den Mädchen nicht, die allein im Auto zurückgeblieben sind. Mikey und Pini folgen dem blutbesudelten Type, nicht dem Killer, sondern Ofer, der Hilfe holen will. Verwirrt und schließlich paralysiert jagt der Blick die Protagonisten, von denen sich keiner verhält, wie es den Konventionen des Slashers entspricht.

Für vertrackte Fallen haben Keshales und Papushado ein Gespür. In einer solchen liegt Tali zu Beginn in der Erde und nicht minder hinterlistig ist die filmische Falle, in welcher Rabies sein Publikum fängt. Die psychologischen, emotionalen und praktischen Abgründe haben die Autoren nicht selbst ausgehoben. Das Regie- und Autorenduo zeigt in seinem filmischen Erstling die scheinbar banalen Zufälle und schwelenden Konflikte auf, die den Wald für die Protagonisten zu einem Minenfeld machen. Die Landminen liegen in der Handlung ganz real im Waldreservat vergraben. Es sind gerade solche Aspekte, die in einem westlichen Horrorfilm abstrus erscheinen würden, die in Rabies einen greifbaren Realitätsbezug besitzen.

Die Natur selbst erscheint als im Innersten grausame und feindselige Präsenz, der mit Tali gleich zu Filmbeginn eine der Figuren in die Fänge geraten ist. Der ausufernden Gewalt dient die friedliche Szenerie als gleichermaßen zynische Kontrastfolie und gespenstisch unbeteiligter Hintergrund, zu dem auch ein Spielplatz gehört. Spiel und Ernst berühren einander, das eine kann jeden Moment ins andere umschlagen. Ein falscher Schritt und die Situation eskaliert. Die angestauten Aggressionen entladen sich mit überproportionaler Zerstörungswut, die jeden trifft, der sich gerade in der Nähe befindet. Eines der Kernmotive des Slasher-Films setzt Rabies als ausgeklügelte Metapher für die Stimmung innerhalb der israelischen Gesellschaft ein. Im Zentrum der Handlung steht nicht die Bedrohung durch eine Einzelperson, sondern jene durch jeden x-beliebigen Menschen, der durch Zufall, Schicksal oder eben durch den Virus zum Mörder werden kann.

Genüsslich konstruiert Rabies die Fassade filmischer Klischees und der Zuschauer lässt sich von dem äußeren Schein ebenso manipulieren wie die Charaktere. Keiner von ihnen leidet unter der Tollwut, doch alle verhalten sich, als seien sie infiziert. Der Titel ist ein Symbol für die Gewaltbereitschaft des Einzelnen, die bei der geringsten Anspannung hervorbricht. Der Killer existiert, um zu beweisen, dass es keinen Killer braucht für ein Gemetzel. Seine Attacke initiiert den blutigen Teufelskreis, Provokation, Neid und Perversion der übrigen Charaktere halten ihn in Gang. Die Wut greift seuchenartig von einem auf den anderen über. Wer immun scheint wie der Parkwärter Menashe (Menashe Noy), wird zum Kollateralschaden der ausufernden Grausamkeit. Alle machen sich die Hände schmutzig, nur der stereotype Killer kann seine in Unschuld waschen: Er bringt als einziger niemanden um.

Die cineastische Raserei ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein ielversprechendes Debüt. Der Erstling der Regisseure ist der erste Slahserfilm des israelischen Kinos: blutig, böse und bitter ironisch bringt Rabies das Horrorvirus zum Ausbruch, das schon (zu) lange im Verborgenen darin pulsiert.

Rabies

„Rabies“ steckt an. Aharon Keshales‘ und Navot Papushados Film trägt die Tollwut zu Recht im Namen, denn der englische Titel des Films bedeutet nichts anderes als „Virus“. Schon die erste Szene der israelischen Variation des klassischen Splatterfilms infiziert. Welche Gefahr in dem harmlos wirkenden B-Movie lauert, versteckt „Rabies“ so kongenial, dass man sich selbst dann noch in Sicherheit wägt, während ein Symptom nach dem anderen auftritt.
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Meinungen

Markus Wagner · 02.08.2021

Tolle Kritik, danke...