Eine neue Freundin

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Wer oder was sind wir?

Am Anfang von François Ozons Eine neue Freundin steht die kurze und traurige Geschichte einer Freundschaft. Von Kindesbeinen an sind Claire und Laura beste Freundinnen. Sie sind Seelenverwandte, sind sich so nah, dass sich selbst ihre Ehemänner außen vor fühlen. Dann erkrankt Laura (Isild Le Besco) und stirbt. Claire (Anaïs Demoustier) hat ihre beste Freundin viel zu früh verloren, außerdem hinterlässt Laura ein sechs Monate altes Baby und ihren Ehemann David (Romain Duris). Jedoch hat sie Claire das Versprechen abgenommen, sich um die beiden zu kümmern. Selbst überfordert mit ihrer Trauer besucht Claire daher eines Tages David – und erwischt ihn in Frauenkleidung beim Füttern des Babys. Einen großzügig eingeschenkten Whisky später beichtet er ihr, dass er seit jeher eine Vorliebe für Travestie hatte und Laura davon wusste. Während ihrer Ehe hat er den Drang, sich als Frau zu kleiden, nicht verspürt, seit ihrem Tod aber umso mehr.
Mit hauptsächlich visuellen Mitteln und einem nur spärlich eingesetzten Kommentar inszeniert François Ozon in der ersten Viertelstunde seines Films die Freundschaft von Claire und Laura, ihr Ableben und Claires `Entdeckung` im Rückgriff auf bekannte Motive, die süffisant gebrochen werden. Man sieht die beiden Mädchen beim Haare flechten älter werden und schließlich eines von ihnen sterben. Es ist ein Leben im eigentümlichen Zeitraffer, das eine Stimmung entstehen lässt, märchenhaft-spannend wie in In ihrem Haus. Als Claire dann schließlich David entdeckt, sieht sie zunächst eine blonde Frau von hinten. Sie nähert sich – und als sich die Frau umdreht, erkennt sie Davids Gesicht. Jedoch sollte man sich von diesem Verweis auf Psycho und Ruth Rendell als Autorin der Vorlage nicht in die Irre führen lassen. Denn Eine neue Freundin ist kein Thriller, sondern Ozon nutzt den geheimnisvollen Einstieg für eine intelligente und witzige Komödie über sexuelle Identitäten, Sehnsüchte und Freundschaft.

Anfangs ist Claire geschockt ob dieses Geständnisses, sie bezeichnet David als Perversen. Jedoch bewahrt sie sein Geheimnis und erzählt es auch nicht ihrem Mann. Denn Davids Vorliebe weckt ihre Neugier. Sie hilft ihm, sein Verlangen besser auszuleben, und kommt dadurch sich selbst näher. Außerdem ist ihr Davids weibliches alter ego – sie nennt sie Virginia – eine große Stütze nach dem Verlust ihrer Freundin.

Ebenso genüsslich wie beim thrillergemäßen Einstieg spielt Ozon in dem Mittelteil seines Film mit den Klischees einer Komödie, in der Transvestiten oder Transsexuelle die Hauptrolle spielen, um sie genüsslich zu dekonstruieren. Er durchforstet die menschliche Sexualität, indem er sich gängigen Kategorien konsequent verweigert. Deshalb spielt es keine Rolle, ob David schwul oder Claire lesbisch ist, sondern in Eine neue Freundin geht es lediglich um die (Vor-)lieben zweier Menschen. Dabei gelingt es dem Film, dass jeder Zuschauer eine Verbindung zu Claire und David aufbauen kann, sofern man ein wenig offen dafür ist. Dazu trägt auch das hervorragende Spiel der Schauspieler und insbesondere von Romain Duris bei, der mit gutem komödiantischen Timing und einem Gespür für Dramatik die Wechsel zwischen Virginia und David derart überzeugend mimt, dass man zu keiner Sekunde vergisst, dass hier ein Mensch vor einem steht – nicht nur mal ein Mann, dann eine Frau.

Je mehr sich Claire zu David und Virginia hingezogen fühlt, desto mehr nähert sich der Film dem Melodram an und findet in dessen Mustern eine wunderbare Auflösung. Noch dazu bringt der Film mit viel Esprit eingefahrene Denkmuster durcheinander, so dass man am Ende die Figuren als das hinnimmt, was wir letztlich alle sind: Menschen mit verschiedenen Vorlieben.

Eine neue Freundin

Am Anfang von François Ozons „Eine neue Freundin“ steht die kurze und traurige Geschichte einer Freundschaft. Von Kindesbeinen an sind Claire und Laura beste Freundinnen. Sie sind Seelenverwandte, sind sich so nah, dass sich selbst ihre Ehemänner außen vor fühlen. Dann erkrankt Laura (Isild Le Besco) und stirbt. Claire (Anaïs Demoustier) hat ihre beste Freundin viel zu früh verloren, außerdem hinterlässt Laura ein sechs Monate altes Baby und ihren Ehemann David (Romain Duris).
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