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Ciro Guerra hat J. M. Coetzees Buch „Waiting for the Barbarians“ verfilmt. Die Allegorie auf Grenzstreitigkeiten und die Verrohung von Zivilisation könnten nicht aktueller sein. 

Waiting for the Barbarians (2019)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Eine Allegorie auf die Angst vor dem Fremden

Robert Pattinson hat so viele Fans im Publikum der Pressevorstellung in Venedig, dass ein großer Jubel losbricht, als sein Name im Vorspann von „Waiting for the Barbarians“ erscheint. Dabei hat er hier nur eine Nebenrolle. Die eigentliche Hauptrolle spielt Mark Rylance, der sonst immer wie zuletzt in „Ready Player One“ jene Nebenrollen bekommt, die besonders wichtig sind und in die er so viel investiert, als wäre er der eigentliche Star des Films. Hier nun bekommt er endlich einen Auftritt in der Länge, wie man ihn sich längst für ihn gewünscht hat. 

Rylance spielt „den Magistrat“, denn in dieser Verfilmung des gleichnamigen J. M. Coetzee Romans aus dem Jahr 1980 trägt fast niemand einen richtigen Namen. Die Handlung spielt in einer Grenzfestung des Empires. Draußen, in der Steppe, sind Nomadenstämme. Drinnen, im Fort, bewachen Soldaten diesen Außenposten. Das Land ringsum der Festungsmauer ist kultiviert, man erntet Oliven und züchtet Schafe. Der Magistrat schlichtet Nachbarschaftsstreitigkeiten und beschäftigt sich mit archäologischen Ausgrabungen, die Holzstücke mit einer unbekannten Sprache ans Tageslicht bringen, die er in seinen Nachtstunden zu entschlüsseln versucht. Wie das  Leben in der Hauptstadt aussieht, kann sich der Magistrat schon nicht mehr vorstellen. Er ist zufrieden mit der kleinen friedlichen Welt, die er hier beaufsichtigt. Doch die Ruhe ist bald vorbei, als Colonel Joll (Johnny Depp, der hier beweist, dass er doch noch etwas anderes kann, als eine Karikatur seines Jack-Sparrow-Auftritts zu spielen) mit seinen Soldaten in den Grenzposten einreitet.

Was als harmlose Inspektion beginnt, wird schnell zu einem Albtraum für den Magistrat. Joll verhört und foltert zwei mutmaßliche Schafdiebe und erpresst so Beweise für einen angeblichen Aufstand der Nomaden. Er verabschiedet sich mit der Ankündigung mit mehr Soldaten zurückzukehren, um in einer koordinierten Aktion entlang der Grenze den Aufstand niederzuschlagen. 

Der Magistrat wird immer mehr gezwungen, sich zu positionieren. Hilft er den Nomaden, die die Empire-Beamten durchweg nur als „Barbaren“ bezeichnen. Steht er auf gegen die Grausamkeiten, die die Soldaten Unschuldigen antun? Und wird er dafür seine eigene Position aufs Spiel setzen? Dass hier die Orte keine Namen haben und die Personen austauschbar sind, lässt natürlich sehr viel Interpretationsspielraum. Zum Teil mag es an der aktuellen politischen Situation liegen, dass man dies alles als Verarbeitung von Konflikten in Asien, Afrika und Südamerika sieht (Guerra hat seine Grenzfestung mit Designelementen aus jedem Kontinent ausgestattet.) Zum anderen schafft Guerra es, den Stoff so perfekt in der Waage zu halten, dass er aus der Geschichte eine Allegorie macht, die funktioniert.

Der junge kolumbianische Regisseur inszeniert diese Allegorie gewohnt bildgewaltig. Da hängen etwa in einer Nacht dunkle Wolken über dem vollmondbeschienenen Fort, da reitet eine kleine Gruppe langsam stecknadelgroß in eine gelbe Dünenlandschaft, da kniet eine Mongolin in rosafarbener Tracht im Sand und wirft der Kamera einen Blick über ihre Schulter zu, dessen Intensität noch lange nach der Vorstellung hängen bleibt. Guerra hat ein Geheimnis, warum er diese Bilder besser hinbekommt, als jeder CGI-Hollywood-Effekt: Er nimmt sich Zeit. In Birds of Passage verharrte die Kamera für mehr als eine Minute auf einer buntschillernden Heuschrecke, die dann nach rechts aus dem Bild surrte, während im Hintergrund ein blauer Lastwagen ins Bild rollte, der das Schicksal für den Protagonisten bestimmen sollte. Solche Einstellungen kann man nicht inszenieren, man muss dafür Geduld haben. 

Das ist ein Punkt, der Waiting for the Barbarians so gut macht. Ein weiterer ist die sehr gute Inszenierung des Stoffes von Coetzee. Guerra zeigt die Brutalität der Soldaten gegenüber den Nomaden, macht daraus aber keine Gewaltorgie wie sie im Wettbewerb von Venedig etwa The Painted Bird veranstaltete. Vielmehr wirft er so nebenbei die Frage auf, wer hier zivilisiert ist und wer barbarisch und wie schnell sich diese angelernten Grenzen (ebenso wie die auf der Landkarte gezogenen) aufheben lassen. Außerdem hat er sich die richtigen Schauspieler gesucht: Pattinson darf in seiner Nebenrolle den fiesen, obrigkeitshörigen Folter-Soldaten spielen, Depp erst erbarmungslos mit golddrahtumrahmter Sonnenbrille Befehle erteilen und dann das Jämmerliche seiner Figur im Zusammenbruch zeigen, die mongolische Schauspielerin Gana Bayarsaikhan spielt eine Nomadin, die in all der Zivilisation und der Rede von den Menschen zweiter Klasse als einzige menschlich ist und Mark Rylance liefert eine Performance, auf die er sein Leben lang gewartet zu haben scheint. 

Waiting for the Barbarians (2019)

Ein britischer Beamter, der in einer kleinen Stadt in den Kolonien arbeitet, beginnt, an seiner Loyalität für das Empire zu zweifeln. 

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Meinungen

Martin Zopick · 17.08.2022

Sollte der Titel ernst gemeint sein, spricht aus ihm die pure Ironie. Wenn er sich auf die Geschichte des Imperialismus beruft, kann man nur antworten ‘Da könnt ihr lange warten.‘
In einem abgelegenen Grenzfort vertritt ein Magistrat (Mark Rylance), ein mittlerer Beamter, das Empire. Colonel Joll (Johnny Depp) ist für seine brutalen Verhörmethoden inklusive Folter bekannt. Bereits der einleitende Dialog zwischen Joll und dem Magistrat verdeutlichen die geistige Heimat der beiden: während der Colonel die Wahrheitsfindung auch durch Folter befürwortet, wenn es zu einem Geständnis führt, lehnt dies der Magistrat total ab. Joll bezeichnet die Beduinen als Barbaren, der Magistrat versucht ihm das Gegenteil zu beweisen.
Ein Mädchen, (Gana Bayarsaikhan) ist eines von Jolls Folteropfern. Der Magistrat pflegt sie gesund und bringt sie zu ihrem Volk zurück. Er will sie sogar in die Stadt mitnehmen, doch Gana lehnt ab, sie plagt sich mit Suizidgedanken. Diese zärtliche Beziehung bleibt immer auf Distanz. Daraufhin wird dem Magistrat von Jolls Nachfolger, Offizier Mandel (Robert Pattinson) der Prozess gemacht. (Vorwurf Verrat und Umgang mit niederen Frauen). Er ist ein noch schlimmerer Sadist als Joll. Der Magistrat wird öffentlich gedemütigt und in einem weißen Tütü zur Schau gestellt. Er hat dem Colonel widersprochen, der mit einem Hammer auf die gefesselten Beduinen losgehen wollte. Auch kleinen Mädchen gibt man einen Knüppel in die Hand.
Als Mandel eine Kiste mit Holzplättchen findet, nutzt dies der Magistrat, um den hohen kulturellen Standard der Beduinen zu beweisen, die ihr Leid hier aufgeschrieben hatten.
Sie werden einen Soldaten ohne Gehirn auf ein Pferd binden, um ihre Verachtung zum Ausdruck zu bringen.
Mit der Schlusssequenz lehnt sich Regisseur Guerra ganz eng an die literarische Vorlage von Coetzee, der auch das Drehbuch schrieb, an. Nach ersten Plünderungen ziehen die Imperialisten ab, von Wurfgeschossen begleitet, das Fort wird von Vogelscheuchen ähnlichen Puppen bewacht während sich in der Ferne eine breite Staubwolke entwickelt.
Gnadenlos ehrlich, schonungslos realistisch.

Keecou · 16.02.2021

Wieso wird Johnny Depp's schauspielerische Leistung immer nur an Jack Sparrow gemessen? Er wird meistens unterbewertet besonders auf dieser Plattform. Wieviel Jahre ist er denn schon Schauspieler und in wievielen Filmen?? Bitte mal objektiv bleiben, ist doch wohl nicht zuviel verlangt oder...

Julian · 14.04.2020

Viele Filme von Johnny Depp werden in den letzten Jahren nur für bestimmte Länder oder gar nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (City of lies, The Professor, Waiting for the barbarians, Minamata). Einige werden wie Waiting for the barbarians nur bei Preisverleihungen in Venedig gezeigt. Werden diese Filme noch veröffentlicht oder gehen Sie spurlos unter?
Mfg