Verfehlung (2015)

Kinder der Kirche

Die Umarmungen auf dem Fußballplatz und die Umarmung in der Kneipe sind alle im Rahmen. Aber diese Umarmung, dieses Zeichen des Friedens und der Versöhnung hinter dem Altar, dauert das nicht etwas zu lang, ist es nicht etwas zu innig? Ist das schon ein Hinweis auf die Verfehlung, die der Film meint? In der hintersten Kirchenbank sitzen ja auch schon zwei Kriminalpolizisten, die den Pfarrer im Visier haben.

Die nächsten Umarmungen erfolgen im Gefängnis, als Jakob Völz (Sebastian Blomberg) und Oliver (Jan Messutat) ihren Freund Dominik Bertram (Kai Schumann) in dessen Zelle besuchen. Der Pfarrer sitzt wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch in Untersuchungshaft und ist von seinem Arbeitgeber, der katholischen Kirche, beurlaubt, bis die Sache aufgeklärt ist. Er sagt, es wären nur Geschichten und es ist nicht ganz klar, was genau er damit ausdrücken möchte. Oliver, gerade zum stellvertretenden Generalvikar ernannt, möchte die Angelegenheit „sehr behutsam angehen“ und „sehr ernsthaft in Betracht ziehen, dass Pfarrer Bertram das Opfer einer Falschbeschuldigung ist.“ Er ist sich sicher, „da schmeißt einer mit Dreck“. Die Gemeinde ist in Aufruhr. Die einen sind von der Schuld des Pfarrers, die anderen von seiner Unschuld überzeugt. Nur Jakob ist sich unsicher. Einerseits ist er seit Jahren mit Dominik befreundet und vertraut ihm, andererseits könnte an den Anschuldigungen ja doch etwas dran sein. Während alle anderen vorgefertigte Meinungen haben oder unumstößliche Vorstellungen davon, wie weiter zu verfahren ist, zeigt sich nur Jakob unvoreingenommen offen für die Wahrheit. Er sucht die Aussprache und findet sie nicht beziehungsweise nur, wenn er ganz genau hinhört.

Sebastian Blomberg ähnelt hier Montgomery Clift in Hitchcocks katholischem Klassiker Ich beichte. Mit Kai Schumann und Jan Messutat formt er ein bestens funktionierendes Darstellertrio, ein glaubhaftes Dreieck von Freunden, das den Film trägt. Wie Sandra Borgmann, die ihrer Figur Vera Rubin viel Charakter verleiht, schillert auch Blombergs Jakob. Er ist ein Zweifelnder, nicht von vorneweg ein Guter, sondern jemand, dem man zu Beginn und noch darüber hinaus zutraut, sich auf die eine wie auf die andere Seite zu schlagen, auf die der Guten wie auf die der Bösen. Als Zuschauer ist man seiner lange nicht sicher, wie auch Jakob selbst sich nicht sicher ist.

Der Film des Regiedebütanten Gerd Schneider, der selbst einmal Priesteramtskandidat (der Erzdiözese Köln) war, erzählt mehr als eine Geschichte über Freundschaft und Glauben. Er zeigt den Umgang der Kirche mit Missbrauchsfällen wie jenen, die 2010 bekannt wurden. Dabei seziert er kaum die Wunden der Opfer, sondern blickt auf die Rolle der Täter, der Menschen und des Kirchenapparates um sie herum. In ein Drama verdichtet, legt Verfehlung dar, dass es in der katholischen Kirche vielleicht kein System der Vertuschung gibt, jedoch das Vertuschen durchaus systematische Züge hat. Gerd Schneider, der auch das Drehbuch schrieb, geht ein bewundernswert hohes Risiko ein, indem er sein Thema ganz genau und differenziert angeht und damit auch die Perspektive von Pfarrer Bertram offenlegt. Ihm gelingt ein Film, der Diskussionsbedarf weckt.

(Stefan Otto)

Lesen Sie hier ein Interview mit Regisseur Gerd Schneider zu seinem Film.

Verfehlung (2015)

Die Umarmungen auf dem Fußballplatz und die Umarmung in der Kneipe sind alle im Rahmen. Aber diese Umarmung, dieses Zeichen des Friedens und der Versöhnung hinter dem Altar, dauert das nicht etwas zu lang, ist es nicht etwas zu innig? Ist das schon ein Hinweis auf die Verfehlung, die der Film meint? In der hintersten Kirchenbank sitzen ja auch schon zwei Kriminalpolizisten, die den Pfarrer im Visier haben.

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