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Im brandaktuellen Schlusskapitel zu seinem 2011 gedrehten Opus Magnum „The Story of Film“ widmet sich Mark Cousins dem Kino der Gegenwart und nutzt die Gelegenheit, der siebten Kunst ein Fest der Sinne zu bereiten.

The Story of Film: A New Generation (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Feier des Kinos der Gegenwart

Der aus Nordirdland stammende und in Edinburgh lebende Mark Cousins ist ein Dokumentarfilmer, der von der Geschichte des Mediums, in dem er arbeitet,  förmlich besessen ist. Immer wieder kreisen seine Werke um die Geschichte des Kinos – und in diesem Oeuvre nimmt sein 15-stündiger „The Story of Film: An Odyssey“ aus dem Jahre 2011 eine zentrale Stellung ein. In 15 Kapiteln von je einer Stunde Lauflänge rollte Cousins hier die Geschichte des Films und des Kinos von seinen Anfängen bis zur Gegenwart auf. Und doch, so scheint, es, war ihm das irgendwann nicht mehr gegenwärtig genug, datiert doch der jüngste Filme, der in dem finalen Kapitel auftauchte, James Camerons „Avatar“ aus dem Jahre 2009. und Christopher Nolans „Inception“ aus dem Jahre 2010. Und beide liegen nun schon auch für Laien gefühlte Ewigkeiten zurück.

In seinem neuen abschließenden Kapitel widmet sich Mark Cousins nun dem Kino der Gegenwart. A New Generation nennt er seine rund zweieinhalbstündige Annäherung an das Kino der Gegenwart (gemeint sind hier vor allem die Filme aus den 2010er Jahren) – und es erweist sich als äußerst passend, dass dieser Film quasi den Auftakt zum Festival in Cannes 2021 bildet, wo er als Sondervorführung noch vor der eigentlichen Eröffnung gezeigt wird.

Denn der Film zeigt nicht nur etliche Werke wie Parasite, Mad Max: Fury Road, Cemetery of Splendour, Cold War, Holy Motors und etliche andere, die ihre Weltpremiere an der Croisette feierten, sondern er nimmt auch deutlich Bezug auf den gerade erst (hoffentlich) hinter uns liegenden Einschnitt, den die Covid-19-Pandemie mit all ihren Folgen auf das Kino hatte. Insofern, so ist zu vermuten, verfolgt der Film sicherlich auch eine vielleicht unbewusste Agenda: zu zeigen, dass das Kino allen Abgesängen zum Trotz nicht tot zu bekommen, sondern immer noch relevant, überaus verführerisch und auf der Höhe der Zeit ist.

Und so fokussiert A New Generation vor allem auf die Frage, welche ästhetischen wie narrativen Innovationen das Kino unserer Zeit zu bieten hat. Überwiegend assoziativ reiht Cousins im Stile einer desktop documentary Filmausschnitt an Filmausschnitt, macht manchmal gewagte Sprünge und erweist sich dennoch stets als scharfer Analytiker, dessen Begeisterung für das Kino unserer Zeit sich dennoch von der Leinwand oder dem Bildschirm zu übertragen vermag.

Gleichwohl fällt auf, dass das vielleicht wichtigste Ereignis oder vielmehr die gewaltigste Erschütterung der vergangenen Dekade keinen Eingang und keine Erwähnung in seinem Film findet: Nicht ein einziges Mal wird die #MeToo-Bewegung erwähnt, obwohl diese zumindest im US-amerikanischen Kino für einen erheblichen Bewusstseinswandel (so hoffe ich zumindest) gesorgt hat und die den Finger in die Wunder von Machtkonzentration und Machtmissbrauch gelegt hat. Auch zu der Bedrohung durch die Streamingdienste und die Verwerfungen innerhalb der Filmbranche, die diese nach sich ziehen, weiß Cousins nur wenig zu sagen.
Und so bleibt am Ende der Eindruck, dass A New Generation zwar eine Kinoverführung erster Klasse ist, ein cinephiles Schwelgen in Bildern und Tönen, in formalen wie erzählerischen  Kontinuitäten, Brüchen und Revolten. Allerdings ist diese Verführung zum Sehen auch eine, die vor Problemen und Fehlentwicklungen kräftig die Augen verschließt.

The Story of Film: A New Generation (2021)

Die Fortsetzung von „The Story of Film“ (2011)

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