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An Richard Wagner scheiden sich die Geister. Aber die beinahe religiöse Verehrung der Wagnerianer für ihren Komponisten kennt keine Grenzen. Keine Ländergrenzen, keine ethnischen und keine religiösen.

Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt (2021)

Eine Filmkritik von Melanie Hoffmann

Absage an die Cancel-Culture

Richard Wagner erschüttert die Gemüter. Die einen lieben ihn, ja vergöttern ihn regelrecht und machen aus den Festspielen in Bayreuth beinahe einen Gottesdienst. Die anderen sind entsetzt von seinem Weltbild. Und nur wenige schaffen es, Werk und Künstler getrennt voneinander zu betrachten.

Bayreuth ist die international anerkannte Pilgerstätte der Wagnerianer. Hier beginnt die Reise des Dokumentarfilms von Axel Brüggemann und hier endet sie auch wieder. Dazwischen sehen wir Orte Europas, die wichtig sind für Wagners Musik und an denen Wagner oft zur Aufführung gelangt – wie Riga und Venedig, aber auch Israel. Und wir reisen weiter: nach Abu Dhabi, Japan und nach Newark. Menschen aller Ethnien lieben ihren Wagner und bekennen sich dazu, zum „Heavy-Metall-Ende der Klassik“ zu gehören. Ja, laut sein, das kann Wagners Musik insbesondere. Aber eben auch mit sehr viel Gefühl.

Diese Unvoreingenommenheit, was die Person angeht, das ging Richard Wagner bekanntermaßen ab. Juden sprach er per se ab, ein komplexes Verständnis für Musik entwickeln zu können. Und doch verteidigt ihn Jonathan Livny, Vorsitzender der Wagner-Gesellschaft in Israel. Leidenschaftlich kämpft er in Tel Aviv um jedes Konzert und erzählt mit glänzenden Augen die Geschichte seiner Familie. Fast alle Familienmitglieder wurden in den Gaskammern der Nazis ermordet, nur sein Vater floh recht bald nach Palästina und brachte nichts aus Berlin mit außer einer umfangreichen Plattensammlung – mit allen Werken Wagners. Livny erklärt das auch seinen Kindern und Enkeln: Wagner war ein Scheusal, größenwahnsinnig, rassistisch, antisemitisch – aber seine Musik war einfach himmlisch.

Und natürlich spart der Film auch die teils umstrittene Ur-Enkelin Katharina Wagner nicht aus, die aktuell die Chefin der Bayreuther Festspiele ist, aber auch so manches Mal hadert mit ihrem Nachnamen. „Das Vergnügen, ein Wagner zu sein, hält sich manchmal in Grenzen, weil es natürlich vorurteilsbeladen ist.“ Dennoch erlebt man im Film eine junge Frau, mindestens so energiegeladen wie die Musik ihres berühmten Vorfahren, die ganz für die Kunst und die moderne Inszenierung der Opern lebt. Dünkel und Berührungsängste sind ihr fremd und sie setzt sich auch kritisch mit Richard Wagner auseinander.

Für einen erfrischenden, angenehmen und anregenden Filmgenuss muss man gar nicht viel über Wagner wissen. Axel Brüggemann ergeht sich nicht in ellenlangen Diskursen über das Gesamtwerk, setzt zwar ein bisschen Allgemeinbildung voraus, aber trotzdem bleibt man im Thema, wenn man sich bisher nur wenig mit Wagner oder klassischer Musik beschäftigt hat. Dazu trägt vor allem Musikkritiker und Autor Alex Ross bei, der zu fast allen Orten, an denen gefilmt wird, eine Anekdote kennt und die Bedeutung Wagners für diesen Ort – und umgekehrt – einzuordnen weiß. 

Getragen wird der Dokumentarfilm von all den sympathischen Figuren. Neben den Musikern selbst werden Fans, Wagnerianer, Wagner-Nerds aller Couleur vorgestellt. Natürlich kommt auch das Prominenten-Defilee zur Eröffnung der Wagner-Festspiele nicht zu kurz. Und dass Bayreuth eigentlich ein ganz normales fränkisches Städtchen ist, das erfahren wir spätestens vom Metzger-Ehepaar Rauch, welches den Trubel seit der Kindheit kennt, mit Musikern und Ehrengästen fast auf Du und Du sind und manches doch belächeln muss. Die Musik freilich, finden alle gemeinsam schön.

Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt (2021)

Wagner ist mehr als Musik. Wagner ist ein gesellschaftliches Phänomen, eine Glaubensfrage und das Bayreuther Festspielhaus ist der Pilgerort. Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt ist ein neuer Blick hinter die Kulissen des weltweiten Wagner-Kults, des Festspielhauses und der Stadt Bayreuth — zwischen Leidenschaft und Musik, Politik, Kultur, Glamour, Probenarbeit und Bratwurst.

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