The Deep

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die Fischer von Island

Im Jahr 1984 geschah in Island ein Wunder: Nachdem das Schiff Breki gesunken war, überlebte der Seemann Gulli über sechs Stunden im eiskalten Atlantik, schwamm zu einer kilometerweit entfernten Insel und marschierte zwei Stunden über ein Lavafeld, bis er zu einem Haus kam. Aus dieser wahren Begebenheit hat Regisseur Baltasar Kormákur mit The Deep einen Film gedreht, der vor allem dem Leben auf den Westmännerinseln und den Fischern von Island seine Referenz erweist.
In Island ist das Leben stark von der Natur beeinflusst. Bereits in Rúnar Rúnarssons Volcano sorgte der Ausbruch des Vulkans Eldfell dafür, dass der nunmehr pensionierte Hannes seine alte Heimat verlassen musste – und er ist fortgeblieben, obwohl sein Herz weiterhin vor allem an seinem Fischerboot hängt. Gullis (Ólafur Darri Ólafsson, 101 Reykjavik) Familie ist hingegen nach der Evakuierung in den 1970er Jahren in ihren kleinen Heimatort auf den Westmännerinseln zurückgekehrt. Die Bewohner leben dort mehrheitlich vom Fischfang und unter ihnen herrscht eine große Solidarität. Mit Bildern von ihrem Leben beginnt Kormákurs Film The Deep. Es ist kalt und die Dorfbewohner gehen am Abend in eine Kneipe feiern. Unter ihnen ist auch der 22-jährige Gulli. Er ist schüchtern, übergewichtig und für seine Kollegen da. Deshalb hilft er dem neu eingestellten Koch des Schiffes, als er in eine Schlägerei gerät. Am nächsten Morgen müssen die verkaterten Männer früh aufstehen. Ein Sturm hat sich gelegt, also machen sie sich auf den Weg zu ihrem Trawler. Das ist ihr Alltag: Sie fahren aufs Meer, sitzen unter Deck und werfen zwischendurch die Netze aus. Es ist kalt und windig. Alles sieht nach Routine aus – doch dann sinkt das Schiff.

Eindringlich zeigt Baltasar Kormákur das Sinken ohne Spezialeffekte, der Tod der Besatzungsmitglieder geschieht unaufgeregt und schnell. In einem Interview mit der New York Times sagte er, er wusste, dass die Isländer ihn nicht davonkommen ließen, wenn er den Untergang vortäuschen würde wie Wolfgang Petersen in Der Sturm. Sie wissen, wie ein Ozean aussieht – und wie ein Schiff untergeht. Deshalb mussten die Schauspieler und Crew-Mitglieder selbst in das eiskalte Wasser. Dadurch wird eine unaufgeregte Authentizität und Unmittelbarkeit erreicht, in der vor allem die Einsamkeit dieses Moments deutlich wird. Gulli ist nach kurzer Zeit der einzige Überlebende und ganz allein mitten in der Nacht in dem eiskalten Atlantischen Ozean. Er beginnt, sich mit Möwen zu unterhalten, denkt an die unerledigten Dinge in seinem Leben und will überleben. Dennoch ist er nach seiner Rettung kein anderer Mensch – es braucht immer noch Mut, manche Dinge anzugehen. Gulli ist – im besten Sinne – ein Jedermann, der von Kormákur nicht zu einem Helden stilisiert wird, dessen Überleben allein auf seinem Willen gründet. Vielmehr spürt er in seinem Film der in Island berühmten Geschichte nach, so dass Gullis Überleben nur ein Teil des Films ausmacht. Nach seiner Rettung untersuchen ihn Wissenschaftler, aber sie finden als einzig mögliche Erklärung für sein wundersames Überleben, dass sein Körperfett durch die enorme Dichte dem der Seehunde gleiche. Gulli ist sein Überleben hingegen fast peinlich – und in den Film montierte Originalaufnahmen zeigen einen ernsthaften, schüchternen jungen Mann, der von seinen Erfahrungen berichtet. Sie machen zudem sehr deutlich, dass Ólafur Darri Ólafsson die perfekte Besetzung für diese Rolle ist.

Wie in seinen bisherigen Filmen (101 Reykjavik, Der Tote aus Nordermoor) räumt Baltasar Kormákur der rauen isländischen Landschaft eine wichtige Rolle ein. Die dunklen, mitunter fast monochrom wirkenden Bilder von Bergsteinn Björgúlfsson (Black’s Game – Kaltes Land) lassen eine kalte, sperrige Atmosphäre entstehen, die – zusammen mit den montierten Rückblicken – sehr viel dazu beiträgt, dass The Deep nicht ins Melodram kippt. Vielmehr erzählt Kormákur in seinem Film von dem Leben in Island, dessen Geschichte stark von der Fischerei geprägt ist. Es ist ein Leben, in dem der Tod dazu gehört – insbesondere bei den Fischern der Westmännerinseln. Sie sind den Witterungen und Launen des Ozeans ausgeliefert, sie kennen die Gefahren, die ihnen drohen, deshalb bleibt ihnen oftmals nur das Vertrauen in Gott. Die Isländer wissen, dass die Fischer jeden Tag ihr Leben riskieren, um die Fischereiindustrie am Laufen zu halten. Deshalb wurde jeder Todesfall zur nationalen Tragödie – und die Geschichte des Seemanns, der überlebte, zur Legende. In dieser Nähe zur Natur wurzelt das Selbstverständnis der Isländer, an das Kormákur mit seinem Film erinnern will. Und indem er diese Geschichte sachlich und ruhig erzählt, wird das Besondere umso deutlicher. Denn sein Held ist strahlender als so manch anderer – gerade weil er am Ende wieder das tut, was er immer getan hat: Er fährt zur See.

The Deep

Im Jahr 1984 geschah in Island ein Wunder: Nachdem das Schiff Breki gesunken war, überlebte der Seemann Gulli über sechs Stunden im eiskalten Atlantik, schwamm zu einer kilometerweit entfernten Insel und marschierte zwei Stunden über ein Lavafeld, bis er zu einem Haus kam.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen