Log Line

Weibliche Solidarität gegen männliche Militärlogik – so lautet in Kurzform die Quintessenz des zweiten Spielfilms von Michale Boganim. Die französisch-israelische Regisseurin erzählt durch die Augen einer Libanesin und einer Israelin von den zwischenmenschlichen Kosten zweier Angriffskriege.

Tel Aviv - Beirut (2022)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Schockierend aktuell

Es war einmal eine Bahnlinie. Sie führte vom israelischen Tel Aviv bis nach Beirut im Libanon. Was heute märchenhaft klingt, steht für eine Sehnsucht: Dass die ewigen Kriege im Nahen Osten einmal enden mögen. Ganz einfach deshalb, weil sie kein Naturgesetz sind, wie man denken könnte, wenn man nach 1948 geboren ist, dem Gründungsjahr des Staates Israel. Sie werden von Menschen gemacht, die diesseits und jenseits der heutigen Grenzen gerne Hummus mit Pita essen, deren Politiker, Armeen und Milizen aber auf die gemeinsamen kulturellen Wurzeln pfeifen. Die französisch-israelische Regisseurin Michale Boganim erzählt in ihrem zweiten langen Spielfilm von dieser Utopie, die sich poetisch über die harte Realität der beiden Libanon-Kriege und das vergessene Schicksal von Israels libanesischen Helfern legt.

Eine heilige Prozession durch ein kleines südlibanesisches Dorf 1984, zwei Jahre nach der israelischen Besetzung: Tanya (Zalfa Seurat, hier als Kind: Maayane Elfassy Boganim) trägt das Holzkreuz an der Spitze der singenden Gemeinschaft, die auf dem Weg zur Kirche ist. Eine friedliche Szenerie, wäre da nicht der israelische Soldat, der mit dem Gewehr im Anschlag nebenherläuft und für die Sicherheit der Christen sorgen will. Dass dies keine übertriebene Vorsicht ist, zeigen die Schüsse, die plötzlich fallen, gefolgt von Bombeneinschlägen. Die Gläubigen müssen jetzt rennen bis zum Gotteshaus, mit knapper Not schaffen sie es ins Innere. Mit solchen Kontrasten arbeitet der Film durchgängig: Das Brutale mischt sich ins Heilige, die Realität in den Wunsch nach Frieden, das militärisch-männliche Prinzip in die Fürsorge und Mütterlichkeit der Frauen.

Erzählt wird die Geschichte über 22 Jahre und drei Episoden, die in den Jahren 1984 (zwei Jahre nach dem ersten Einmarsch Israels in den Südlibanon), 2000 (Sieg der Hisbollah und Rückzug der Israelis) und 2006 (zweiter Libanonkrieg) spielen. Man muss sich jedoch nicht mit den komplizierten Verhältnissen in Nahost auskennen, um den beiden parallelen Handlungslinien zu folgen, die sich kurz zu Beginn und dann ausgiebiger am Ende treffen. Sie handeln von den beiden Frauen, mit deren Augen wir auf die Ereignisse schauen. Tanya wächst im Südlibanon während der ersten Besatzung auf. Sie muss später mit ihrem Vater Fouad (Younes Bouab), einem Kollaborateur der Israelis, über die Grenze nach Nordisrael fliehen und ihre große Liebe verlassen. Zur gleichen Zeit bringt im israelischen Haifa die junge Myriam (Sarah Adler) ihren Sohn Gil (Noam Boukobza) zur Welt. Myriam ist eigentlich Französin und nur der Liebe wegen nach Israel gegangen, um dort Yossi (Shlomi Elkabetz) zu heiraten. Aber Yossi ist eigentlich die ganze Zeit weg, schon als 20-Jähriger kämpft er im Libanon. Dort rettet er in der ersten Episode der kleinen Tanya das Leben, weshalb er bei Tanyas Eltern ein gern gesehener Gast ist.

Ist das nicht alles lange her, könnte man fragen, wenn man nicht wie Autorenfilmerin Michale Boganim (La Terre Outragée, 2011) in Haifa geboren wurde, in Jerusalem studierte und 2006 während des zweiten Libanonkrieges in Tel Aviv lebte. Die Brutalität der israelischen Armee habe sie damals schockiert, erzählt die französisch-israelische Regisseurin im Interview. Sie begann zu recherchieren und entdeckte unter anderem die vergessene Geschichte derjenigen Libanesen, die mit den Israelis zusammenarbeiteten und dann von ihnen bei deren Abzug verraten wurden. Nicht nur in diesem Punkt erweist sich Boganims Film als erstaunlich aktuell, wenn man an die sogenannten „Ortskräfte“ in Afghanistan denkt. Sehr heutig ist auch die Eigendynamik der oft von Testosteron getriebenen Militärlogik, die sich anscheinend verselbstständigt und gar nicht mehr zum Frieden zurückfindet, sondern quasi vom Vater auf den Sohn vererbt wird über Jahrzehnte. Wenn Yossi als blutjunger Mann zum ersten Mal in den Krieg zieht, zeigt er noch menschliche Regungen und weiß gar nicht, was er eigentlich in dem fremden Land verloren hat (so wie heute die Russen in der Ukraine). Aber als langgedienter Offizier hat er nichts Besseres zu tun, als seinen Sohn Gil zum Wehrdienst zu überreden, statt ihn gleich nach dem Abitur in Paris studieren zu lassen, wo er an der renommierten Sorbonne angenommen wurde. 

Auch wenn Tel Aviv – Beirut in der Nebenhandlung um Gil etwas konstruiert wirkt (er ist ausgerechnet einer der beiden realen Soldaten, die im zweiten Libanonkrieg von der Hisbollah als Geiseln genommen wurden), so punktet der Film doch mit seiner starken Bildsprache und dem Fokus auf die Solidarität der Frauen, die keine Grenzen kennt. Vom realen Geschehen her erzählt der Film eine traurige Geschichte, aber seine Visualität transportiert die Hoffnung des „trotz alledem“. Sie ist durchtränkt vom Licht des nahen Mittelmeeres, von der Schönheit der kargen Landschaften. Und von der pragmatischen Zärtlichkeit, mit der Mütter für ihre Kinder und Krankenschwestern für die Opfer des Krieges sorgen. Wenn es eines Beweises bedürfte, dass es eine spezifisch weibliche Handschrift beim Filmemachen gibt – hier ist er.

Tel Aviv - Beirut (2022)

Naher Osten, 1982. Der junge israelische Soldat Yossi wird im Libanonkonflikt mit der Brutalität des Krieges konfrontiert. In Fouad, einem Kämpfer der von Israel unterstützten südlibanesischen Miliz, findet er einen treuen Kameraden und einen Freund fürs Leben. Jahre später: Als Anfang der 2000er Jahre die Hisbollah die Macht im Libanon übernimmt, verhilft Yossi seinem Freund und dessen fast erwachsener Tochter Tanya zur Flucht. 2006 bricht erneut ein Krieg zwischen Israel und dem Libanon aus, in dem nun Yossis Sohn als Soldat kämpfen muss. Als von ihm kein Lebenszeichen mehr kommt, begeben seine Mutter Myriam und Tanya sich auf eine emotional aufwühlende Reise in den Libanon, um ihn zu suchen. (Quelle: filmportal.de)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen