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Der belgische Regisseur Tim Mielants nähert sich in seinem Film einem kollektiven Trauma der jüngeren irischen Geschichte an, rückt aber statt der geschundenen Mädchen in den Magdalenenheimen einen stillen Mann ins Zentrum, der gegen die Macht der Kirche zu rebellieren beginnt.

Small Things Like These (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine kohlenstaubschwarze Weihnachtsgeschiche

Wexford in Irland im Jahr 1985: William Furlong (Cillian Murphy) ist ein schweigsamer, hart arbeitender und bescheidener Mann, dessen Tätigkeit als Kohlen- und Brennstoffhändler seine Familie und die fünf Töchter mehr schlecht als recht über Wasser hält. Als William Kohle und Holz in ein von Nonnen geleitetes Heim für Mädchen liefert, wird er Zeuge, wie eine junge Frau von ihren Eltern gegen ihren Willen gezwungen wird, dorthin zurückzukehren.

Die verzweifelten Schreie hallen lange in ihm nach und rufen Erinnerungen in ihm hervor, die weit in seine eigene Kindheit zurückreichen. Er selbst, ohne Vater aufgewachsen und nach dem Tod seiner Mutter früh zum Waisen geworden, hatte mehr Glück als die Mädchen, weil seine Mutter und er bei einer gütigen Frau Aufnahme fanden. Und vielleicht ist gerade das der Grund, warum ihm die Szene in dem Heim so nachhängt, dass er ganz grüblerisch und verschlossen wird. Als er bei einer weiteren Lieferung die verzweifelte Sarah im Kohlenkeller vorfindet, wird er danach zur Mutter Oberin (Emily Watson) zitiert, die ihm kaum verhohlen mit möglichen Konsequenzen droht, sollte etwas von dem Vorfall nach außen dringen. Und so steht dieser stille Mann vor einer schwierigen Entscheidung, die ihn zu einem Ausgestoßenen machen könnte.

Die Vorfälle um die Magdalenenheime waren schon einmal Gegenstand eines Films. 2002 feierte Peter Mullans The Magdalene Sisters / Die umbarmherzigen Schwestern seine Weltpremiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig, gewann dort den Goldenen Löwen und sorgte international für heftige Diskussionen, die unter anderem dafür sorgten, dass der Vatikan in einer offiziellen Stellungnahme allen Katholiken ausdrücklich vom Besuch des Filmes abriet.

Für solche Turbulenzen wird Small Things Like These gewiss nicht sorgen. Die Wut von Mullans Film, die manchen ehemaligen Insassinnen der Magdalenenheime aber immer noch nicht weit genug ging (sie bemängelten unter anderen, die Gewalt an den Mädchen sei in Wirklichkeit noch viel schlimmer gewesen als im Film dargestellt) ist in Tim Mielants Bearbeitung des Themas einer grau-verwaschenen Tristesse gewichen, die Williams Mitleid weitaus mehr Platz einräumt als dem Leid der unmittelbar Betroffenen. Das nimmt dem Film doch einiges von der emotionalen Wucht, die er hätte haben können.

Dass statt der Mädchen ein Mann im Mittelpunkt der Geschichte steht, kann man Tom Mielants nicht unbedingt vorwerfen, schließlich orientiert sich der Film an einer literarischen Vorlage, die genau diese Fokusverschiebung schon beinhaltet. Das vielfach preisgekrönte Buch von Claire Keegan aus dem Jahre 2021, das unter anderem den Orwell Price for Political Fiction gewann und auf der Shortlist für den renommierten Booker Prize stand, beschreibt die leise Rebellion des Protagonisten William Furlong als Produkt seiner eigenen traumatischen Kindheit und als Prozess eines schmerzhaften Erinnerungsprozesses. Sein schlussendlicher Akt des Widerstandes gegen die Macht der Kirche ist keine lautstarke Rebellion, sondern vielmehr eine Form gelebter Barmherzigkeit eines Mannes, der allen Widrigkeiten zum Trotz einfach nur ein guter Mensch sein will. Ganz einfach, weil er das Leid Sarahs nicht mitanzusehen vermag.

Als Opener eines Filmfestivals wie der Berlinale ist Small Things Like These nicht unbedingt eine glückliche, ganz sicher aber eine ungewöhnliche Wahl und hoffentlich kein Menetekel für diese letzte Ausgabe unter der künstlerischen Leitung von Carlo Chatrian. Karges, rußig-graues Arthouse-Kino der introvertierten Art, mit deutlich melancholischem Anstrich und Emotionen, die sich mehr in den Bildern niederschlagen als im Herzen des Publikums.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

 

Small Things Like These (2024)

Eine Kleinstadt im irischen Wexford, 1985, kurz vor Weihnachten. Bill Furlong schuftet als Kohlenhändler, um den Lebensunterhalt für sich, seine Frau und seine fünf Töchter zu verdienen. Während er im örtlichen Kloster die Kohle ausliefert, macht er eines frühen Morgens eine Entdeckung, die ihn zwingt, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Er wird mit dem Schweigen einer Stadtgemeinschaft konfrontiert, die vollständig unter der Kontrolle der Kirche steht. Nach dem gleichnamigen Roman von Claire Keegan. (Quelle: Berlinale 2024)

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