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Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín zeichnet eine Frauenfigur auf ihrem Weg in die Selbstbestimmung – mit viel Spaß an der übertriebenen Inszenierung und einer originellen Idee. Eine spritzige, unterhaltsame Komödie, in der zwischendurch auch leise, schmerzvolle Töne anklingen.

Rosas Hochzeit (2020)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Ich bleibe mir treu

Icíar Bollaín liebt Frauenfiguren. Frauen, die sich aufopfern, die leiden, sich leise auflehnen, Frauen, die stark sind und viel aushalten. Nach „Öffne meine Augen“ und „El Olivo – Der Olivenbaum“ zeigt die spanische Filmemacherin in ihrem neuesten Film erneut eine Frauenfigur auf ihrem Weg in die Selbstbestimmung; und dieser ist ein origineller und ziemlich plakativer, denn Rosa verkündet: „Ich heirate mich selbst.“

Die 44-Jährige Rosa (Candela Peña) rennt durchs Leben: Ihr Beruf als Kostümbildnerin wäre schon stressig genug. Gleichzeitig hilft sie fast täglich ihrem Bruder Armando (Sergi López) aus und versorgt ihre Nichten, ist die Schulter zum Ausweinen für ihre Schwester Violeta (Nathalie Poza) und kümmert sich selbstlos um ihren Vater (Ramón Barea), der den Tod seiner Frau nicht verkraftet hat. Von der Freundin nimmt sie während deren Urlaub die Katze, und die Nachbarin stellt ihr ungefragt einen halben Blumenladen voller Pflanzen vor die Tür, die sie während ihrer Abwesenheit bitte gießen und pflegen solle. Als Rosas Vater ihr verkündet, er wolle bei ihr einziehen, ist das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – und Rosa bricht nach ihrem Marathon erschöpft zusammen.

Rosas Hochzeit beginnt mit Rosas Traum vom Laufwettbewerb, und dieser bringt den permanenten Stress, die Verpflichtungen und Verstrickungen ihres Alltags auf den Punkt. Wenn sich Rosa für eine Sache entscheidet, reden ihr alle Personen um sie herum rein, lenken sie ab und stören sie bei der Umsetzung. Rosa kann keinen klaren Kopf fassen und rennt deshalb weiter, auch wenn sie das Ziel schon längst erreicht hat, sie nimmt Wege, die nicht abgesteckt und von Zuschauern gesäumt sind, sucht Freiheit und Luft, bis sie abgekämpft in den Sand fällt.

Dieser Tiefpunkt zeigt Rosa: So kann es nicht mehr weitergehen. Und sie wirft von einem Tag auf den anderen das Handtuch: Kündigt ihren Job, lässt Kollegen, ihren Vater, die Nichten und die Blumen einfach zurück und fährt ans Meer nach Benicassim, in die Stadt ihrer Kindheit und in die alte Änderungsschneiderei ihrer Mutter. Mit dem ganzen Zauber alter Erinnerungen empfängt sie das alte Geschäft; die Regale, die Ladentheke, die Stoffe, das alles sieht aus wie in den Bildern in ihrem Kopf. Und schnell hat Rosa die Idee, ihr Leben in der Stadt aufzugeben, hierher zu ziehen und das Schneideratelier wieder zu eröffnen. Weil große Entscheidungen und Veränderungen in ihrer Familie vor allem dann passieren, wenn ein neuer Lebensabschnitt beginnt, beschließt Rosa, eine Hochzeit zu feiern, und verkündet: „Ich heirate.“

Die Familie ist aufgebracht: Rosa heiratet? Ihren Freund Rafa (Xavo Giménez)? Ist die Beziehung schon so eng? Wie, wann, was? Schnell sind alle in Aufruhr und in freudiger Erwartung und sie stürzen sich in organisatorischen Aktionismus, der aber alle Pläne, die Rosa für den Wendepunkt in ihrem Leben hat, über den Haufen wirft. Wieder hört ihr keiner zu, jeder macht sein Ding und plant das Fest, das er oder sie sich für Rosa vorstellt. Dass Rosa allerdings eine ganz unkonventionelle Hochzeit feiern und sich selbst das Ja-Wort geben will, hat sie keinem erzählt.

Und dann ist da noch Rosas Tochter Lidia (Paula Usero), die im selben Moment, aber ohne Rosa etwas davon zu erzählen, entschlossen hat, ihr Leben im britischen Manchester aufzugeben, als alleinerziehende Mutter von kleinen Zwillingen nach Valencia zurückzukehren und bei ihrer Mutter einzuziehen. Als Lidia merkt, dass ihre Mutter nicht für sie da sein wird, bricht für sie eine Welt zusammen. Und dabei kann Rosa nicht zusehen und wirft all ihre Hochzeitspläne über Bord.

Icíar Bollaín entwirft in ihrem Film eine Frauenfigur, mit der man leidet, über die man aber auch den Kopf schüttelt, mit der man weint und lacht und für die man von Beginn an Sympathie empfindet. Die Rolle der Rosa passt gut zur energiegeladenen Candela Peña, auch wenn man ihr zwischendurch nicht glauben will, dass sie das alles so lange mit sich machen lässt.

Der Ton des Films changiert zwischen dramatisch und humorvoll und ist auch von dieser leichten Übertriebenheit geprägt, die das spanische Publikum gerne auf der Leinwand sieht. Da ist immer ein bisschen Zuviel an Musik, an Aktion, an Dialog, der dem Film Tempo verleiht und damit gut zu Rosas andauernder Gestresstheit passt. Fast erholsam sind da die Sequenzen im alten Geschäft, die durch ein weiches Licht charakterisiert sind und sich absetzen vom fast dokumentarischen Stil der Sequenzen in Valencia oder der Überzeichnung des Marathonlaufs. Im Atelier kommt Rosa zur Ruhe, und der Zuschauer auch.

Es geht darum, Grenzen zu ziehen und das Recht für sich selbst einzufordern, das macht Bollaín mehr als deutlich. Rosa muss für ihre Träume kämpfen, sie muss ehrlich gegenüber den anderen, vor allem gegenüber sich selbst sein und nicht alle Last auf sich nehmen, die ihr andere zuwerfen, sonst geht sie selbst dabei zugrunde – und das hilft keinem. Eine Rosa gibt es in vielen Familien, und das ist auch gut so. Trotzdem müssen diese Rosas lernen, nur bis zu einem gewissen Grad zu helfen und zu unterstützen und sich dabei nicht selbst zu verlieren.

Rosas Hochzeit (2020)

Rosas 45. Geburtstag steht bevor und ihr wird schmerzlich bewusst, dass ihr ganzes Leben bisher darauf ausgerichtet war, anderen zu dienen und die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. Doch damit soll nun Schluss sein. Also beschließt sie, alles hinter sich zu lassen, ihr Leben radikal zu ändern und ein Unternehmen zu gründen.

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