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In der Mockumentary „Olaf Jagger“ von Heike Fink befasst sich Comedian Olaf Schubert mit seiner Biografie.

Olaf Jagger (2023)

Eine Filmkritik von Anke Zeitz

Papa was a Rolling Stone...

Der eine ist das selbsternannte „Pullunder-Wunder“, der andere füllt mit seinem großen Rock’n’Roll-Ego seit über 60 Jahren Konzerthallen auf der ganzen Welt. Der eine kommt aus dem Osten Deutschlands, der andere aus der Mitte Englands. Was also könnte Olaf Schubert, den Comedian, mit Mick Jagger, dem Sänger der Rolling Stones, genetisch und verwandtschaftlich verbinden? Vielleicht mehr als man zunächst denkt. Denn als Schubert beim Aufräumen im elterlichen Keller auf ein Interviewtape seiner Mutter mit Jagger stößt, fängt er an, seine komplette Biografie in Frage zu stellen – und das Leben seiner Mutter als Radiomoderatorin in der ehemaligen DDR näher unter die Lupe zu nehmen.

Die Balance zu halten zwischen dem Fiktionalen und dem Dokumentarischen, zwischen Satire und Authentizität: Genau das macht das hybride Genre der Mockumentary zu einer filmischen Königsdisziplin, die Klassiker wie etwa Richard Lesters Yeah! Yeah! Yeah! (echte Band, fiktive Erzählung), Christopher Guests This is Spinal Tap (fiktive Band, echtes Musikbusiness) oder auch die Borat-Filme von und mit Sacha Baron Cohen (alles echt außer Borat) hervorgebracht hat. Und auch im Fernsehen gibt es großartige Beispiele wie The Office (in allen Varianten), ganz aktuell Cunk on Earth mit Diane Morgan oder auch Twinfruit – Die Dose muss menschlich werden, eine wunderbare Produktion des kleinen Fernsehspiels rund um eine Dosenobst-Werbekampagne, in der man mehr über Werbeagenturen lernt als es in einer „echten“ Doku möglich wäre. Auch Olaf Jagger gelingt dieser Balanceakt: die Einbettung eines wahrhaftigen Hintergrundes in eine völlig fiktionale Geschichte. Anders als bei einem Dokumentarfilm kann sich das Team bei einer Mockumentary nicht von dem leiten lassen, was „unterwegs“ so passiert. Von vornherein ist alles gescriptet und es liegt an den Protagonist:innen, ihre Begegnungen so zu reflektieren, dass sie im Gesamtkonstrukt der Mockumentary möglichst unterhaltsam sind. Was das betrifft, ist Olaf Schubert ein absoluter Glücksgriff für den Film. Denn auch wenn Schubert selbst eine Kunstfigur ist, scheint er doch immer mit einer Art von Authentizität aufzutreten. Dass der Film außerdem auch etwas über ein Land, das es nicht mehr gibt, vermitteln kann, zeigt, dass eine gute Mockumentary immer auch irgendwie „Documentary“ ist. Hier zeigt es sich vor allem in den Interviews mit Ost-Künstlern – zum Beispiel mit Toni Krahl, dem Leadsänger der Band City, der erzählt, wie sie damals bei einem Musikfestival eine stille Revolte gegen die DDR-Führung anzettelten, indem sie ein Lied, das sie nicht singen durften, einfach als Gedicht rezitierten. Ein weiterer toller Gesprächspartner ist Flake Lorenz, selbst eine Art Kunstfigur und Keyboarder der Band Rammstein, der stolz darauf ist, dass ihn seine ostdeutsche Herkunft nie daran gehindert hat, zu tun, was er bis heute liebt. In jedem dieser Gespräche hört man heraus, dass die Liebe zur Musik, zum Rock’n’Roll in der DDR genau so groß war wie im Westen – auch wenn der ostdeutsche Staat es verhindern wollte. 

Es entsteht der Eindruck, Schubert sei zugleich Protagonist, Rechercheur, Regisseur und Erzähler. Konzipiert und inszeniert hat den Film jedoch die Regisseurin Heike Fink, die sich bis auf kurze Einwürfe zurückhält und dem Comedian die Bühne überlässt. Ein kluger Move, denn die Geschichte steht und fällt mit seiner Fähigkeit, die Zuschauenden mit Empathie an sich zu binden, sodass sie ihm anderthalb Stunden durch eine Geschichte folgen, die sich auch mal Zeit lässt. Eine Falle, in die Olaf Jagger nie hinein tappt: Er führt seine „seriösen“ Gegenüber – wie Hartmut König, ehemaliger FDJ-Präsident, oder auch der Leiter des Stadtmuseums Münster – nie vor. Doch Schuberts Haltung, ein beiläufig wirkender und launig-verschmitzter Off-Kommentar und eine sehr gut getimte Montage (Schnitt: Henk Drees) kommentieren doppelbödig und augenzwinkernd. 

Andere Medien und Prominente – Sabine Heinrich bei 1Live, Bettina Tietjen in der NDR-Talkshow, Oliver Welke und Alexander Schubert in der heute-show – werden wie selbstverständlich ernsthaft in Schuberts Recherchereise eingebaut. Diese Momente ähneln am ehesten Sketchszenen, andere Momente jedoch wirken echt und aufrichtig, wie etwa die Sequenz, in der Schubert die Stasi-Akte seiner Mutter liest. Der Film hat Humor, ist aber nie albern oder lächerlich.

Ab dem Zeitpunkt, an dem sich herausstellt, dass die Möglichkeit einer Vaterschaft Mick Jaggers besteht, verliert der Film ein wenig an Fahrt. Dafür kann sich nun Olaf Schuberts Schauspielkunst entfalten. Immer mehr verändert sich seine Attitüde, seine Haltung wird arroganter und die gezeigten Alltagssituationen – vor allem die Begegnungen mit Vater Schubert, die vergiftet sind von Olafs Ärger über das Schweigen des Mannes, der vielleicht gar nicht sein Vater ist – gewinnen an Biss, auch wenn sie nun inszenierter erscheinen. Der Film spielt dabei mit Stereotypen wie dem hektischen Drehabbruch nach einer unerwarteten Wendung der Ereignisse, oder dem traurigen Blick über ein meist stehendes Gewässer, untermalt von Regen und trauriger Musik. 

Vielleicht ist Olaf Jagger kein Film, der sich mit Extravaganz oder großer Originalität in der Aufmerksamkeit nach vorne schiebt, auch wenn er bei seiner Premiere beim Hofer Filmfest u.a. den Förderpreis Neues Deutsches Kino erhalten hat. Doch dank seines großartigen Protagonisten, eines augenzwinkernden Umgangs mit Genrekonventionen und einer warmherzig erzählten Geschichte ist der Film ein liebenswertes Vergnügen.

Olaf Jagger (2023)

Was für eine Schlagzeile: Der bekannte Künstler Olaf Schubert findet durch Zufall heraus, dass seine Mutter in den 60ern, noch während der DDR-Zeit, eine kurze Affäre mit Mick Jagger hatte. Wenn man genau hinschaut, drängt sich sogar eine gewisse Ähnlichkeit auf. Schubert macht sich auf die Suche und beginnt, unangenehme Fragen zu stellen – an seine Verwandten, an Rolling-Stones-Exegeten, Historiker und Experten. So unfasslich es scheint – immer mehr Indizien deuten daraufhin, dass Olaf Schubert seine Familiengeschichte tatsächlich noch einmal neu schreiben muss.

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