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Die iranische Regierung ließ das Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha nicht zur Weltpremiere ihres Films ausreisen. Das Berliner Publikum feierte die Geschichte einer einsamen alten Dame auf Männersuche, die sich nicht von der Sittenpolizei bevormunden lässt, mit Standing Ovations.

My Favourite Cake (2024)

Eine Filmkritik von Stefanie Borowsky

Frau, Leben, Freiheit

Die 70-jährige Mahin (Lily Farhadpour) lebt allein. Bereits vor 30 Jahren ist der Mann der rüstigen Teheranerin verstorben, deren Tage aus Schlafen, Blumengießen, Einkaufen und Fernsehen bestehen. Wenn sich Mahin die Nägel lackiert, während sie eine romantische Serie schaut, dann macht sie sich nur für sich selbst schön. Ihre Tochter lebt mit ihrer Familie in Europa und ruft selten an. Mahins Freundinnen sind auch nicht mehr die Jüngsten und reden über Themen, die Seniorinnen nun mal beschäftigen, vor allem über Krankheiten. Als eine der Damen beim Kaffeekränzchen ein Video von ihrer Darmspiegelung herumzeigt, reicht es Mahin endgültig. Ihr Leben ist noch nicht vorbei – und ein neuer Mann muss her!

Gesagt, getan. Selbstbewusst, den Blick auf die Subjekte ihrer Begierde gerichtet, zieht Mahin durch die iranische Hauptstadt – und landet in einem Restaurant, in dem ein paar ältere Herren ihre Mittagspause verbringen. Als sie mitbekommt, dass einer der Männer auch allein lebt und als Taxifahrer arbeitet, folgt sie ihm kurzerhand – und lässt sich von ihm nach Hause fahren. Obwohl Faramarz (Esmail Mehrabi) zuerst zurückhaltend auf Mahins Avancen reagiert, taut er schnell immer mehr auf, und lässt sich dann spontan von Mahin in deren Haus einladen.

Die beiden einsamen Turteltäubchen verbringen einen wunderbaren Abend – ein geradezu traumhaftes Rendezvous. Faramarz bewundert Mahins Garten, sie trinken Wein, Mahin backt ihm einen Kuchen, sie tanzen und lachen zusammen. Der schüchterne, unbeholfene Faramarz fühlt sich zunehmend wohler mit der forschen Mahin. Doch über alledem schwebt der drohende Einbruch der brutalen Realität Einzug in Mahins und Faramarz’ traumartiges Glück – in Form der iranischen Behörden.

Das Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha stellte bereits 2021 Ballade von der weißen Kuh, einen eindrücklichen regimekritischen Film über eine junge Frau in Iran, deren Mann zu Unrecht hingerichtet wurde, im Wettbewerb der Berlinale vor. Die iranische Regierung belegte das Ehepaar, das in seinem neuen Film My Favourite Cake mit Tabus bricht und eine ältere Frau und ihren Wunsch nach einem neuen Partner ins Zentrum stellt, mit einem Ausreiseverbot, sodass Moghaddam und Sanaeeha ihren Film nicht selbst auf der Berlinale 2024 vorstellen konnten. Nachdem das iranische Filmpublikum jahrzehntelang nur Frauen mit Hijab – selbst bei der Hausarbeit und im Bett – im Kino sah, war es dem Regieduo ein Anliegen, endlich auf die Leinwand zu bringen, wie Frauen in Iran hinter verschlossenen Türen wirklich leben, was sie umtreibt, wovon sie träumen. 

Protagonistin Mahin, die über weite Teile des Films ohne Kopfbedeckung zu sehen ist, eine mutige, unabhängige Frau, lässt sich nicht bevormunden und kämpft für ihre Rechte. Als sie in einem Park, in den ihre Männersuche sie geführt hat, mitbekommt, dass eine junge Frau verhaftet werden sollen, weil ein paar Zentimeter ihrer Haare sichtbar sind, macht sie ihr Mut, sich zu wehren, und legt sich selbst mit der Sittenpolizei an. Schauspielerin Lily Farhadpour, die auch als Schriftstellerin und Übersetzerin tätig ist und als Menschenrechtlerin und Mitglied der NGO „Mütter für den Frieden“ bereits in einem Teheraner Gefängnis festgehalten und gegen Kaution wieder freigelassen wurde, ging ein großes Risiko ein, indem sie die Rolle der Mahin annahm. 

Farhadpour und ihr Kollege Esmail Mehrabi überzeugen durch ihr glaubwürdiges (Zusammen-)Spiel und tragen den Film, der auch von seinem leisen Humor lebt. My Favourite Cake kommt über lange Strecken – allen Hindernissen zum Trotz – vor allem als Liebeskomödie über zwei Senior*innen daher. Der Plottwist gegen Ende des Films wirkt nach dem zuvor größtenteils humorvoll-weichen Ton des Films umso stärker und zeigt noch einmal überdeutlich, was den Film ohnehin durchzieht: die Unfreiheit der Frauen, die allgegenwärtige Kontrolle und die Angst vor den iranischen Behörden. 

Moghaddam und Sanaeeha drehten schon, als die wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Hijab-Gesetz von der Sittenpolizei verhaftete Jina Mahsa Amini mutmaßlich gewaltsam getötet wurde und in Iran die größten Proteste seit der Islamischen Revolution 1979 begannen. Mahins Geschichte, die das Regieduo analog zu der nach Aminis Tod entstandenen Bewegung den Frauen, dem Leben und der Freiheit widmet, bewegt vor allem durch ihren politischen Hintergrund und die zahlreichen Verweise auf die allgegenwärtige systematische Misogynie. My Favourite Cake, der Wettbewerbsliebling vieler Berlinale-Besucher*innen, öffnet Augen und Herzen – und hallt noch lange nach.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

My Favourite Cake (2024)

Die 70-jährige Mahin lebt seit dem Tod ihres Mannes und der Ausreise ihrer Tochter nach Europa allein in Teheran. Ein Nachmittagstee unter Freunden gibt den Anstoß dazu, ihre einsamen Beschäftigungen aufzugeben und ihr Liebesleben wieder zu aktivieren. Mahin öffnet ihr Herz für eine neue Liebe. Aus einer spontanen Begegnung wird ein überraschender, unvergesslicher Abend. (Quelle: Berlinale)

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