Munch (2023)

Eine Filmkritik von Reinhard Kleber

Auf den Spuren eines genialen Malers

Ein Biopic: Ja, aber diesmal ganz anders. Der norwegische Maler, Grafiker und Zeichner Edvard Munch (1863-1944) zählt zu den Pionieren des Frühexpressionismus. Sein Meisterwerk Der Schrei ist ein Top-Ikone der Klassischen Moderne. Berühmt wurde er mit seinen ausdrucksstarken Bildern, die immer wieder um existenzielle Themen wie Krankheit und Einsamkeit, Verzweiflung und Tod kreisen. Diesem Ausnahmekünstler nähert sich sein junger Landsmann Henrik Martin Dahlsbakken in seinem ambitionierten filmischen Porträtessay mit einem außergewöhnlichen ästhetischen Konzept. Er greift vier wichtige Abschnitte in Leben und Werk Munchs heraus und lässt ihn von drei Schauspielern und einer Schauspielerin verkörpern.

„Was macht Ihre Seele, Herr Munch?“, fragt der dänische Arzt Daniel Jacobsen (Jesper Christensen) seinen prominenten Patienten Munch (Ola G. Furuseth), der nach Alkoholexzessen, Halluzinationen und einem Zusammenbruch 1908 von einem Freund in eine Nervenklinik in Kopenhagen gebracht wurde. Die beiden diskutieren angeregt über die Frage: Krank oder genial? Der Arzt verweist darauf, dass große Künstler oder Intellektuelle wie Goethe oder Kierkegaard zwar von ihrer Schaffenskraft besessen, aber keineswegs wahnsinnig gewesen seien. Und er glaubt nicht, dass der 45-jährige Maler, der Angst vor einer womöglich ererbten Schizophrenie hat, wahnsinnig ist. Und meint, dass Munchs krankhafte Zustände vielleicht einfach nur „die Kapitulation des Nervensystems vor der Flut an Alkohol“ seien. Munch bleibt länger in der Anstalt als erhofft, wird aber schließlich als geheilt entlassen. Beim Abschied schenkt er dem Arzt zum Dank eine Porträtzeichnung, die er von Jacobsen angefertigt hat. 

Die Szenen aus der Klinik sind in Schwarzweiß und einem verkleinerten Bildausschnitt im 4:3-Format gedreht. Das enge Bildformat und das düstere Licht korrespondieren mit Munchs Melancholie und seiner seelischen Zerrissenheit. Diese Sequenzen stechen damit auch formal aus den farbigen Cinemascope-Bildern der drei anderen Lebensabschnitte heraus. Besonders groß ist der Kontrast zu den unbeschwert-heiteren Bildern des Sommers, den der 21-jährige Munch (Alfred Ekker Strande) mit Verwandten in einem Ferienhaus in Vestfold an der Küste verbringt. Dort verliebt er sich unglücklich in die verheiratete Milly (Thea Lambrechts Vaulen), die ihn nach einer kurzen Affäre aber rasch wieder fallen lässt. 

Die stärksten Verfremdungseffekte begegnen uns in der dritten Phase in Berlin. Sie spielt 1892, als Munch mehr als 50 Werke in seiner ersten Berliner Ausstellung zeigen darf. Doch nach heftigen Protesten von Publikum und enttäuschenden Kritiken wird die Schau schon nach sieben Tagen geschlossen. Der 30-jährige Munch (Mattis Herman Nyquist) ist frustriert und streift mit dem schwedischen Dramatiker August Strindberg (gespielt von Lisa Carlehed, einmal sogar mit aufgemaltem Schnurrbärtchen) und anderen Künstlerkollegen durch die Straßen. Doch dieses Berlin ist das heutige Berlin – mit Techno-Party, S-Bahn und Smartphones. Der Künstler ertränkt seinen Kummer in Alkohol und zeichnet schließlich mit schwarzer Malkreide den ersten Entwurf seines berühmtesten Bildes Der Schrei auf den blanken Atelierholzboden. 

Der Film beginnt und endet mit dem 80-jährigen Maler, der 1943 sich in sein großes Haus bei Oslo zurückgezogen hat, das vollgestellt ist mit Bildern. Betreut von einer braven Haushälterin laboriert Munch (nun gespielt von Anne Krigsvoll!) an einer Lungenentzündung, entscheidet sich aber nach dem Kurzbesuch deutscher Besatzungssoldaten für eine Testamentsänderung. „Alle Kunstwerke gehen an den Staat. So fällt hoffentlich nichts den Deutschen in die Hände“, sagt er seinem treuen Freund Rolf Stenersen (Anders Baasmo Christiansen). 

Diese vier Lebensabschnitte verbindet eine alternierende Montage auf elegante Weise, wobei die Schauplatz- und Zeitebenen in der zweiten Hälfte rascher wechseln und so für mehr Tempo in dem ansonsten eher gemächlichen Erzählfluss sorgen. So entsteht ein teils sprunghafter, nonlinearer, assoziativer narrativer Sog, der gängige biografischen Abfolgen auflöst. Der 1989 geborene Regisseur, der mit dem Thriller An Affair (2018) und der Komödie Another Happy Christmas (2020) in seiner Heimat große Kinoerfolge feiern konnte, schlägt zugleich mit filmischen Gestaltungsmitteln eine Brücke zur frühexpressionistischen Ästhetik Munchs, etwa wenn die Inszenierung die Alkoholexzesse, Albträume und Visionen des kranken Künstlers mit extremen Kamerapositionen, fiebriger Kameraführung, Jump Cuts, dissonanten Toncollagen und hochdramatischem Licht- und Schattenspiel einfängt. Gelegentlich sich die Regie die Freiheit, die Realitätsebene poetisch zu transzendieren: Als Munch und Strindberg mit dem Fahrrad über das weite Tempelhofer Flugfeld fahren, ist das Firmament erfüllt von leuchtenden Farben im Stil eines Munch-Gemäldes. 

Dahlsbakken, der passend zu den vier Zeitebenen mit vier Drehbuchautoren zusammengearbeitet hat, legt es nicht darauf an, neue Erkenntnisse über Leben und Schaffen zutage zu fördern. Aber er arbeitet klar heraus, wie sehr Munchs frühkindliche Krankheitsgeschichte – er verbrachte als Kind viele Monate im Bett — und die schweren Schicksalsschläge – er verlor die Mutter mit fünf Jahren und die ältere Schwester Johanne Sophie mit 14 Jahren – Munch für immer geprägt haben. Auch die brüchigen Liebesbeziehungen zu Milly Thaulow (Thea Lambrechts Vaulen) und Tulla Larsen (Gine Cornelia Pedersen) werden geschildert, drängen sich aber nicht in den Vordergrund. Zwischendurch wird gezeigt, wie sich Munch in angeregte Diskussionen mit Kollegen über die Kunst und den Sinn des Lebens stürzt oder über die Borniertheit der Bourgeoisie monologisiert. 

Der Film endet mit einer Art Schnelldurchlauf im Osloer Munch-Museum: Da flanieren Besucherinnen und Besucher teils in Zeitraffer an zahlreichen Munch-Bildern vorbei, bleiben stehen, schauen und lassen sie auf sich wirken. Im Abspann erfährt man, dass Munch 30.000 Kunstwerke hinterlassen hat. Es gibt also viel zu entdecken. 

Munch (2023)

„Munch“ widmet sich einem der größten Maler aller Zeiten. In vier bezeichnenden Episoden von Edvard Munchs Leben versucht der Film, ein nuanciertes Bild des Künstlers zu entwerfen, das sich vor allem um folgende Fragen dreht: Was trieb ihn an, was inspirierte ihn und was ließ das Licht seiner Inspiration und Imagination leuchten?

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Meinungen

Claudia Woeste · 13.11.2023

Ich fand den Film sehr schlecht. Die Filmszenen, die Munchs Berliner Zeit darstellen sollten, fanden im JETZT statt, d.h mit Handy, Techno Musik, aktueller Kleidung und Graffiti Sprühereien an den Wänden. Wie kann man einen Film, der an die Biografie des Künstlers angelehnt sein soll, so verunstalten. Man sollte die Zeit beachten, wann derjenige gelebt hat. Die Zeit hatte nichts mit der heutigen Zeit zu tun. Schade, gerade vor dem Hintergrund zweier Ausstellungen in Berlin und Potsdam.