Log Line

Karim Ouelhajs „Megalomaniac“ erinnert an die Hochphase des französischsprachigen Terrorkinos, übernimmt sich dabei aber massiv.

Megalomaniac (2022)

Eine Filmkritik von Ipke F. Cornils

Ermüdendes Gekröse

Das Geschwisterpaar Martha (Eline Schumacher) und Félix (Benjamin Ramon) teilen sich das Schicksal, Kinder des „Schlächters von Mons“ zu sein, eines realen Serienmörders, dem die Entführung und Ermordung mehrerer Frauen rundum die belgische Stadt Mons in den Neunzigerjahren zugesprochen wird – bis zu seinem mysteriösen Verschwinden. In der Filmhandlung bewohnen Jahre später die mittlerweile erwachsenen Geschwister dessen Haus. Während Martha ein Leben im Verborgenen als nächtliche Reinigungskraft führt, hat ihr Bruder nicht nur die patriarchale Macht des Vaters übernommen, sondern auch dessen „Profession“. Als es zu Übergriffen auf Martha an ihrem Arbeitsplatz kommt, droht die Spirale der Gewalt sich immer tiefer zu drehen.

Dass eine Geburt ein blutiges wie schmerzhaftes Unterfangen ist, dadurch gar an einen Horrorfilm erinnern kann, sollte weitgehend bekannt sein. Doch in den ersten Minuten von Karim Ouelhajs Megalomaniac wird sie vollends zur Horror-Vision: In einem dunklen Kellerverlies gebiert eine Frau in Ketten blutüberströmt ein Kind. Ihre Augen sind Blut unterlaufen und ihr Gesicht vor Schmerzen zu einer grotesken Fratze verzerrt. Nahtlos reiht sie sich in dieser dämonischen Erscheinung in die lange Liste monströser Mütter im Horror-Film ein, die von Alien (1979) über Braindead (1992) bis hin zu Mama (2013) und weiter reicht. Die einzigen Zeugen dieser Ereignisse sind Félix und sein Vater – ein untersetzter Glatzkopf, der für die schreiende Frau Geburtshelfer und Foltermeister in Personalunion ist. Es ist diese pervertierte Geburtsszene, aus der der Film nicht nur seine abgründige (Familien-)Geschichte über patriarchale Macht und vererbte Traumata spinnt, sondern die auch die Marschrichtung für das Folgende vorgibt: Es wird grausam, blutig und bösartig.

Seit seiner Ankündigung wurde Megalomaniac mit den Filmen der „New French Extremity“- Bewegung in Verbindung gebracht. So bezeichnet man das vermehrte Aufkommen französischsprachiger Filme um die Jahrtausendwende herum, die in irgendeiner Form als transgressiv gelten. Ursprünglich vor allem auf Autor:innenfilme wie Bruno Dumonts Twentynine Palms (2003) oder Catherine Breillats Romance (1999) bezogen, werden heutzutage auch Genre-Filme wie Alexandre Ajas High Tension (2003), Julien Maury und Alexandre Bustillos Inside (2007) oder Pascal Laugiers Martyrs (2008) als Teil der Bewegung angesehen. Dass Megalomaniac sich an genau dieser Kategorie von Film versucht, lässt sich anhand seiner stetigen Bebilderung von Mord, Folter und Vergewaltigung widerstandslos behaupten. Ebenso klar ist, dass Ouelhaj und sein Kameramann François Schmitt für ihren Film einen stimmungsvollen Neo-Gothic-Look voller Licht-, Schatten- und Farbkontraste geschaffen haben, der laut Eigenaussage von Gemälden von Johann Heinrich Füssli und Eugène Delacroix inspiriert sein soll. Die Vampir-Assoziation, die der blasse und hagere Felix weckt, wenn er sich blutbesudelt über eines seiner Opfer hermacht, ist daher bestimmt intendiert.

Doch so kunstvoll und schaurig-schön das Geschehen auch erscheinen mag, bei näherer Betrachtung und steigender Laufzeit erweist es sich mehr und mehr als leer und ermüdend. Zum Vergleich: Die Filme eines Gaspar Noé oder Nicolas Windig Refn sind ebenso von einem starken Stillwillen geprägt. Doch während sie diesen dazu nutzen, ihre Zuschauer:innen immer wieder zu überraschen und zum Denken anzuregen (Stichwort: Style is Substance), bietet Megalomaniac mit seinen ewig gleichen Blut-Spritzereien in Zeitlupe und verkünstelten Kamerafahrten und -einstellungen ein zunehmend enttäuschendes Seherlebnis, das sich in Wiederholungen verliert.

Ouelhaj scheint zudem entgangen zu sein, dass die oben genannten Filme bei aller Gewalt, allem Blut und Gekröse mit zur absoluten Genre-Speerspitze in Sachen Suspense und Atmosphäre gehören und stellenweise sogar als Fortführung von französischen Denker:innen und Künstler:innen der Überschreitung wie Antonin Artaud, Georges Bataille, Julia Kristeva u.a. rezipiert wurden. Bei Megalomaniac dagegen scheint ein altes Klischee zuzutreffen: So sehen wohl Filme aus von Menschen, die mit Eric Rohmer ebenso wie mit The Texas Chainsaw Massacre aufgewachsen sind. So wurde manchmal über die Filme der „New French Extremity“ gewitzelt. Fans des französischsprachigen Terrorkinos der Nullerjahre bietet Megalomaniac somit durchaus neues Futter. Aber unterm Strich gilt – passend zum Thema Megalomanie: Hier hat sich jemand ziemlich überschätzt.

Megalomaniac (2022)

Felix und Martha sind die sprichwörtliche Ausgeburt des Teufels. Vor vielen Jahren wurden ihre Mütter vom berüchtigten Schlächter von Mons vergewaltigt und später entsorgt. Heute leben die mittlerweile erwachsenen Geschwister nach wie vor im verwahrlosten Haus des Mörders, gemeinsam mit den Schrecken der Vergangenheit und dem Vermächtnis ihrer Prägung. Während sich Felix, ganz der Vater, auf täglichen Streifzügen seine halbtote Beute nach Hause holt, lebt die heftig gemobbte Martha ein möglichst unauffälliges Leben als Putzangestellte in einer Fabrik. Doch als eine Situation auf der Arbeit eskaliert, bricht sich auch in ihr ein wütendes Tier Bahn. (Quelle: Fantasy Film Fest)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen