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Mali war in den 1960ern und 1970ern eine Hochburg des Jazz, in einer ganz spezifischen afrikanischen Bigband-Ausrichtung. Eine Berliner Jazzkapelle spürt dieser Tradition nach, in Gesprächen und vor allem Jam-Sessions mit den afrikanischen Jazz-Veteranen.

Le Mali 70 (2022)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Bigbandjazz aus Afrika

Es ist manchmal eine Krux mit den Filmtiteln, speziell bei Musikfilmen. „Le Mali 70“ – was soll man sich darunter vorstellen? Wohl kaum eine mitreißende Würdigung und Wiederbelebung afrikanischen Bigband-Sounds aus den 1960ern, oder? Markus CM Schmidt begleitet die Musiker des Berliner Omniversal Earkestra auf einer Entdeckungsreise durch Mali, auf der Suche nach dem originalen Bigband-Afrojazz-Sound, der nach der französischen Kolonialzeit unter neuer, sozialistischer Regierung ab 1963 in höchste Blüten fand. Die Berliner Jazzer erfreuen sich an den alten Schallplatten von damals – und machen sich auf, die Veteranen „ihrer“ Musik zu treffen.

Jam-Sessions sind das Rückgrat des Films. Berliner Musiker treffen malische Musiker, und sie machen Musik. Im Hinterhof, bei einem Auftritt oder auf einer Bühne, die damals Teil war einer für unser heutiges Verständnis erstaunliche Einrichtung: ein Eisenbahnorchester, das am Bahnhof regelmäßig Jazz spielte, ein Ensemble, das heute noch, nach Jahrzehnten, in einem Verschlag die alten, rostigen Instrumente findet. Neben dem Musikmachen, der heutigen Reproduktion der damaligen Jazzkompositionen, geht ein Strang des Films auch den musikalischen Wurzeln nach, und das ganz konkret: Woher kommt dieser eine bestimmte Rhythmus in diesem einen bestimmten Lied, in dem, dem Text nach, Oumou aus N’gara ihre Hüften wiegt? Tatsächlich finden die deutschen Spurensucher auf einer Reise von der Stadt hinaus aufs Land und dann noch weiter in die Provinz diejenigen, die diese Oumou gekannt haben, die wissen, wie sie angekommen ist mit diesem Rhythmus, der sich weiterentwickelte, verselbständigte, zum Mali-Jazzstandard wurde.

Das Omniversal Earkestra ist aus musikalischem Interesse unterwegs und im Eigenauftrag einer Vereinigung der deutschen mit der afrikanischen Jazz-Tradition. Ein Album der gemeinsam aufgenommenen Lieder ist im November 2020 erschienen, jetzt kommt der dazugehörige Film in die Kinos — es lag halt auch Corona dazwischen… Den deutschen Musikern zuzusehen, wie sie voller Ehrfurcht und Wissbegierde den alten Mali-Musikern an den Lippen hängen, die von ihren großen Zeiten erzählen, von der Musik, die sie geschaffen haben, davon, wie die Musik entstanden ist, das hat was, das ist ansteckend auch für den Zuschauer, der dabei ist, wie Vergangenes aufgedeckt wird. Nach der Unabhängigkeit war Mali kubanisch orientiert, so ergab sich eine einmalige Melange: Jazz, der (wie es oft heißt) einzige ur-US-amerikanische Beitrag zur Kulturgeschichte der Menschheit, wurde mit afrikanischen Rhythmen vermengt (vgl. Oumou und ihre Hüften) und nochmal kubanisch angereichert. Das ist faszinierend, und der Film feiert diese Musik in vielen Liveauftritten.

Das ist auch bereichernd für die deutschen Musiker; und es ist Ursache für ein kleines bisschen Culture Clash. Wenn nämlich dann, in großer Besetzung, die deutschen Jazzbegeisterten mit den malischen Jazzklassikern gemeinsam musizieren, dann ist es für Cheick Tidiane Seck, der damals bei der Rail Band vom Bahnhof gespielt hat, ein Sakrileg, wie hier der Beat verdreht wird vom deutschen Arrangeur, wie der originale Groove verloren geht – ausgerechnet beim Oumou-Lied…! „Es ist eben Jazz“, meint Secks Kollege Salif Keita. „Wenn ihr das mit Absicht macht, gut. Man muss ja nicht immer an der Vergangenheit festhalten.“

Mit dem Militärputsch Anfang der 1970er war es aus mit der Musik. Die Freiheit des Jazz war dahin, die Musiker verstreuten sich. 2019, als dieser Film gedreht wurde, da gab es in Mali vielleicht wieder eine Hoffnung, an alte kulturelle Zeiten anzuknüpfen. Inzwischen ist erneut das Militär an der Macht; die europäischen Truppen, die den Islamismus zu bekämpfen halfen, sind rausgeschmissen, die russischen Söldner haben übernommen. Vielleicht wird dieser Film und das dazugehörige Album für lange Zeit das Letzte sein, was an Neuem aus der guten alten Jazz-Tradition Malis zu vernehmen ist.

Le Mali 70 (2022)

Cheick Tidiane Seck, Keyboarder der legendären Rail Band ist ungehalten. Die deutschen Musiker des Omniversal Earkestra spielen einen anderen Rhythmus als den, den er spielte, in den 1970ern, als er mit seiner Bigband in Bamako auftrat und riesigen Erfolg hatte. Bis die Regierung dem ein Ende setzte. Nun soll der Bigbandsound für ein gemeinsames Album auferstehen und da sind kulturelle Missverständnisse natürlich Teil des Programms. Die Ikonen von damals sind ganz in ihrem Element. Was als Spurensuche beginnt, wird zur Wiederauferstehung einer fast vergessenen Musik. Mitreißender afrokubanischer Bigbandjazz in einem (Quelle: Verleih)

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