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In Pakistan verliebt sich ein verheirateter Mann in eine trans Frau und Tänzerin. Ein stilvoll inszenierter Film über die unterdrückten Begehren von Menschen in einer patriarchalen Gesellschaft.

Joyland (2022)

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

Unterdrücktes Begehren

Homosexualität ist in der Islamischen Republik Pakistan verboten und unter Strafe gestellt. Gleichzeitig hat aber, wie in vielen südasiatischen Nationen, das Konzept eines dritten Geschlechts Tradition, und trans* Identitäten sind rechtlich anerkannt. Das widerstrebt islamistischen Parteien im Land, die behaupten, diese Rechtslage dekriminalisiere Homosexualität. Vor diesem Hintergrund überrascht die Zensurgeschichte des pakistanischen Films „Joyland“ nicht. Der Film von Saim Sadiq, der 2022 in Cannes den Preis der Jury gewann, zeigt die Liebesbeziehung eines Mannes und einer trans Frau. In seinem Produktionsland wurde er zunächst verboten, darf aber aufgrund öffentlichen Drucks inzwischen wieder gezeigt werden. Man fragt sich: Würden Scharia-Interpreten, die auf dem Geburtsgeschlecht beharren, wohl die Liaison eines Mannes und eines trans Mannes in Ordnung finden? Wie immer ist die menschenfeindliche Ideologie voller blinder Flecken.

Der Film entspinnt aus seinem gesellschaftlichen Hintergrund mehrere Geschichten über die unterdrückten Begehren der Mitglieder einer patriarchal geprägten Familie in Lahore, der zweitgrößten Stadt Pakistans. Haider (Ali Junejo) passt in diese Struktur nicht so richtig hinein. Sein Vater weist ihn an, eine Ziege zu schlachten, damit das Fleisch verkauft werden kann. Haider bringt es nicht übers Herz, am Ende nimmt seine Frau Mumtaz (Rasti Marooq) das Messer in die Hand. Haiders Bruder und dessen Frau haben schon vier Kinder bekommen mit dem Ziel, die männliche Nachfolge zu sichern. Haider und Mumtaz haben hingegen noch kein Kind, er bekommt dafür von seinem Vater Sprüche ab, die seine Potenz in Frage stellen. Und: Haider ist schon lange arbeitslos. Er kann es sich nicht mehr leisten, wählerisch zu sein. So landet er in einem Job als Backup-Tänzer in einem Mujra-Theater – die Untertitel sprechen von einem „erotic dance theatre“.

Mujra ist eine von Frauen, Showgirls quasi, dargebotene Form von Unterhaltungstanz, und ein häufiges Betätigungsfeld für trans Frauen. Wenn auch rechtlich anerkennt, so werden sie also doch häufig exotisiert und ausgestellt, scheint es. Der Star der Show in Joyland: Biba (Alina Khan), in die Haider sich bald verliebt. Währenddessen wird Mumtaz von seinem Vater dazu verdonnert, ihren Job als Kosmetikerin aufzugeben, nun da ihr Mann Geld nach Hause bringt, und die Hausarbeit zu übernehmen. Der Schnitt des Films erzeugt geschickt Kontraste zwischen den Handlungsorten und persifliert so die angestrebten Rollenbilder: Während Haider in der Wahrnehmung seiner Familie an Männlichkeit und Status hinzugewonnen hat, trägt er bei Biba den Spitznamen Julia, weil er als Schüler einmal Shakespeare spielte. Die Frauen verrichten zuhause schwere körperliche Arbeit, während Haider im Theater eben tanzt.

Joyland hat keine klare Hauptfigur. Bald folgen wir Biba, die im Theater zwar die Diva gibt, im Alltagsleben aber Anfeindungen ausgesetzt ist. Eine Szene verhandelt die filmische Darstellung von trans* Identitäten auf der Meta-Ebene: „Das deutsche Dokumentarfilmteam hat wieder angerufen, Biba. Sie wollen dich interviewen.“ „Zahlen sie?“ „Nein, aber sie drehen den Film für Tina.“ „Tina ist tot. Sie drehen ihn für sich selbst.“ Die Geschichte der verstorbenen Tina wird wenig später erzählt. Joyland thematisiert also, dass trans* Menschen in Gefahr leben, macht die Figuren aber nicht zu reinen Opferschablonen.

Auch Mumtaz’ Figur wird im Laufe des Films nicht vergessen, auch sie hat unterdrückte Begehren, beobachtet mit einem Fernglas Männer auf der Straße. Selbst der Patriarch der Familie wird dreidimensional gezeichnet: Er ist Witwer und einsam, die Altersgebrechen nagen an Stolz und Männlichkeit. Es bahnt sich eine mögliche Liaison mit einer ebenfalls verwitweten Nachbarin an, doch die Familie würde das missbilligen. Dass die Ehefrau und der Vater nicht nur funktionale Figuren sind, die Haider und Biba im Weg stehen, sondern Figuren mit eigenen emotionalen wie sexuellen Bedürfnissen, ist die große Stärke von Joyland. Der Film zeigt dadurch, dass alle unter dem Patriarchat und den Pietätsgeboten der Gesellschaft leiden.

Gen Ende kippt der Film ins Melodramatische, alles geht schief. Diese Zuspitzungen wären gar nicht nötig gewesen, denn auch ohne großes Drama wäre man diesen Figuren gerne noch eine Weile gefolgt. Stattdessen stellt sich der Ausbruch aus der restriktiven gesellschaftlichen Normalität einmal wieder, wie in so vielen Filmen, nur als Auslöser von Tragödien heraus. Vielleicht ist das eine spitzfindige Kritik, und echte Freiheit hätte auf ein pakistanisches Publikum arg utopisch gewirkt. Aber Kino kann ja gerade Möglichkeitsraum und Katharsis sein.

Trotzdem ist Joyland ein sehenswerter Film, der auch sehr gut inszeniert ist. Die Räume sind aus wohlüberlegten Perspektiven eingefangen; es wird mit Binnenkadrierungen gearbeitet, mit Licht und Schatten, um die Konflikte der Figuren, die Enge ihres Handlungsspielraums zu verbildlichen. Es ist ein Film voller Grauzonen. Niemand ist so richtig schuldig oder unschuldig, alle leiden unter der Unterdrückung ihrer Begehren. Am Ende klingt ihr betretenes Schweigen wie Geschrei.

Joyland (2022)

Während die Ranas — eine sehr patriarchal geprägte Großfamilie — der Geburt eines Jungen entgegenfiebern, schließt sich ihr jüngster Sohn einem erotischen Theater an und verliebt sich in ein ehrgeiziges Trans-Starlet. Die eigentlich völlig unmögliche Liebesgeschichte wirft ein Schlaglicht auf die gesamte Familie und befeuert deren heimlichen Wunsch nach sexueller Rebellion.

 

 

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