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Mit einer feinen Mischung aus Euphorie und Tragik erzählt „It’s a Sin“, wie die HIV-Epidemie Anfang der 1980er London erreicht und der Aufbruchstimmung einer jungen Generation schwuler Männer ein Ende zu setzen droht. Ein schwungvoll und einfühlsam bearbeitetes Thema, dem man lediglich etwas mehr Spielraum (und Episoden) gewünscht hätte.

It's a Sin (TV-Serie, 2021)

Eine Filmkritik von Dobrila Kontić

Der Ausbruch im Aufbruch

September, 1981: „Drüben ist es anders – sehr viel mehr Spaß!“ Mit diesen Worten bekommt der 18-jährige Ritchie (Olly Alexander) von seinem Vater eine Packung Kondome überreicht, als er sich auf den Weg von der Isle of Wight zum Studium nach London macht. Ritchie wirft die Kondome bald darauf über Bord. Schließlich ahnt sein konservativer Vater nicht, dass Ritchie schwul ist und wohl kaum Gefahr läuft, eine Frau zu schwängern. Zur gleichen Zeit trifft auch der bislang ebenfalls nicht-geoutete Waliser Colin (Callum Scott Howells) in London ein, um eine Ausbildung in einer feinen Herrenboutique zu absolvieren. Und anderswo in London befreit sich Roscoe (Omari Douglas) mit einer trotzig-aufbegehrenden Aktion (nicht die letzte ihrer Art) aus den Fängen seiner Familie, die ihm in Nigeria die Homosexualität ‚austreiben‘ lassen wollte.

In der angenehmen, von schmissigen 80er-Pop-Tracks unterlegten Schummrigkeit der Londoner Schwulenkneipen laufen sich die drei jungen Männer bald über den Weg. Gemeinsam mit Ritchies Schwarm Ash (Nathaniel Curtis) und seiner besten Freundin Jill (Lydia West), der einzigen Frau im Männerbund, gründen sie schließlich eine Wohngemeinschaft. Mit ausschweifenden Partys in ihrem „Pink Palace“, wie sie die Wohnung taufen, trotzen sie der Bigotterie der britischen Gesellschaft und der Inakzeptanz ihrer Familien.

Es ist eine freudige Aufbruchstimmung, die der erfahrene Drehbuchautor und Serienschöpfer Russell T. Davies (Queer as Folk, Doctor Who, Years and Years) in It’s a Sin von der ersten Minute an spürbar werden lässt. Die Welt scheint den fünf Freunden offenzustehen. Und doch wird ihre Euphorie darüber, ihre Sexualität frei ausleben zu können, sehr bald konterkariert von dem, was in einigen Szenen zuerst als rätselhaftes Phänomen umschrieben, dann als Gerücht verworfen, aber für alle Zuschauer*innen am Ende der ersten Episode offensichtlich wird, als der erste Mann im Bekanntenkreis der fünf stirbt: Die HIV-Epidemie, deren verheerende Krankheitsverläufe nur wenige Monate zuvor erstmals in den USA dokumentiert wurden, greift in London um sich.

It’s a Sin zeigt im Verlauf der fünf 45-minütigen Episoden, die sich über die Zeit von 1981 bis 1991 erstrecken, wie die Einschläge der „Pink Palace“-Gruppe immer näher kommen, diese sich aber noch lange gegen die Eintrübung ihrer Aufbruchstimmung wehrt. Lediglich Jill entwickelt ein frühes Bewusstsein für die Krankheit und deren Stigmatisierung, die wiederum der dringend nötigen Aufklärung und wirksamen Behandlung im Weg steht. Bald engagiert sie sich als Aktivistin in der Beratung von HIV-Infizierten, die, wie die Serie in erschütternden Szenen aufzeigt, einen frühen und einsamen Tod auf Isolierstationen erwarten konnten. Unterdessen kämpft Jill aber lange vergeblich gegen die Verdrängungsmechanismen ihrer Mitbewohner an, allen voran Ritchies.

Russell T. Davies gelingt mit den ersten drei Episoden von It’s a Sin erzählerisch Verblüffendes: Schwung- und humorvoll führt er uns an seine Figuren und ihr Lebensgefühl in einem mit viel Liebe für Zeitkolorit gestalteten Setting heran, lässt fast gleichzeitig die Tragik Einzug halten, ohne dass der Tonfall der Serie jemals ins gänzlich Hoffnungslose oder Düstere kippt. It’s a Sin wirft auf dieses verheerende Jahrzehnt, in dem die HIV-Epidemie so viele junge Menschen mitsamt ihren erstmals gelebten Hoffnungen und Wünschen begrub, einen forschen, aber einfühlsamen Blick.

Diesem hätte man etwas mehr Spielraum und zusätzliche Episoden gewünscht, vor allem wenn es ab der vierten Episode zunehmend darum geht, wie sich der Komplex aus anhaltender Diskriminierung sowie früh verinnerlichter Scham und Schuld auf die Ausbreitung der Epidemie auswirkte. Solch eine Gesellschaftsanalyse wird auf den letzten Metern der Figur Jill aufgebürdet, die im Serienverlauf ohnehin in erster Linie als personifiziertes Gewissen dient, statt charakterlich so weit ausgestaltet zu sein, wie es etwa Colin und Ritchie sind. Ähnliches gilt auch für Ash, der zumeist als dekorativ abgestellte Love Interest auf seine Auftritte wartet.

Man muss Russell T. Davies allerdings zu Gute halten, dass er den Plot von It’s a Sin ursprünglich für acht Episoden angelegt hatte, aber aufgrund des von Fernsehmachern als ‚tough‘ erachteten Themas Probleme hatte, überhaupt einen Sender für diese Produktion zu gewinnen. Und letztlich mag es auch zur Botschaft dieser überaus ergreifenden Serie gehören und ihr besonderes Verdienst sein, dass man einfach zu gern mehr Zeit mit ihren Figuren verbracht hätte.

It's a Sin (TV-Serie, 2021)

Eine Chronik von vier Freunden während eines Jahrzehnts, in dem sich alles veränderte, auch das Aufkommen von AIDS.

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