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David gegen Goliath, so lautet die Geschichte vom Triumph des Underdogs. Aber es hat auch seine Reize, sich den starken Riesen einmal genauer anzuschauen. Besonders wenn er so mächtig ist wie der Konzern Monsanto, auf dessen Machenschaften der Ökothriller von Frédéric Tellier anspielt.
 

Goliath (2022)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

HÄNDLER DES ZWEIFELS

2017 versprach der französische Präsident Emmanuel Macron, er werde das krebserregende Pflanzenschutzmittel Glyphosat verbieten. Drei Jahre später musste er sein Scheitern eingestehen. An seiner Haltung zur Gefährlichkeit des Pestizids habe sich allerdings nichts geändert. Wie kann das sein? Warum kann der mächtigste Mann eines zentralistischen Staates nicht durchsetzen, was er für richtig hält? Die Antwort gibt der französische Regisseur Frédéric Tellier in einem packenden Ökothriller. Seine Diagnose, verpackt in eine episodische Story um drei Einzelschicksale, lautet: Mit dem biblischen Goliath haben die Chemie- und Pharmariesen von heute wenig zu tun. Sie sind keineswegs plump, sondern so aalglatt, dass man sie kaum zu fassen kriegt.

Eine Runde hoher Herren im noblen Konferenzsaal: Champagner wird gereicht, während auf einer Leinwand ein TV-Interview läuft. Es geht um Kinderarbeit im Kongo, wo Kobalt für E-Autos abgebaut wird. „Könnte das Video, das dazu viral ging, ein Trick sein, um die Elektrifizierung von Pkws zu diskreditieren?“, fragt eine Journalistin. Die hohen Herren buhen. Nein, das sei kein Trick. Da ist sich der Minister sicher. Man müsse vor diesem Hintergrund die Debatte um den Verbrennermotor neu bewerten. Schließlich habe der Diesel große Umweltvorteile. Großes Gejohle der Zustimmung. Gläser klirren, man prostet sich zu. Das Verrückte dabei: Der Minister wiederholt bis in den kleinsten Wortlaut hinein jene Argumente, die der Lobbyist Mathias (Pierre Niney), Urheber des Videos, kurz zuvor auf einer Podiumsdiskussion vorgetragen hatte. Mathias arbeitet für eine Lobbyfirma, die für alles Stimmung macht, was der Industrie in den Kram passt. Ganz egal, ob es sich um Diesel oder Glyphosat handelt, das im Film Tetrazine heißt.

Mathias ist gut in seinem Job. Er ist ein Wolf im Schafspelz. Die schmale Statur und die sanften Augen kaschieren seine raubtierhafte Intelligenz. Die vorgespielte Ehrlichkeit verschafft ihm einen entscheidenden Vorteil gegenüber den beiden anderen Protagonisten des Films, die tatsächlich ehrlich sind. Patrick (Gilles Lelouche) kämpft als Umweltanwalt seit Jahren gegen Pestizide. Aktuell vertritt er Lucie (Chloé Stefani), deren Geliebte an Krebs starb, weil sie jahrelang das Gift auf ihren Äckern versprühte. Auch die Sportlehrerin France (Emmanuelle Bercot) engagiert sich gegen das Pestizid. Ihr Mann Zef (Yannick Renier) wurde ebenfalls davon krank. Eine Weile laufen die drei Erzählstränge nebeneinander her. Aber als die Situation eskaliert, verknüpfen sie sich miteinander.

Dass Goliath nicht von Monsanto und Glyphosat spricht, obwohl es genau darum geht, hat nicht nur juristische Gründe, sondern einen dramaturgischen Vorteil. Die Fiktionalisierung ermöglicht es Regisseur Frédéric Tellier (L’affaire SK1, 2014), den komplexen Stoff in eine dichte Inszenierung zu packen. Und: Lobbyarbeit findet überwiegend im Geheimen statt. Ihr kann man nur schwer mit dokumentarischen Mitteln beikommen.

In der Figur des hauptberuflichen Faktenverdrehers Mathias dringt der Film dagegen tief in die Mechanismen einer gefährlichen Unterwanderung von Politik und Gesellschaft ein. Händler des Zweifels nennt sich der smarte Vasall des Kapitals einmal. Genau darin besteht sein Geschick: Leute zu verunsichern, Wissenschaftler auf seine Seite zu ziehen, auf der Klaviatur der sozialen Medien zu spielen. Zugleich hat er auch den Mann fürs Grobe in seinem Repertoire. Er versteht es, einzuschüchtern, zu bestechen und sogar einen Schlägertrupp vorbeizuschicken. Pierre Niney spielt das mit einer irrlichternden Mischung aus Verschlagenheit, doppelter Moral und einer Art Persönlichkeitsspaltung. Immer wieder ertappt man sich dabei, ihm tatsächlich glauben zu wollen, dass es ihm nur um das Wohl von uns allen geht.

Selbstverständlich schlägt das Herz des Films für die gute Sache, für die ehrlichen kleinen Leute, den Anwalt und die Lehrerin. Aber eine Erin Brockovich (2000) oder ein Anwalt wie Mark Ruffalo in Vergiftete Wahrheit (2019) von Todd Haynes können sie nicht werden. Dagegen sprechen die Fakten des Monsanto-Falls. Obwohl interne Firmenpapiere ans Licht kamen, die die dunklen Machenschaften des Konzerns enthüllten, verlängerte die EU-Kommission 2017 die Zulassung von Glyphosat um weitere fünf Jahre. Insofern macht der Filmtitel schon klar, dass die Davids dieser Welt noch eine Weile weiterkämpfen müssen. Das passt nicht richtig ins Konzept eines klassischen Öko-Thrillers und es schwächt auch die Identifikationsmöglichkeiten mit den eigentlichen Helden des Films. Trotzdem bleibt es ein Riesen-Verdienst, die Machenschaften des Lobbyismus einmal in ihrer ganzen Breite und Tiefe aufzufächern, ohne in Dämonisierung zu verfallen. Das Böse ist in unserer von Social Media geprägten Welt immer schwerer zu fassen. Es verändert sich wie ein Chamäleon und verbirgt seine Fratze hinter vermeintlichem Gutmenschentum, einer schmalen Statur und sanften Augen.

 

Goliath (2022)

Im normalen Leben wären sie sich vermutlich nie begegnet: Die Sportlehrerin France schuftet nachts in einer Fabrik und setzt sich gegen den Einsatz von Pestiziden ein.  Patrick ist ein Anwalt aus Paris und spezialisiert auf Umweltrecht. Und Mathias ist ein Lobbyist in Diensten eines Agrochemie-Konzerns. Nach einer radikalen Tat kreuzen sich ihre Wege nun aber und ihre Lebenswege geraten völlig aus der Spur.
 

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