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England im Jahr 1657: Auf einer abgelegenen Farm in Shropshire lebt eine gottesfürchtige Familie in bescheidener Harmonie, bis eines Tages der beschauliche Rhythmus ihres Lebens durch zwei Fremde unterbrochen wird, die nackt in ihrer Scheune Zuflucht suchen. Deren Ankunft verändert alles.

Die Erlösung der Fanny Lye (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Emanzipation avant la lettre

England im Jahre 1657: Die Regentschaft Oliver Cromwells neigt sich gerade ihrem Ende, ein Jahr später wird er tot sein und sein politisches Erbe für lange Zeit in Vergessenheit geraten. Die Versuche des Lordprotektors, das Land zu einen und zu einer Republik umzuformen, werden bald schon scheitern. Die von ihm einst gestürzte Monarchie ist im Inbegriff, die Macht wieder an sich zu reißen. Drei Jahre später schon wird Karl II. den Thron besteigen und die alte Herrschaft wieder etablieren. Noch aber herrscht der Geist der Freiheit vor, ein kurzes Aufscheinen der Freiheiten, die dem Absolutismus früherer und späterer Regenten radikal widersprechen.

Von all dem ist in der beschaulichen Grafschaft Shropshire in den West Midlands nahe Birmingham wenig zu spüren. Hier lebt der gottesfürchtige ehemalige Soldat und Gefolgsmann Cromwells John Lye (Charles Dance) zusammen mit seiner Frau Fanny (Maxine Peake) und dem gemeinsamen Sohn Arthur (Zak Adams) auf einer Farm. Die Ehe folgt den strengen Regeln eines religiös begründeten Patriarchats mit John als absolutem Herrscher über seine gehorsame Ehefrau und den Sohn, was sich allein schon deutlich sichtbar ausdrückt, wenn die Familie zum gemeinsamen Kirchgang aufbricht: Der Vater hoch zu Ross, Fanny und Arthur zu Fuß hinterher. Ein einfaches Bild, doch eines, das schnell klar macht, dass die Machtverhältnisse hier ganz klar und straff strukturiert sind. Doch just an eben jenem Tag wird bei der Rückkehr alles anders sein.

Denn bei ihrer Heimkehr von der Kirche entdecken sie in der Scheune ein fremdes Pärchen, das dort sein Lager bezogen hat: Thomas (Freddie Fox) und Rebecca (Tanya Reynolds) behaupten, unterwegs von Schurken all ihrer Habseligkeiten beraubt worden zu sein. Und obwohl der gottesfürchtige John einigen Argwohn gegen die beiden jungen Leute hegt, willigt er ein, ihnen aus reiner christlicher Nächstenliebe Schutz und Obdach zu gewähren. Das allerdings hat erhebllche Folgen, denn zum einen ist deren Freiheit und Lebensfreude dem puritanischen Asketen John schnell ein Dorn im Auge. Und als zwei Tage später der Sheriff mit seinen Helfern auftaucht und nach den Fremden fragt, bringen diese Arthur als Geisel in ihre Gewalt, um so eine Auslieferung an die Obrigkeit zu verhindern. Und von da an ist nichts mehr, wie es war, die angeblich „gottgewollte“ Ordnung der Dinge wird auf den Kopf gestellt. Am Ende bedeutet dies vor allem für Fanny eine Befreiung aus einem unerträglichen, aber niemals hinterfragten Joch. Doch der Ablösungsprozess geschieht nicht von alleine, sondern ist hart erkämpft.

Die Erlösung der Fanny Lye ist ein (im besten Sinne) sehr eigentümlicher Film – ein Genrebastard, der zwischen allen Stühlen festhängt oder vielmehr sich sehr frei zwischen all diesen bewegt. Lange Zeit geschieht zugegebenermaßen nicht viel diesem Film und erst recht nichts, dass die FSK-Einstufung 18 auch nur annähernd rechtfertigen würde. Fast ausschließlich auf dem sorgsam rekonstruierten und im Stil der Zeit sehr spartanisch eingerichteten Hof angesiedelt, gleicht der Film beinahe schon einem Kammerspiel und verdeutlicht so die Enge des Denkens und des Weltbildes, in dem Fanny verharren muss, bis die Ankunft der Fremden ihr vor Augen führen, wie unfrei sie wirklich ist.

Der Wandlungsprozess, in dessen Verlauf Fanny immer mehr in den Fokus der Erzählung rückt, ist bewusst langsam, beinahe schon provozierend verschleppt inszeniert und sperrt sich so gegen alle Konventionen des Subgenres Elevated Horror, in dessen Nähe man den Film zuerst verortet. Getragen vom differenzierten Spiel des gesamten Casts und der nuancierten Regie zieht Die Erlösung der Fanny Lye beinahe unmerklich die Schrauben an, explodiert dann kurz und heftig und im Sinne der langsam ansteigenden Spannungskurve durchaus folgerichtig und schließt am Ende mit einem Bild, das fast so etwas wie Frieden und Harmonie ausstrahlt und nahezu versöhnlich wirkt.

Die Erlösung der Fanny Lye (2019)

Die Geschichte einer puritanischen Familie im Jahr 1657, deren schlichte Existenz auf einer abgeschiedenen Farm auf eine blutige Probe gestellt wird.

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Meinungen

HP · 13.03.2021

Nette Kritik - aber die von Robert Wagner auf critic.de gefällt mir ein wenig besser. Nix für ungut.