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Folk Horror meets Historiendrama – in „Des Teufels Bad“ erzählen Veronika Franz und Severin Fiala von einem historischen Fall aus Oberösterreich im 18. Jahrhundert, als eine Frau auf ungewöhnliche Weise den Tod suchte.

Des Teufels Bad (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der letzte Ausweg

Die auf dem Hügel ausgestellte Leiche einer Hingerichteten, von deren Tat der Epilog zu „Des Teufels Bad“ berichtet, ist eine Mahnung an all die Frauen, die den Gedanken hegen, sich den rigiden Regeln des Zusammenseins zu entziehen. Aufgerichtet sitzt der Leichnam da, im blutbefleckten Gewand. Der abgetrennte Kopf befindet sich nebendran in einem eisernen Käfig als Schutz vor gefräßigen Tieren. Das Vergehen der Frau, die hier auf solch schauderhafte Weise ausgestellt wird: Sie hatte einen schreienden Säugling einen Wasserfall hinuntergeworfen.

Erst im Verlauf des Films werden sich die Hintergründe dieser Tat offenbaren, auf den der Titel sich bezieht: Von sogenannten melancholischen Menschen (heute würde man diese als Menschen, die unter Depressionen leiden) hieß es, dass sie im Bad des Teufels gefangen seien. Selbstmord als letzter Ausweg war aber nach den Lehren der Kirche eine Todsünde, für die die ewige Verdammnis drohte. Also breitete sich (historisch verbürgt in Ländern wie Deutschland, Österreich, Schweden, Frankreich und England) ein Phänomen aus, das die Wissenschaft heute als „suicide by proxy“ bzw. „mittelbaren Selbstmord“ bezeichnet.

Um der Verdammnis eines Selbstmordes zu entkommen, verübten die Frauen rituell anmutende Morde, vorwiegend an Kindern, um auf diese Weise verhaftet und hingerichtet zu werden. Dass überwiegend Kinder diesen Taten zum Opfer fielen, hing damit zusammen, dass diese sich in einem Zustand der Unschuld befanden und ihnen damit der Weg ins Himmelreich gewiss sei. Ein weiterer Vorteil dieses ungewöhnlichen Weges: die Beichte vor der Hinrichtung ermöglichte es auch den Täterinnen, frei von Sünden Gnade vor den Augen des jüngsten Gerichts zu finden.

Dieses Phänomen wurde erst verhältnismäßig spät von der Geschichtswissenschaft entdeckt, dem Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala (Ich seh, ich seh; The Lodge) dient es als Ausgangspunkt für eine düstere Reise in die Vergangenheit, die an Filme wie Robert EggersThe VVitch und Lukas Feigelfelds Hagazussa erinnert.

Im Mittelpunkt steht Agnes (die Musikerin Anja Plaschg von Soap&Skin, die bereits in Ruth Beckermanns Die Geträumten und Sebastian Meises Stillleben zu sehen war), eine empfindsame und tiefgläubige junge Frau, die Mitte der 18. Jahrhunderts in einer bäuerlich geprägten, erzkatholischen und bitterarmen Region Niederösterreichs aufwächst. Statt die Gesellschaft zu suchen, streift sie lieber durch den Wald und sammelt kleine Schätze der Natur, die sie wie Kostbarkeiten aufbewahrt. Die gerade geschlossene Ehe mit Wolf (David Scheid) setzt sie noch mehr unter Druck, weil damit die Erwartung verbunden ist, dass sie ein Kind – am besten noch einen Sohn – auf die Welt bringt. Allein, das Zusammensein mit ihrem Ehemann ist so freudlos, dass man sich fragt, wie das überhaupt geschehen soll. Sie ist und bleibt eine Träumerin, eine Fremde, die sich eigentlich nur eines wünscht: „Ich wollte weg sein aus der Welt“.

Ein Selbstmordversuch mit Rattengift schlägt fehl, der Druck wächst weiter an, bis sie keinen anderen Ausweg mehr aus ihrem Dasein sieht (ausgelöst übrigens durch eine donnernde Predigt des örtlichen Pfarrers), als ein Kind zu töten und durch die daraus resultierende Verurteilung und Hinrichtung endlich sterben zu können.

Schwer liegt der Nebel über den Tälern, dunkel sind die Behausungen, Grau-, Blau- und Erdtöne dominieren die Farbpalette von Des Teufels Bad, der immer wieder beredte Details des dumpfen Lebens der armen Bauerngesellschaft einstreut, die für eine „Melancholikerin“ keinerlei Verständnis hat. Dass die ausbleibende Schwangerschaft trotz eines Talismans unter der Matratze des Ehebetts selbstverständlich Agnes’ Schuld ist, obwohl man genau sieht, dass ihr Ehemann keinerlei (sexuelles) Interesse an ihr zeigt, gehört ebenso zu den Grausamkeiten einer streng patriarchalen Gesellschaft wie die entsetzliche Zurschaustellung der geköpften Sünderin.

Lange Zeit trotz einiger ausgesuchter Schockelemente relativ verhalten erzählt, gewinnt Des Teufels Bad erst gegen Ende an emotionaler Kraft; wenn Agnes in einer beeindruckenden Szene Beichte ablegt über ihr Tun und wir zum ersten Mal hören, wie sie ihre Seelenpein ausbreitet, erahnt man das ganze Ausmaß der inneren Verheerungen und des großen Leids, dass diese Frau mit sich herumträgt. Der Tod durch das Richtschwert kommt einer Erlösung gleich und just in diesem Moment findet Agnes vielleicht zum ersten Mal eine Ahnung davon, was Gemeinschaft bedeuten kann: Als sie auf dem Richtplatz ein Lied zur Ehre der Gottesmutter Maria anstimmt, fällt ein kleines Mädchen aus dem Publikum mit ein, bis der Hieb des Henkers den Zwiegesang jäh beendet. Ein kurzer Moment der (weiblichen) Solidarität – und vielleicht der einzige Hoffnungsschimmer in einem niederschmetternd düsteren Film über die Grausamkeiten vergangener Zeiten.

Gesehen bei der Berlinale 2024

Des Teufels Bad (2024)

Oberösterreich im Jahr 1750: Ein Karpfenteich reflektiert das Grau des Himmels. Ein tiefer, dunkler Wald schluckt das Sonnenlicht. Auf einem Hügel wird eine Hingerichtete zur Schau gestellt. Als Exempel. Als Warnung. Ein Omen? Die tiefreligiöse und hochsensible Agnes betrachtet die tote Frau mit Mitleid. Auch mit Sehnsucht, denn sie fühlt sich fremd in der Welt ihres Mannes Wolf, in die sie gerade eingeheiratet hat. Eine gefühlskalte Welt voller Arbeit, Verrichtungen und Erwartungen. Immer mehr zieht sich Agnes zurück. Immer enger wird ihr inneres Gefängnis, immer erdrückender ihre Melancholie. Eine Gewalttat scheint ihr bald der einzige Ausweg. (Quelle: Berlinale)

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