Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten (2015)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Eilis

Irland in den 1950er Jahren. Eine junge Frau steht in einem Laden in dem kleinen Ort Enniscorthy hinter dem Tresen. Ihre Chefin erscheint – und entlässt sie. Denn Eilis (Saosire Ronan) wird Enniscorthy verlassen und auf Betreiben ihrer älteren Schwester Rose (Fiona Glascott) nach New York, genauer nach Brooklyn auswandern. Rose hat den katholischen Priester Father Flood (Jim Broadbent) überzeugt, Eilis die Überfahrt zu finanzieren und eine Unterkunft sowie Anstellung zu besorgen. Für Eilis beginnt damit eine neue Zukunft, sie dachte, sie würde irgendwann heiraten und mit ihrer Mutter und Schwester ihr Leben in Enniscorthy verbringen. Nun erwarten sie in Brooklyn neue Freiheiten und Möglichkeiten, die ebenso aufregend wie verunsichernd sind.

Brooklyn ist die hinreißende Verfilmung des gleichnamigen Romans von Colm Tóibín, in dem er aus Eilis‘ Perspektive von dem Leben und Möglichkeiten einer jungen Frau in den 1950er Jahren erzählt. Im Roman und im Film werden die üblichen Stationen einer Entwicklungsreise abgehandelt, dabei besticht das Buch insbesondere durch die Innenperspektiven, in denen Eilis‘ Heimweh, ihre Sorgen, die Erwartungen ihrer Schwester nicht zu erfüllen, und ihre Unsicherheiten deutlich werden. Glücklicherweise übersetzen Drehbuchautor Nick Hornby und Regisseur John Crowley diese Gedanken nicht mittels Voice-over – nur am Ende des Films wird dieses erzählerische Mittel effektvoll eingesetzt –, sondern vertrauen stattdessen zur Gänze auf die Bildsprache sowie ganz besonders auf die Ausdruckskraft ihrer Hauptdarstellerin. Saoirse Ronan vermag mit nur einem winzigen Wechsel in der Mimik auszudrücken, wofür sonst viele Worte notwendig wären. Sie verkörpert diese junge Frau in unaufdringlicher Perfektion. Dabei ist Eilis auf gewöhnliche Art und Weise eine ungewöhnliche Frau: Sie sucht nicht das Abenteuer, vielmehr wird sie von ihrer Schwester in eines hineingeworfen, weil Rose möchte, dass Eilis mehr Perspektiven hat als zu heiraten. Oftmals erscheint Eilis zögerlich und zurückhaltend, scheinen andere über ihr Leben zu bestimmen. Aber sie strahlt eine große Ruhe aus, die zunehmend zur Selbstsicherheit wird. Unterstützt wird Saoirse Ronan hierbei von einer feinen Besetzung, aus der insbesondere Emory Cohen und Domnhall Gleeson als ihre beiden Verehrer herausragen.

Allzu leicht hätte Brooklyn im Kitsch versinken können, aber der Film ist mit einer fast altmodischen Ruhe und Sorgfältigkeit inszeniert, in der der Score von Michael Brook über weite Strecken des Films unaufdringlich eingesetzt wird, die Kamera von Yves Bélanger (Dallas Buyers Club) beinahe beiläufig Details einfasst und das Drehbuch nur scheinbar belanglose Einzelheiten wie Tonys (Emory Cohens) Football-Begeisterung enthält, die sowohl zu seiner Charakterisierung als auch zur Beschreibung des Lebens im Brooklyn der 1950er Jahren beitragen. Dennoch ist der Film entgegen seines Titels kein vollständiges Porträt von Brooklyn, sondern er rückt – ebenso wie der Roman – Eilis in den Mittelpunkt. Sie ist in fast jeder Szene zu sehen und die Stadt ist überhaupt erst mit ihr und durch sie zu erfahren. Dadurch wird ihre Entwicklung nachvollziehbar: Sie ist anfangs eine Fremde in Brooklyn, muss sich erst an das Leben in der Pension der gestrengen Mrs. Kehoe (Julie Walters) sowie die Größe des Viertels gewöhnen. Durch ihren Weggang wird sie zudem zu einer Fremden in Enniscorthy. In der damaligen Zeit war es ungewöhnlich, dass Menschen wieder zurückkehrten – es sei denn, sie waren in den USA alt geworden. Doch Eilis hat einen Grund – und bei ihrer Rückkehr genießt sie sowohl die Bewunderung, die allem Neuen entgegengebracht wird, sie erlebt aber auch die Einsamkeit derjenigen, die nicht mehr vollends dazu gehören. Dadurch erzählt der Film auch von den Erfahrungen der Emigration.

Und wenngleich der deutsche Titelzusatz „Eine Liebe zwischen zwei Welten“ darauf hindeutet, ist Brooklyn kein „Finding Mr. Right“-Film. Hier gibt es wie im wahren Leben nicht nur eine Möglichkeit zum Glück. Somit ist Brooklyn aufgrund der sorgfältigen Zurückhaltung in der Inszenierung, des sehr gelungenen Drehbuchs von Nick Hornby und der sensationellen Hauptdarstellerin Saoirse Ronan ein sehr schönes, wunderbares, altmodisches Melodram.
 

Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten (2015)

Irland in den 1950er Jahren. Eine junge Frau steht in einem Laden in dem kleinen Ort Enniscorthy hinter dem Tresen. Ihre Chefin erscheint – und entlässt sie. Denn Eilis (Saosire Ronan) wird Enniscorthy verlassen und auf Betreiben ihrer älteren Schwester Rose (Fiona Glascott) nach New York, genauer nach Brooklyn auswandern. .

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Meinungen

Martin Zopick · 28.06.2020

John Crowley, der bereits mit ‘Boy A‘ überzeugte, hat nach einen Drehbuch von Nick Hornby den Roman von Colm Toibin filmisch eins zu eins umgesetzt. Dabei ist nichts vom Charme der Vorlage verloren gegangen. Der Roman war allerdings auch nicht unbedingt spektakulär und sprachlich gradlinig leichtfüßig gehalten (das meine ich keineswegs negativ). Dabei bestand die Gefahr jetzt durchaus, dass man in Gefühlsduselei hätte versinken konnte. Das hat Crowley aber ganz generell vermieden, trotz der vielen Tränen, die hier vergossen werden. Außer der Liebe geht es hier aber auch um Heimweh und die Emanzipation einer jungen Frau. Abgesehen von der überzeugend eingefangenen Atmosphäre der quietschebunten 50er Jahre im Gegensatz zu düsteren Bildern dieser an sich so verklemmten Zeit, ist wohl ein großer Teil des Erfolges dieses Films der Hauptdarstellerin mit dem schwer auszusprechenden Vornamen Saoirse (Sierscha) Ronan als Eilis Lacey anzurechnen. Sie ist das Gesicht des Films und hat sich ja nach ‘Himmel‘ und ‘Hanna‘ zu einer ganz großen Schauspielerin gemausert (2016 nominiert!). Aber auch Nebenrollen passen hier großartig ins Bild. Julie Walters als kantig liebenswerte Vermieterin und Jim Broadbent als Pater Flood, väterlicher Förderer von Eilis. Er bringt wie gewohnt die Warmherzigkeit zum Schwingen. Ein Großteil der Komik kommt von den zickigen Mitbewohnerinnen der Pension. Auch die beiden jungen Männer, die um Eilis werben, sind ausgewogen gecastet. Sie müssen auch gleichwertig erscheinen. Tony (Emory Cohen) hat den Heimvorteil von Brooklyn und damit die Zukunft auf seiner Seite, Jim (Domhnall Gleeson) die ganze Wucht der heimatlichen Gefühle, also mehr die Vergangenheit. Der Zuschauer steht emotionsmäßig mittendrin zwischen den beiden. So hat es Toibin auch angelegt. Ein Feel-Good Movie durch und durch.
Im Roman gibt’s eine Defloration die hat echt die literarische Qualität eines D.H. Lawrence.

Ralf Reck · 12.02.2016

Die junge Irin Eilis Lacey (Saoirse Ronan) verlässt 1952 Schwester (Fiona Glascott) und Mutter (Jane Brennan), um auf Vermittlungs eines Pfarrers (Jim Broadbent) in Brooklyn/New York in einem Kaufhaus Arbeit zu finden. Sie wohnt in Brooklyn in einem Pensionat unter der Leitung der strengen Mrs. Keogh (Julie Walters). Die fleißige und als Verkäuferin wohl gelittene Eilis bildet sich weiter, sie will, wie ihre Schwester, Buchhalterin werden. Auf einem Tanzabend lernt sie den ihr intellektuell unterlegenen (und etwas kleineren), als Klempner arbeitenden Italiener Antonio Fiorello (Emory Cohen) kennen, der ihr seine Liebe gesteht. Unerwartet verstirbt Eilis Schwester Rose. Vor der Abfahrt nach Irland heiratet Eilis Antonio standesamtlich. Zurück in der Heimat umwirbt sie (ihre Heirat verheimlicht Eilis) der begüterte, intellektuell und von der Körpergröße her besser zu ihr passende Jim Farrell (Domhnall Gleeson) und macht ihr einen Antrag. Wie eine Schicksalsgöttin greift die gehässige Ladenbesitzerin Mrs. Kelly (Brid Brennan), bei der Eilis früher ausgeholfen hatte, in das Geschehen ein. Über Bekannte, die irische Welt ist ein Dorf, hatte diese von der heimlichen Hochzeit in Brooklyn gehört und konfrontiert Eilis damit. Eilis kann sich plötzlich entscheiden, bekennt sich zu ihrem Ehemann, eröffnet ihrer konsternierten Mutter, dass sie nicht den reichen Nachbarsjungen heiratet, sondern bereits am nächsten Tag zu ihrem Ehemann zurückkehren wird. Dort überrascht sie Antonio auf der Straße. Ob diese Beziehung langfristig hält, darf bezweifelt werden. Aber alle Märchen enden mit dem Beginn, nicht mit der Mitte oder dem Ende einer Ehe.
Was macht die Qualität dieses Films aus, obwohl die Geschichte nach Hedwig Courths Mahler klingt. Zum einen die altmodische, unprätentiöse Art der Schauspielerführung, der Requisite und insgesamt der Regie, zum anderen die sich nicht aufdrängende, geradezu zurückhaltende, im fast unmerklichen Detail liegende schauspielerische Leistung von Saoirse Ronan. Der gesamt Film vermittelt in ihrer Gestalt ein sentimentales Gefühl von Heimweh, von verpassten, aber nicht zu bereuenden Gelegenheiten, von den sich schlängelnden, mutig durchkreuzten Irrwegen des Lebens, vor allem aber von Verantortung, die jeder dem Leben selbst gegenüber hat (9/10 Pkt.).