Carol

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Melodram, in dem es knistert

Es beginnt und endet in dem gleichen Restaurant, mit der gleichen Szene. Nur ist diese beim ersten Mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Und natürlich kann man die Tragweite dessen, was dort scheinbar ein ganz normales Gespräch ist, nur dann ermessen, wenn man die Geschichte kennt. Das ist im Leben so und erst recht in Todd Haynes wundervollem Melodram Carol nach einer Romanvorlage von Patricia Highsmith.
Die erste Begegnung findet in der Spielzeug-Abteilung eines Kaufhauses statt, es ist kurz vor Weihnachten im Jahre 1952, als Carol Aird (Cate Blanchett) plötzlich vor Therese Benlivet (Rooney Mara) steht, die als Verkäuferin arbeitet, aber eigentlich von einem ganz anderen Leben träumt. Die beiden Frauen kommen ins Gespräch, ein Kauf wird getätigt, ein paar Handschuhe auf der Theke vergessen, doch Therese hat wegen einer Lieferung die Adresse ihrer Kundin — so schnell und so zufällig kann sie passieren, die Liebe.

Ein paar Mal treffen sie sich dann, eine erste Berührung, eine erste Ahnung für Therese, dass da mehr sein könnte, dass Carol, die gerade in Scheidung lebt, mehr wollen könnte von ihr. Und dann die Einladung, doch ein paar Tage mit ihr wegzufahren, das Gefühl von Freiheit und schließlich der erste Sex. Doch eine Liebe wie diese ist nicht so einfach, erst recht nicht in den USA der frühen 1950er Jahre und schon gar nicht für eine Frau, die noch verheiratet ist und die eine Tochter hat. Denn als ihr Mann Harge einen Privatdetektiv auf die beiden Frauen ansetzt, steht das Sorgerecht für Carols Tochter auf dem Spiel.

Carol basiert auf dem Highsmiths-Roman The Price of Salt (deutscher Titel: Carol), doch es ist allein die Pistole, die Theres in der Handtasche ihrer Freundin findet, die so etwas wie Thriller-Feeling aufkommen lässt. Viel eher ist Todd Haynes hypnotisierender Film ein nahezu klassisches Melodram mit langen Blickwechseln, stimmungsvoll eingefangenen Nachtstudien (Kamera: Ed Lachmann), gediegenen Interieurs und einer hinreißenden Filmmusik (Carter Burwell), bei der man die Vorbilder aus Hollywoods goldener Zeit deutlich vor Augen sieht.

Dass der Film trotz gebremster Emotionen mehr als nur klassisch anmutende Schauwerte zu bieten hat, liegt auch an der Chemie zwischen Cate Blanchett und Ronney Mara, die vor allem am Ende des Film wie eine Reinkarnation Audrey Hepburns anmutet. Ihre Schüchternheit und die immer leicht verschleppt wirkende, subtile Erotik Blanchetts, deren Figur, wie sich im Laufe des Films herausstellen wird, sich immer schon von Frauen angezogen fühlte, kontrastieren gerade genug, um die knisternde Anziehungskraft unter der Oberfläche spürbar und glaubhaft zu machen. Das Ergebnis ist ein Film, dessen Reminiszenzen an das Hollywood-Kino vergangener Tage eine zweifelsohne beseelende Wirkung auf den Zuschauer entfaltet — immer wieder ertappt man sich bei dem Gedanken, dass man schreiben oder sagen möchte: „Dass es so etwas noch gibt.“

Carol

Es beginnt und endet in dem gleichen Restaurant, mit der gleichen Szene. Nur ist diese beim ersten Mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Und natürlich kann man die Tragweite dessen, was dort scheinbar ein ganz normales Gespräch ist, nur dann ermessen, wenn man die Geschichte kennt.
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Meinungen

Ralf Reck · 15.01.2016

In dem Kino befanden sich neben ca. 60 Frauen etwa 6 Männer, es handelt sich also um einen Frauenfilm, allerdings von einem Mann gedreht (Todd Haynes). Vorweg, erzählt wird eine außerhalb der Konventionen stehende Liebesgeschichte, wie sie Clint Eastwood mit „Die Brücken am Fluss“ oder Ang Lee mit „Brokeback Mountain“ filmisch unter Einbindung der Landschaft allerdings ungleich intensiver erzählt hatten.

Zunächst, die erste Hälfte von Carol langweilt, das letzte Drittel reißt den Film wieder raus, vor allem dank der unergründlichen Augen von Rooney Mara. Kinematografisch, also auf das Gefilmte bezogen, hat der Film mehr Schwächen als Stärken (wenn man von der Inszenesetzung von Frau Mara absieht). Das Filmmaterial ist eher dunkel, zu kontrastarm und oft durch leichtes Bilderrauschen beeinträchtigt (Kamera: Edward Lachmann). Wenn Carol (Cate Blanchett) und Therese (Rooney Mara) übers Land von Motel zu Motel ziehen, spielt die Umgebung keine Rolle, Tür auf, Tür zu, die Kamera immer auf zwei sich weitgehend anschweigende Schauspielerinnen gerichtet. Vielleicht sollte das so sein, man soll verstehen, dass es für die Liebenden nichts außerhalb ihrer Beziehung gibt. Das stimmt so allerdings nicht, Carol hat ein geliebtes Kind, welches der Ehemann ihr entziehen will und bei Therese weiß man eigentlich nie, wohin und zu wem sie tendiert. Bei ihr ist emotional alles offen, das spielt sie gut und überzeugend. Cate Blanchett dagegen gibt nur eine dezentere Variation ihrer hysterischen Rolle in Woody Allans Film Blue Jasmine. Sie schauspielert, wirkt als Carol nicht von Innen heraus empfunden, sondern bleibt oberflächlich und affektiert. Damit ist es eigentlich nicht recht zu verstehen, was Therese an Carol bindet. Man vermisst auch bei Cate Blanchetts Rollengestaltung als Mutter wirkliche Liebe zur Tochter. Sie spielt ihr nur Liebe vor, bleibt aber für mich als Zuschauer unempathisch. Warum Cate Blanchett mit ihrer Rolle aktuell für den Filmoskar (beste weibliche Hauptrolle) nominiert wurde, bleibt mir unverständlich. Rooney Mara ist dagegen der Oskar für die beste weibliche Nebenrolle zu wünschen. 6/10 Punkten.