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Ein Kleinkünstler und seine Schwester gehen in der deutschen Provinz auf Tour. Das Chaos ist vorprogrammiert. 

Bis es mich gibt (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Wege zum Ruhm

Es scheint, als ob die Regisseurin Sabine Koder auf den Spuren der absurden deutschen Komödie der 1980er Jahren unterwegs sei. Chaos, gebrochene Figuren und provinzielle Kulissen findet man auch in ihrer aktuellen Arbeit, die Erinnerungen an Helge Schneider, Hape Kerkeling, an den frühen Rosa von Praunheim und ganz besonders an eine auf ihre Art meisterhafte Tragikomödie, „Im Himmel ist die Hölle los“ von Regisseur Helmel von Lützelburg, weckt. Auch Koder bewegt sich in ihrem Film in der Welt der Musik- und Fernsehunterhaltung. Ihre Protagonisten sind ein Sänger-Kabarettist und dessen Schwester als seine Managerin.

Ricky Sakatoni (Johannes Dullin), dessen Name keiner auf Anhieb richtig aussprechen kann, selbst seine Schwester Tanja Freitag (Karin Hanczewski) kommt da ins Straucheln, hat in seinem Heimatort Schrofhausen eine solide Fangemeinde bestehend aus einer Handvoll Dorfbewohnern. Dort tritt er regelmäßig im Gemeindelokal auf, mit Stücken, die aus Sprechgesang bestehen und die er vor Ort mit der Interaktion mit dem Publikum ergänzt. Auf der Bühne befinden sich zahlreiche Requisiten, alte Schirmlampen, Plüschtiere oder verschiedene Hüte, die er manchmal mehr, manchmal weniger in seine Showeinlage einbezieht. 

Recht objektiv kann man behaupten, dass es nicht besonders gut ist, was Ricky da bietet. Er glaubt, weil er die Texte zu seinen Stücken selber schreibt und nicht etwa covert, wie ihm bald eine Kollegin empfehlen wird, dass ihn dies zum großen Künstler mache. Als er die einmalige Gelegenheit hat, so will es ihm zumindest seine Schwester Tanja verkaufen, auf Tour zu gehen und sein Können einem breiteren Publikum zu präsentieren, sträubt er sich aber. Und tatsächlich hat sein Bauchgefühl recht, der Erfolg wird ausbleiben. Nicht weil die Besucher bei der Einweihung eines Bau- und Gartencenters vom Einkauf abgelenkt wären, sondern weil Ricky Ausstrahlung und Zugkraft fehlen. Etwas, das seine Kollegin Hanna Salami (herausragend gespielt von Gisa Flake), die mit ihm auf Tournee geht, im Überfluss hat. Was nicht bedeutet, dass sie mehr Talent hätte als er. 

In Bis es mich gibt geht es nur im Hintergrund um die Frage, was Kunst ist und was nicht. Der Film zeigt, dass die Perspektive darauf einen entscheidenden Einfluss auf die Beantwortung der Frage haben kann. Im einen Moment ist Ricky sehr tiefsinnig, aber nur zufällig, weil er ungefiltert ausspricht, was er gerade fühlt. Eine Galeristin ist davon berührt und will ihn für eine Ausstellungseröffnung buchen. Indem sich der Kontext des Auftritts verändert, verfällt Ricky wieder in seine flachen Witze. 

Ricky fehlt es an Selbstbewusstsein. Er weiß nicht genau, wer er ist. Das geht seiner Schwester Tanja im Übrigen genauso. Während Ricky von seiner Mutter bereits als Kind eingeredet wurde, er werde einmal ein bedeutender Fernsehstar und Künstler, hat Tanja nur Zurücksetzung erfahren. Sie sei zu hässlich und könne nichts. Mit diesen Projektionen der eigenen Mutter sind die beiden Geschwister in Rollen hineingewachsen, die sie wie Korsette tragen. Um die Unfähigkeit, sich gegen diese auferlegten Vorstellungen zu wehren, geht es in der Tragikomödie: um die Abhängigkeit dieser beiden Charaktere, die glauben, ohne einander nicht existieren zu können. Sie sind gefangen in einem Konstrukt aus Schuldgefühlen und gegenseitiger emotionaler Erpressung. Den emotionalen Abwärtsstrudel, in dem sie sich befinden, visualisiert der Film durch den schnellen Schnitt.

Koder stellt ihre Protagonisten nie bösartig bloß, auch wenn einige Szenen arg zum Fremdschämen sind. Dass die Figuren dennoch glaubwürdig bleiben und Identifikationspotenzial erlauben, liegt am präzisen Drehbuch und der schauspielerischen Leistung, vor allem von Karin Hanczewski als Tanja. Dullin als Ricky hat sicherlich eine eindrückliche körperliche Präsenz, seine Rolle ist aber etwas undankbarer, denn es ist schwieriger für ihn, ein Gleichgewicht zwischen Tragik und Komik zu finden. 

Nicht unbedingt originell ist die Entscheidung, dem Film die Form einer Pseudo-Dokumentation zu geben. Ricky und Tanja werden von einem Kamerateam begleitet, das einen Film über Ricky drehen soll. Diese Idee ist nicht neu, ermöglicht aber, geschickt Fiktionsbrüche in die Handlung einzubauen. Gleichzeitig unterstreicht sie auch die Diskrepanz zwischen der gefühlten, gewünschten eigenen Bedeutung Rickys und Tanjas als Künstler und ihrer tatsächlichen. 

Schnell hat man als Parallele die fiktionale Dokumentation einer Rockband Fraktus von Lars Jessen mit Rocko Schamoni und Heinz Strunk vor Augen. Bis es mich gibt wirkt im Vergleich improvisierter und entsprechend chaotischer. Der Humor ist auch direkter, weniger trocken. Das muss sich alles nicht gegen den Film wenden, fällt aber ins Thema Geschmackssache. Was unbestritten bleibt, ist, dass Koder durchaus Mut bewiesen hat mit ihren wenig sympathischen Protagonisten und dem Hang zum Trashigen.

Bis es mich gibt (2022)

Zwischen Höhenflug und Zusammenbruch kämpfen der von Lampenfieber geplagte Entertainer Ricky Sokatoni und seine Schwester und Managerin Tanja Freitag um ihren Platz im Showbiz und in der Welt.

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