Log Line

Zwei junge Ausreißer tuckern mit einem Traktor Richtung Meer: In Stefan Westerwelles Kinder- und Familienkomödie nach dem gleichnamigen Buch von Martin Muser geht es nicht nur abenteuerlich, sondern auch kurios zu. Ein Roadmovie mit skurrilen Überraschungen.

Kannawoniwasein! (2023)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Heute hier, morgen dort

Einfach abhauen – diesen Gedanken hegt wohl jedes Kind einmal, wenn es zu Hause eng wird. Manche setzen ihn sogar in die Tat um. Wie die Heldin und der Held aus dem Kinderbuch Kannawoniwasein! Manchmal muss man einfach verduften von Martin Muser. Der Roman wurde zum Auftakt einer Serie und schrie geradezu nach einer Verfilmung. Denn der Autor schreibt auch Drehbücher und legt die Abenteuer des zehnjährigen Finn und der zwei Jahre älteren Jola wie ein Road-Movie an. Regisseur Stefan Westerwelle übersetzt die Vorlage nun überwiegend textgetreu in starke Kinobilder, erlaubt sich aber ein paar erfrischende Freiheiten. Und: Er besetzt die Hauptrollen mit zwei hinreißend authentischen Nachwuchsdarstellern.

Auftritt Jola (Lotte Engels): Blaue Strähnen im blonden Haar, große Klappe, selbstsichere Attitüde. Eine Art Urenkelin von Pippi Langstrumpf. Was sie erzählt, muss ja nicht wahr sein. Das schindet schwer Eindruck beim eher schüchternen Finn (Miran Selcuk). Sie überredet den Jungen kurzerhand, aus dem Polizeiauto auszusteigen, dessen Besatzung gerade wegen eines Unfalls abgelenkt ist, und zu türmen. Quer über die Landstraße ins nahe Dorf und da direkt in einen Müllcontainer, wo die etwas trotteligen Polizisten die Kinder zwar suchen, aber wie durch ein Wunder nicht finden. Wundersame Elemente wird es ab jetzt noch einige geben in einer Geschichte von Rebellion, Freundschaft und Selbstfindung. Zwar beginnt das Abenteuer auf der ersten Etappe noch etwas holprig und konventionell. Aber schon bald gewinnt die Komödie um zwei höchst ungleiche Außenseiter Tiefgang und eine schöne Balance von gelungenen Überraschungen und ruhigen, nachdenklicheren Momenten.

Natürlich muss man noch erzählen, wie das Trennungskind Finn überhaupt im Polizeiauto gelandet ist. Eigentlich wollte der Junge nämlich mit seinem Vater Volkan (Eko Fresh, bekannt als Rapper) in Neustrelitz paddeln gehen. Aber der hat viel zu tun mit seinem gerade gestarteten Veggie-Catering. Deshalb setzt er den Sohnemann geradewegs in den Zug nach Berlin, wo ihn die dort lebende Mutter allerdings auch nicht brauchen kann. Als wäre das alles nicht genug, wird Finn in der Bahn vom Möchtegern-Rocker Heiko (Joachim Foerster) beklaut. Handy, Geld, Fahrkarte – alles war in dem Rucksack, der nun weg ist. Wer’s glaubt, wird selig, denkt die Zugbegleiterin (Mirja Boes). Sie ruft die beiden übergewichtigen und leicht überforderten Polizisten zu Hilfe, von denen schon die Rede war. Zum mangelnden Glück kommt also auch noch Pech dazu. Oder: Kannawoniwasein!, wie man in Berlin sagt.

Wären die Protagonisten zwei, drei Jahre älter, könnte man sich an Tschick (2016) erinnert fühlen, Fatih Akins Verfilmung des Jugendromans von Wolfgang Herrndorf. Und das nicht nur, weil Tristan Göbel, einer der beiden Hauptdarsteller aus Tschick in Kannawoniwasein! eine Nebenrolle als Tankwart übernimmt. Hier wie dort geht es um zwei einsame Wölfe, die auf einer aberwitzigen Reise nicht nur zueinander, sondern jeweils auch zu sich selbst finden.

Stefan Westerwelle (Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums, 2018) entwickelt dafür schöne Motive: Übernachten auf einem Hochstand, das Tuckern mit einem alten Traktor durch die Landschaft und die Begegnung mit einem friedlichen Wolf. Er flicht Nachdenkliches in die Komödie, ohne insgesamt die Leichtigkeit und den schnoddrigen, wie improvisiert wirkenden Ton zu verlieren. In solch ernsteren Momenten geht es um Gefühle, die wohl nicht nur Scheidungskinder und soziale Außenseiter manchmal erleben: die Angst, vergessen zu werden, im Weg zu stehen oder einfach von niemandem gewollt zu sein.

Auf der komischen Ebene gibt es Wendungen und Auftritte, die in ihrer Skurrilität das sonst gewohnte Road-Movie-Niveau toppen. Sie funktionieren wie kleine Revue-Nummern und verleihen dem sonst gut geerdeten Realismus einen leicht surrealen Anstrich. Einiges davon steht schon so im Buch, aber eine der Abweichungen sticht als besonderer Clou ins Auge. Der Präsident der Rocker, in deren Fänge die beiden Helden beinahe geraten, ist im Film eine Präsidentin (Leslie Malton). Das verleiht der furchterregenden Chefin bei aller Härte auch einen Hauch von Mütterlichkeit. So kann sie zur schützenden Hand werden, die den beiden Ausreißern das gibt, was sie im Moment am meisten brauchen: Freiheit.

 

Kannawoniwasein! (2023)

Pendelkind Finn wird auf seiner ersten unbegleiteten Zugfahrt zwischen Berlin und Neustrelitz prompt beklaut. Und weil die Polizei ihn für einen Ausreißer hält, büxt Finn mit der schlagfertigen Jola aus. Die Kinder begeben sich mit einem Traktor auf eine einzigartige Abenteuerreise bis ans Meer in Mecklenburg-Vorpommern – weg vom eigenen Verloren-Sein hin zu Mut und Selbstvertrauen. (Quelle: Filmförderung MV)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen