Log Line

Das Drama „Axiom“ porträtiert einen notorischen Lügner, ohne diesem jemals nahe genug zu kommen.

Axiom (2022)

Eine Filmkritik von Dobrila Kontić

Der Blick der Belogenen

Es ist ein interessierter, forscher Blick, den Julius (Moritz von Treuenfels) da aus der Fensterfassade des Museums in den Innenhof wirft, in dem Menschen gemeinsam spazieren, reden, lachen – er beobachtet nicht nur, sondern scheint zielgerichtet hinzusehen, als ob er etwas fürs bloße Auge nicht Fassbares entdecken könnte. Im Verlauf von „Axiom“ wird der beobachtende Blick von Julius noch häufig in Erscheinung treten. In Nahaufnahme eingefasst ist der blond gelockte, stets entspannt wirkende Endzwanziger dann dabei zu sehen, wie er Gesprächsfetzen im Bus aufschnappt und dann sehr schnell ins Plaudern kommt mit Personen, denen Skurriles widerfahren ist. Niemand unter ihnen ahnt, dass Julius diese Erlebnisse später als seine eigenen ausgeben wird.

In seinem stillen Drama porträtiert Drehbuchautor und Regisseur Jöns Jönsson (Lamento) mit der Figur des Julius einen sogenannten Pseudologen, einen zwanghaften Lügner, der jeder Person, die ihm nahekommt, Unwahrheiten zu seiner Identität und seinen Erlebnissen auftischt. Zu Beginn des Films ist er als Museumswärter zu sehen, der sich mit Kolleg*innen angefreundet hat und den Neuen im Bunde, Erik (Thomas Schubert), gleich zu einem lang geplanten Segeltörn im Rursee einlädt. Das Boot gehöre seiner aus altem Adel stammenden Mutter, hat er seinen frischen Bekannten erzählt. Doch kurz nach Ankunft der Truppe im Hafen findet Julius abstruse Ausreden, weshalb sie doch nicht lossegeln können – nach anderen abgebrochenen Versuchen sind es diesmal fehlende Rettungswesten. Als sein jüngster Abbruchversuch zu scheitern droht, zieht sich Julius auf schockierende Weise aus der Affäre. 

Fast die gesamte erste Hälfte von Axiom befasst sich mit dieser ausschweifenden und sehr unangenehm werdenden Lügenepisode von Julius und zeigt dessen Abwehrmechanismen auf, wenn die Belogenen Verdacht schöpfen: Gereiztheit, Ausreden und Ablenkungsmanöver folgen. Bei letzterem kommt die Segelgruppe (die es niemals aufs Wasser schaffen wird) auf das Thema Religion zu sprechen, da Erik bekennender Katholik ist, sowie auf den titelgebenden Ausdruck „Axiom“, der eine Wahrheit bezeichnet, die keines Beweises bedarf. An ebendieses Prinzip, so zeigt dieses Drama auf, kann Julius mühelos anknüpfen. Wer hinterfragt schon beim ersten Kennenlernen die Informationen, die eine Person zu ihrer Identität preisgibt? Diesen grundsätzlichen Vertrauensvorschuss macht Julius sich ebenso zunutze wie seine feine Beobachtungsgabe und sein empathisches Gespür für Menschen.

Nüchtern skizziert Axiom im weiteren Verlauf, wie Julius neue Lügengebäude errichtet – passenderweise gibt er sich gegenüber seiner neuen Freundin, der Opernsängerin Marie (Ricarda Seifried), als erfolgreicher Architekt aus, der sich aus eigener Kraft aus einem kaputten Elternhaus nach oben gekämpft hat. Als Zuschauer*in ist man zu diesem Zeitpunkt bereits eingeweiht und kann durch die subtilen Zeichen und Abfolgen von Gesprächsinhalten, die Jönsson gekonnt zu platzieren weiß, Julius‘ Muster beim Überstreifen immer neuer Identitäten erkennen. Aber interessanterweise maßt sich dieser Film niemals an, einen notorischen Lügner wie Julius jemals verstehen zu können. Seine wahre Persönlichkeit bleibt eine bewusste und manchmal etwas mühsame Leerstelle im Film, und er wird zum aus der Distanz beobachteten Faszinosum. Axiom mag mit dem Blick des Lügners eröffnen, doch ist letzten Endes eine Betrachtung aus der Perspektive der Belogenen. Damit lässt dieser Film eine*n so ratlos und verstört zurück wie die Figuren, die Vertrauen in eine der vorgegaukelten Identitäten von Julius hatten.

Axiom (2022)

Julius ist ein redegewandter junger Museumswärter, der sich allseits großer Beliebtheit erfreut. Eines Tages lädt er seine Kolleg*innen zu einem Segeltörn auf dem Boot seiner adeligen Familie ein. Die Stimmung kippt. Julius ist nicht der, der er zu sein vorgibt.

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Meinungen

wignanak-hp · 17.02.2022

Ich fand den Film erfrischend in seinen Wendungen und in seinem Ende regelrecht provozierend. Jedenfalls gibt er dem Zuschauer keine billigen Lösungen an die Hand, sondern fordert ihn zum Weiterdenken der Geschichte auf. Das ist stellenweise wirklich unangenehm, weil man im Laufe der Handlung ja schon gemerkt hat, dass man Julius' Aussagen nicht trauen kann. Um so interessanter wirkte das Ende.