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Warum ist Arlo so anders, warum fühlt er sich in den Bayous nicht zuhause? Der Junge in Gestalt eines Krokodils macht sich in diesem Animationsabenteuer auf den Weg nach New York, wo er einst als Neugeborenes ausgesetzt wurde. Unterwegs findet er Anschluss an eine bunte Truppe von Außenseitern. 

Arlo, der Alligatorjunge (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Busfahrt mit Krokodil

Arlo ist schon immer anders gewesen als die anderen. Weder in die Welt der Menschen, noch in die der Tiere will er so recht hineinpassen, als kleiner Alligator, der irgendwie auch ein rothaariger Menschenjunge ist, welcher auf zwei Beinen läuft und sprechen kann. Vielleicht wurde er wegen seiner Andersartigkeit gleich nach der Geburt ausgesetzt. In einem Körbchen trieb er von New York im Wasser bis in die Sümpfe von Louisiana, wo ihn die alte alleinstehende Edmee aufnahm. Trotz der Geborgenheit im Häuschen der taffen Outlawfrau fühlt sich Arlo allein, unter den Tieren im Sumpf findet er keine richtigen Freunde. Edmee weiht ihn also eines Tages in seine Herkunft ein. Sie macht ihm Mut, nach New York zu ziehen, um seinen auf dem Geburtsbändchen vermerkten Vater Ansel Beauregard zu suchen und seinen Platz in der Welt zu finden.

Die Suche dieses Außenseiters nach seinen Wurzeln und der eigenen Bestimmung wird als abenteuerlicher Roadtrip erzählt. Neben Gesangsnummern im Musicalstil fügen sich in dieser 2D-Animation von Netflix unter der Regie von Ryan Crego Spannung, Witz, Gefühl, Nachdenklichkeit und nicht zuletzt ansprechend gezeichnete Bilder zu einer gelungenen Mischung. Diesem abendfüllenden Familienfilm soll laut Netflix eine filmische Serie kurzer Fortsetzungsgeschichten folgen. Neben dem Thema Diversität bietet der Spielfilm-Auftakt eine Wertediskussion, die für einen Kinderfilm doch erstaunlich tiefgründig gerät. Sie dreht sich um den amerikanischen Traum, den Glauben an die Selbstverwirklichung und das Streben nach Glück. Könnte damit, so fragt der Film mit seinem munteren Helden Arlo, nicht etwas anderes gemeint sein als Ellbogenmentalität und kapitalistisches Konkurrenzdenken?

Aber kann man ein Krokodil im Gewand eines Jungen überhaupt sympathisch finden? Das niedliche Kindchenschema mag bei Arlo vielleicht versagen, aber das aufgeweckte und gutherzige Kerlchen nimmt man dieses Wesen mit rotem Wuschelhaar, grünem Haupt und gelber, manchmal ins Hellgrüne wechselnder Schnauze rasch ab. So fröhlich wie sein buntes Aussehen ist auch sein Gemüt. Auf der Suche nach Freunden nimmt er dankbar jede Bekanntschaft an und berührt so die Herzen anderer einsamer Individuen, die seinen Weg kreuzen. Schnell bildet sich eine Gruppe von Ausgestoßenen, Entwurzelten, Glücksrittern und Kleinganoven, die als Fahrgemeinschaft durchs Land nach New York ziehen und sich gegenseitig beistehen in der Not. Und brenzlige Momente gibt es, denn in der großen weiten Welt lauern Gefahren, etwa in Gestalt böser Menschen, die Arlo fangen wollen, um ihn als Attraktion zu vermarkten. Sie führen eine Bestie mit sich, die schrecklich knurrt und furchteinflößend wirkt, auch wenn man sie lange gar nicht richtig zu sehen bekommt.

Unter diesen individualistischen Außenseitern, denen sich Arlo anschließt, ist die riesige, starke Bertie die wichtigste Nebenfigur. Als Mädchen hörte sie einfach nicht mehr auf zu wachsen und wurde sehr einsam. Diese gutherzige Person strahlt eine stille Traurigkeit aus, die sehr berührend wirkt. Aber wenn Arlo sie wiederholt als seine beste Freundin preist, dringt das allmählich durch ihren seelischen Panzer durch. Zu der schillernden Truppe gehört unter anderen auch noch der aus einem Aquarium befreite Fisch Marcellus. Er mag Kinder nicht, diese glotzenden Aquariumsbesucher mit den klebrigen Händen, und wird sich in New York an einem Jungen stellvertretend für die Spezies rächen.

Der oft schnoddrige Humor der schrägen, gar nicht so auf Harmonie bedachten Nebenfiguren, gibt der Geschichte eine frische Note. Hinzu kommen kleine, wie beiläufig eingestreute Witze. Beispielsweise präsentiert Arlo einmal Bertie eine Muschel als Geschenk, wie eine Schmuckschatulle, die aber von dem weißen Fremdkörper darin befreit werden muss. Gewitzte Einfälle gibt es auch auf der Stilebene: So zieht Arlo einmal den grün wuchernden Bildhintergrund in den Bayou-Sümpfen wie einen Vorhang beiseite – und blickt in eine andere Welt, mit einem Riverboat voller Ausflügler.

Die im Aquarellstil gemalten Hintergründe und die bunte, jedoch oft auch gedeckte Farbpalette wirken sehr stimmungsvoll. Zusammen mit dem Südstaaten-Schauplatz zu Anfang und den Musicalsongs erinnern sie ein wenig an Küss den Frosch. Auch zu Onward – Keine halben Sachen – einem anderen Roadmovie, das der Familienzusammenführung diente und gleichzeitig der Suche nach dem Mythos des weiten Landes – gibt es Parallelen. In Arlos Geschichte wimmelt es allerdings von rauen Hillbillies und Outlaws, die alte Edmee könnte als Verwandte von Mamaw aus Hillbilly Elegy durchgehen. Wenn Arlo sagt, dass er aus New York stammt, macht er sich in dieser Welt alles andere als beliebt – die mentale Kluft zwischen Stadt und Land ist offenbar enorm.  

Zum verlorenen Sohn gehört auch ein verlorener Vater. Ansel Beauregard ist ein Bauherr, der in New York gerade Viertel für Viertel gentrifiziert. Als nächstes ist sein Heimatviertel Seaside by the Seashore dran, das vergammelt, aber auch nostalgisch-heimelig anmuted wie Coney Island in Woody Allens Wonder Wheel. Beim Erklimmen der Karriereleiter hat sich der Vater isoliert und selbst verleugnet, so wie er auch den Sohn verstieß. Es gibt tief bewegende Momente in dieser Geschichte, die nicht zu dick aufgetragen wirken, weil sie von frischem Schwung flankiert und ausbalanciert werden. Zusammenhalt und Freundschaft sind die Werte, nach denen Arlo strebt. Und er führt auch anderen vor, dass die das Leben glücklich machen. Diese Botschaft mutet gar nicht platt an, sondern nimmt glaubhaft Bezug zur aktuellen Krise der amerikanischen Gesellschaft. Das junge Publikum aber kann sich ungeachtet solcher Gedanken einfach nur dem genussvollen Vergnügen einer schön gestalteten Geschichte mit Herz hingeben.

Arlo, der Alligatorjunge (2021)

Um den Vater zu finden, den er nie gekannt hat, verlässt der optimistische Arlo seine sumpfige Heimat im Süden und macht sich auf den Weg nach New York City, wo er Freunde findet.

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