Log Line

Die Klimaaktivistinnen, Hackerinnen und Zwillingsschwestern Benni und Anna müssen sich der Frage stellen, wie weit sie bereit sind, für ihre Überzeugungen zu gehen.

A Thin Line (Miniserie, 2023)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Es geht uns alle an

Der vertraute Sound klickender Laptoptasten empfängt die Zuschauenden, das Bild ist noch schwarz. Pulsierende elektronische Klänge lösen die Tastaturanschläge ab, gleichzeitig wird der Rücken einer Frau sichtbar. Die Kamera ist jetzt ganz nah dran an den Code schreibenden Fingern, am fokussierten Blick. Dann ein kurzer kurzer Schwenk auf einen Sticker am Rücken des Laptops: „May the Forest be with you“. Der Blick der codenden Frau, Anna (Saskia Rosendahl), trifft den von Benni (Hanna Hilsdorf), die sich mit einem Klemmbrett durch die Cafeteria bewegt, in der sich beide aufhalten. Benni sammelt Unterschriften für eine Petition gegen den Ausbau der A16, und nebenbei das Smartphone eines Gastes ein, dessen Daten in Sekundenschnelle von Anna kopiert werden. Worte verschleiern Taten. Innerhalb der ersten anderthalb Minuten sind die wichtigsten inhaltlichen und stilistischen Parameter von „A Thin Line“ trianguliert. 

Zunächst einmal scheint das englische Idiom A Thin Line, das einen moralischen wie auch handlungsorientierten Balanceakt beschreibt, auf den sich zwischen den beiden Zwillingsschwestern anbahnenden Konflikt anzuspielen: Der Datenklau vom Rechner des korrupten Verkehrsministers ist dank Annas Hackertalent und Bennis Nervenstärke geglückt, im Anschluss sind sich die Schwestern aber uneins, wie mit dem erbeuteten Material zu verfahren ist, das den Verkehrsminister stark belasten kann. Sie betreiben anonym die Plattform climate.leaks. Veröffentlichen oder nicht? Die Tendenz zur Überschreitung – rot, Benni – und zur Zurückhaltung – grün, Anna – wird hier bereits deutlich. Eine Trennlinie scheint gezogen zwischen der „Scheißmoralistin“, wie Benni Anna bezeichnet, und der sich radikalisierenden Benni. Wie weit sind beide bereit, gemeinsam oder getrennt voneinander zu gehen? 

Die Kamera bleibt nah dran: Wackelnde Bilder von Verfolgung und Flucht, Nahaufnahmen von Gesichtern, Händen, deren Gesten und Handlungen schwerer als Worte wiegen, Blicke, die teils schwer zu deuten sind, teils unvermittelt die Härte einer gefassten Entscheidung zeigen. Es sind höchst subjektive, enge Bilder, die A Thin Line liefert. Auch die Räume – ob Wohnung oder Wald – wirken eng, vor allem dann, wenn Anna oder Benni sich darin aufhalten; wenn sich ihre inneren Konflikte ins Außen übertragen sollen. Wer hier zuschaut, ist mittendrin. Die Bilder verweigern konkrete, übersichtliche Orientierung. Keine Überblick gebenden Totalen, keine grandiosen Panoramen: Hier werden Gesichter zu Landschaften; und Worte durch kleinste Gesten ausgehöhlt. 

Wem kann man (noch) vertrauen? Innerhalb absichtlich geknüpfter wie zufällig entstehender Bindungen wird die Vertrauensfrage neu ausagiert. Es sind komplexe Beziehungsgefüge, in denen die Frage nach Schuld eigentlich die uninteressanteste ist. 

In dieses Beziehungsgefüge werden auch die Zuschauenden über den Untertitel „Auf welcher Seite stehst du?“ aufgenommen und direkt angesprochen. Was an und für sich recht plump anmutet, ist in der Serie glücklicherweise nicht schablonenartig umgesetzt. Denn gerade durch die ständige Nähe, in die man zu den Protagonist:innen und deren (Fehl?)Verhalten gesetzt werden, verteilt sich die eigene Position stetig und multiple Seiten entstehen, deren Koordinaten ebenfalls immer wieder verschoben werden. 

Leider verkommt aufgrund der Faszination für diese inneren und zwischenmenschlichen Grenzverschiebungen, für die Aushandlungen dieser „thin lines“, der für uns alle lebensbedrohliche Klimawandel zum Hintergrundrauschen, das vom Sound Berlins übertönt wird.

Und vielmehr scheint es auch die digitale Infrastruktur zu sein, die fasziniert. Die Ästhetik des Digitalen, der über Bildschirme flirrende Code, gibt den Puls vor. Leaken und hacken werden dabei aus dem virtuellen in den sozialen Raum exportiert und in die menschlichen Beziehungen eingespeist. Letztendlich sind es die Verwundbarkeit der digitalen Infrastruktur, deren Sicherheitslücken und überaus deutlich auch unsere Abhängigkeit und unser teils blindes Vertrauen in den technologischen Fortschritt, die hier vorgeführt werden. 

Klimasünder:innen sollen mittels digitaler Technologien enttarnt und zur Rechenschaft gezogen werden. „Ich will, dass der für seine Gewissenlosigkeit geradesteht.“ Dabei wird gänzlich außer Acht gelassen, dass auch die digitale Infrastruktur einen nicht geringen Beitrag zur CO2-Bilanz leistet. 

Dies ist wiederum symptomatisch für die Gegenwart: Der Klimawandel ist der Ist-Zustand der Welt, in dem wir leben und der aufgrund seiner jegliche Bereiche des Lebens durchdringenden Präsenz schwer fassbar und gleichzeitig unaufhaltbar scheint. Die Tragweite bringt uns schier um den Verstand und genau deswegen schieben wir ihn von uns weg, versuchen ihm mittels Tabellen und Statistiken oder Emissionszielen, die eh keine Bedeutung zu haben scheinen, habhaft zu werden. 

A Thin Line startet am 16.02. auf dem Neuzugang unter den Streamingplattformen Paramount+ und ist auch exklusiv nur dort zu sehen. Von Vorteil für die Produktion scheint die Zusammenarbeit mit Paramount gewesen zu sein: Mit den Weydemann Bros. wurde eine deutsche Produktionsfirma engagiert, die hinter den mehrfach ausgezeichneten Filmen Systemsprenger (2019) und Niemand ist bei den Kälbern (2021) steht. Auch in der hochkarätigen Besetzung spiegelt sich das Budget: Peter Kurth ist als Christoph Wandler zu sehen, Sebastian Hülk spielt Simon Geiger, Sohel Altan Gol deren Kollegen Bijan Asfari, und die (Theater-)Schauspielerin Lucia Kotikova tritt als Stella auf. Der niederländischen Schauspielerin Hadewych Minis kommt eine Schlüsselrolle in der Serie zu. Sabrina Sarabi (Niemand ist bei den Kälbern) führte zusammen mit Damian John Harper Regie. 

Die Ironie von A Thin Line liegt darin, dass die Serie hinter einer Paywall zu finden ist. Wiederum selbst Teil der digitalen Infrastruktur. Streamen als aktivistische Form Dank des Inhalts? Aufgabe einer Film- oder Serienkritik ist es, Position zu beziehen und diese Aufgabe fiel mir schwer. Immer wieder stellte ich mir die Frage, ob eine Serie, die militanten Klima-Aktivismus zeigt, überhaupt sein muss? Ob der Klimawandel nicht als Ereignis zu schwerwiegend, zu komplex ist, als dass man ihn klein kriegen könnte? 

Vielleicht gibt A Thin Line selbst eine mögliche Antwort: Anna und Benni engagieren sich, weil es für sie persönlich ist. Ihr Wald soll dem Bau der A16 weichen. Aber der Klimawandel sollte für uns alle persönlich sein, und eben nicht zum – leicht ignorierbaren – Hintergrundrauschen verkommen. 

A Thin Line (Miniserie, 2023)

Die Zwillingsschwestern Anna und Benni Krohn betreiben als fest entschlossen, schonungslos agierende Cyberaktivistinnen eine anonyme Plattform, auf der sie Umwelt- und Klimaverbrechen aufdecken. Zwar finden ihre Aktionen viel Beachtung, doch dass sich endlich fundamental etwas ändert, dauert ihnen zu lang. Als sie nach einem Hackerangriff auf die Regierung auffliegen, wird die introvertierte Anna vom BKA festgenommen. Die charismatische Benni hingegen kann fliehen und schließt sich „Der letzte Widerstand“ an, einer neugegründeten terroristische Umweltaktivisten-Gruppe. Um die Welt aufzurütteln, greifen ihre Mitglieder zu immer gewaltsameren Mitteln. Während sich Benni immer weiter radikalisiert, lässt sich Anna von ihrem Patenonkel Christoph Wandler, der die Cybercrime-Einheit beim BKA leitet, zur Mitarbeit überreden. Die beiden Zwillingsschwestern, einst vor dem Hintergrund einer belasteten Familie unzertrennlich, stehen plötzlich auf gegnerischen Seiten – an einer A THIN LINE – beide überzeugt davon, das Richtige zu tun. (Quelle: Paramount+)

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