Norte - Das Ende der Geschichte (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Dostojewski auf den Philippinen

Längst ist der philippinische Filmemacher Lav Diaz bei den Kritikern rund um den Globus akzeptiert und verehrt als einer der ganz Großen des aktuellen Weltkinos. Einen Niederschlag in den deutschen Kinos hat dies aber bislang nicht gefunden. Höchste Zeit, dass sich das ändert, dachten sich drei Kinoverrückte aus Nürnberg und gründeten flugs einen neuen Verleih mit dem Namen Grand Film, der nun gleich in doppelter Hinsicht eine Premiere feiert: Zum einen ist Norte, the End of History das erste Werk überhaupt, das Grand Film in die Kinos bringt. Und zum zweiten ist dies der erste Film von Lav Diaz, der einen regulären deutschen Kinostart erhalten wird. Dabei steht eigentlich schon der nächste Film des Regisseurs in den Startblöcken: Im Sommer gewann sein neuester Streich From What Is Before / Mula sa Kung Ano ang Noon den Goldenen Leoparden in Locarno. Ob dies aber in einen erneuten deutschen Kinostart mündet, ist bislang noch ungewiss. Schließlich ist es bereits die schiere Länge der Filme von Lav Diaz (gerne dauern sie vier Stunden und mehr), die Kinobetreibern Kopfzerbrechen bereitet. Schon allein deshalb sollte man jede nur erdenkliche Chance nutzen, um eine der wenigen Vorstellungen zu besuchen. In den globalen und streng segmentierten Kinomärkten sind Filmemacher wie Lav Diaz die absolute Ausnahme – sie künden von einem Kino, wie es heutzutage kaum mehr vorzufinden ist.

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Norte, the End of History ist eine Transformation und Variation von Dostojewskis Schuld und Sühne in die philippinische Gesellschaft. Fabian (Sid Lucero) ist ein Jurastudent aus gesicherten, bürgerlichen Verhältnissen, der seinen opulenten Lebensstil mit Krediten bei der skrupellosen Pfandleiherin Miss Magda (Mae Paner)finanziert, deren Wucherzinsen die Armen und Bedürftigen des Viertels immer wieder in ausweglose Situationen bringen. Angetrieben von seinen revolutionären und zutiefst nihilistischen Philosophien, über die sich Fabian gerne wortreich in den Cafés auslässt, beschließt er, die Wucherin zu töten und setzt dies in die Tat um. Der Verdacht fällt auf den braven Familienvater Joaquin (Archie Alemania), der daraufhin im Gefängnis landet und dessen Frau Eliza (Angeli Bayani) anschließend allein für den Unterhalt der Familie sorgen muss.

Norte, the End of History ist aber nicht allein eine intensive und sich langsam entwickelnde Adaption eines großen Romans der Weltliteratur, sondern zugleich auch eine eindrucksvolle Schilderung des Lebens auf den Philippinen. In losen, hingetupften Szenen, deren ganze Tragweite und Komplexität sich erst nach und nach entfalten, entwirft Lav Diaz in wundervoll fließenden, schwebenden Bildern das Porträt einer Gesellschaft, die vieles durchlitten hat und die noch weit davon entfernt ist, auch nur annähernd gerecht zu sein. In Joaquins bedauerlichem Schicksal bündeln sich die Erfahrungen aus jahrzehntelanger Unterdrückung und postkolonialem Elend. Schonungslos legt der Film die Machtstrukturen der philippinischen Gesellschaft offen und versteht es zugleich, dem bedauernswerten Antihelden seine ganze Solidarität und Zärtlichkeit angedeihen zu lassen, dem am Ende sogar ein kleines Wunder zuteil wird.

Zugegeben: Norte, the End of History ist kein einfaches Werk, aber eines, dessen innere Kraft und äußere Schönheit und Haltung allerhöchsten Respekt und Bewunderung verdienen. Ziemlich sicher einer der besten und eindrucksvollsten Filme dieses an Höhepunkten nicht gerade armen Kinojahres 2014 und allein schon deshalb ein würdiger Abschluss.
 

Norte - Das Ende der Geschichte (2013)

Längst ist der philippinische Filmemacher Lav Diaz bei den Kritikern rund um den Globus akzeptiert und verehrt als einer der ganz Großen des aktuellen Weltkinos. Einen Niederschlag in den deutschen Kinos hat dies aber bislang nicht gefunden. Höchste Zeit, dass sich das ändert, dachten sich drei Kinoverrückte aus Nürnberg und gründeten flugs einen neuen Verleih mit dem Namen Grand Film, der nun gleich in doppelter Hinsicht eine Premiere feiert.

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