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In der dokumentarischen Auseinandersetzung mit ihrer Mutter Jane Birkin betont Charlotte Gainsbourg als Regisseurin das Hier und Jetzt. Die Gespräche der beiden Schauspielerinnen und Sängerinnen kreisen zwar auch um die Vergangenheit, aber ihre Beziehung entsteht im Laufe der Begegnungen gerade neu.

Jane by Charlotte (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Fragen an eine berühmte Mutter

Wenn sich diese beiden Künstlerinnen im Dialog austauschen, fallen ihre sanften, leisen Stimmen auf. Manchmal wirken ihre Worte fast geflüstert. Einmal geht es um das Lampenfieber, öfter um die Erinnerungen an das gemeinsame Familienleben und darum, was ungesagt geblieben ist. Jane Birkin und Charlotte Gainsbourg sind Mutter und Tochter. Die Schauspielerin und Sängerin Gainsbourg („Nymphomaniac“) ehrt in ihrem dokumentarischen Regiedebüt die Schauspielerin und Sängerin Birkin („Der Swimmingpool“). Tastend versucht sie mit ihren Fragen vor allem aber auch eine Annäherung an die private Person, mit der Bereitschaft, die Mutter aus der Sicht einer Erwachsenen, die selbst drei Kinder hat, neu zu verstehen.

Auf Augenhöhe miteinander reden, aufmerksam und sachte – diese Haltung verbindet Jane Birkin und Charlotte Gainsbourg von Anfang an. Die Tochter spricht die gewisse Reserviertheit an, die in ihrer Beziehung schon immer geherrscht habe. Die Annäherung wird also über Gemeinsamkeiten versucht, und solche gibt es viele. Gainsbourg begleitet Birkin auf eine Konzerttournee nach Tokio und New York, steht selbst mit ihr für Gesangsproben vor der Kamera. Auf den Reisen, in Paris oder in Birkins Haus auf dem Land stellt die Tochter dann auch Fragen nach der künstlerischen und privaten Vergangenheit der Mutter. Manchmal ist auch Gainsbourgs Tochter Jo Attal zugegen. Die Dialoge strahlen eine Live-Atmosphäre aus, sind geprägt von unkommentierter Spontaneität. Das gibt ihnen eine poetische Zärtlichkeit, die sich im Verlauf des Films auch in wachsende Intimität verwandelt.

Einordnende Zusatzerklärungen für das Publikum fehlen völlig. Was es mit der Krankheit der Mutter auf sich hat, ihren Worten „nach Kate“ oder „im Bataclan“, der nie geräumten Wohnung aus der Zeit mit dem 1991 verstorbenen Chansonnier Serge Gainsbourg, die Mutter und Tochter einmal wie ein Museum besichtigen, erfährt man entweder gar nicht oder nur ansatzweise. So ist die Rede vom Tod Kate Barrys, der ältesten Tochter Jane Birkins, der das Leben der Mutter seit 2013 überschattet. Wer Näheres wissen will, muss sich im Internet informieren, vor allem auch über die wilde Ära der sexuellen Revolution, in der Serge Gainsbourg und Jane Birkin mit dem offenherzigen Beischlafsong „Je t’aime… moi non plus“ für einen Skandal und internationalen Ruhm sorgten. Nacktfotos waren für Birkin als Ikone der 1960er und 1970er-Jahre kein Problem. Die freizügige Haltung des Künstlerpaars Birkin und Gainsbourg wirkte sich auch auf die Karriere der Tochter Charlotte aus, die als Minderjährige im Skandalfilm ihres Vaters Charlotte for Ever über eine inzestuös gefärbte Beziehung zwischen Vater und Tochter spielte. Mit Gainsbourg sang sie schon 1984, im Alter von 13 Jahren, seinen Song „Lemon Incest“.

In Jane by Charlotte werden diese Dinge nicht aufgearbeitet. Es gibt aber Anspielungen und Reminiszenzen an die Anti-Prüderie, die in dieser Familie gepflegt wurde, schon um sich avantgardistisch und gesellschaftskritisch zu positionieren. Jane Birkin erinnert sich, dass sie einmal die Brust ihrer heranwachsenden Tochter berühren wollte – mit deren Einverständnis. Ein andermal filmt Charlotte Gainsbourg sich und ihre Mutter im Gespräch in einem Bett, ganz in klinisch wirkendem Weiß. Inhaltlich geht es um die Schlaflosigkeit Birkins und ihren Tablettenkonsum. Die vertrauensvolle Zuneigung zwischen Mutter und Tochter ist in dieser Begegnung ständig spürbar.

Gainsbourg lässt die Mutter bei einem weiteren Gespräch zwischen einem Projektor und der Wand sitzen, auf der alte Super-8-Filmen der Familie laufen, in denen auch Kate als Kind vorkommt. Jane Birkin will nicht hinschauen, ihr Schmerz ist zu groß. Bereitwillig lässt sie sich jedoch von Gainsbourg wie ein Model fotografieren, in entspannten Posen, die ihre natürliche Ausstrahlung einfangen. Stets schwingt stilistisch der künstlerische Anspruch der Tochter mit, der dem Film abwechslungsreiche Aufnahmen und zugleich auch eine dezent selbstreflexive Anmutung verleiht.

Aus den vielen Einzelaufnahmen, ob sie nun während einer Zugfahrt entstanden oder in einem ästhetisch-stilistisch arrangierten Setting, erwächst mit der Zeit so etwas wie eine Geschichte. Denn die beiden Protagonistinnen, die sich ungezwungen, aber achtsam umkreisen, werden sich immer mehr der Tiefe ihrer emotionalen Verbindung bewusst. Charlotte Gainsbourg drückt in einem bewegenden Schlusskommentar der Mutter aus dem Off ihre Liebe aus, aber auch in einer innigen Umarmung vor der Kamera.

Jane by Charlotte (2021)

In ihrem Film wirft Charlotte Gainsbourg einen Blick auf ihre Mutter Jane Birkin — und das auf eine Weise, wie sie das nie zuvor je getan hat: durch das Auge einer Kamera, die ganz neue Facetten der Mutter-Tochter-Beziehung in den Blick nimmt.

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