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Alles hat seine Grenzen: In „Trggyð“, dem ersten Spielfilm der isländischen Regisseurin Ásthildur Kjartansdóttir, entschließt sich eine Journalistin kurzerhand dazu, zwei Einwanderinnen mit Kind bei sich aufzunehmen. Keine uneigennützige Tat, wie sich herausstellen wird. Aber auch die neuen Bewohnerinnen verfolgen eigene Ziele und gefährden dabei schon bald ihre Chance auf den Neuanfang.

Tryggđ (The Deposit) (2019)

Eine Filmkritik von Elisabeth Hergt

Leben auf Kaution

Dankbarkeit und Nächstenliebe müssen in diesem Drama aus Island dem unaufhaltsamen Kontrollkampf um die eigene Existenz weichen. Regisseurin Ásthildur Kjartansdóttir liefert mit ihrem Langfilmdebüt „Tryggð – The Deposit“ eine ambivalente Grenzerfahrung, die sich in den eigenen vier Wänden abspielt, dabei zwischen Besitz und Anspruch, Eigennutz und Wohlwollen verhandelt und offen legt, wie radikal man an seinen eigenen Moralvorstellungen scheitern kann.

Es ist ein zunächst ideales Arrangement: Die isländische Journalistin Gisella (Elma Lísa Gunnarsdóttir) lebt allein in einem großen Haus, das sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Bei ihren Recherchen zu einem Artikel über die Wohnbedingungen der Einwanderer in Reykjavik, lernt sie die Kolumbianerin Marisol (Raffaella Brizuela Sigurðardóttir) sowie Abeba (Enid Mbabazi) und Tochter Luna (Claire Harpa Kristinsdóttir) aus Uganda kennen. Geschockt von den Umständen und dem Zustand der Unterkunft bietet sie den Frauen spontan an, sie bei sich aufzunehmen. Das Zusammenleben, anfänglich geprägt von gegenseitigen Gesten der Fürsorge und Rücksicht, gestaltet sich allerdings zunehmend schwieriger, bis hin zum finalen Disput.

Das Einladen von Gästen und der damit verbundene Eintritt in persönliche Räume vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Unterschiede ist nicht erst seit Bong Joon-ho’s Parasite ein beliebtes Grundszenario für Schlagabtausche, aber auch Annäherungen aller Arten und Genres. Die Frauen in dieser Geschichte begegnen sich in Abhängigkeit zueinander. Giselle hat finanzielle Schwierigkeiten, kann das Haus womöglich auf Dauer nicht halten und muss sich, nachdem sie auch noch ihren Job kündigt, als unabhängige Journalistin behaupten. Von Marisol und Abeba erhofft sie sich also Details zur Flucht aus der Heimat und zu dem brutalen Leben, das sie hinter sich gelassen haben, denn bisher mangelt es ihrer Berichterstattung an Qualität und einer persönlichen Verbindung. Sie räumt die guten Gläser weg, setzt einen regulären Mietvertrag mit Kaution auf und feiert im Anschluss ausgelassen mit ihren Mitbewohnerinnen zu traditionellen Tänzen und viel Wein. Ihr Ausspruch „Mein Zuhause ist euer Zuhause“ ist aufrichtig gemeint, ohne dass sie ahnen kann was sie damit heraufbeschwört.

Gemeinschaftlich beschlossene Regeln werden in der Folge eigenmächtig erweitert, erzwungen, gebrochen und provokant in Frage gestellt. Marisol und Abeba verrichten Hilfsarbeiten, wollen sonst nicht viel preisgeben und verhalten sich demütig. Dann beginnen sie, sich mehr und mehr einer gewissen Ausgelassenheit hinzugeben. Der Kampf ums Überleben bisher war hart, jedes Risiko groß, Momente der Sorglosigkeit gibt es fast nie. Die kleine Luna droht vernachlässigt zu werden und Gisella, die sie schon wie eine eigene Tochter ins Herz geschlossen hat, kann nur bedingt helfen, ohne dass Abeba sofort einschreitet und sie ermahnt, sie solle ihr nicht als Mutterersatz die Verantwortung abnehmen. Darüber hinaus schuldet Abeba Gisella noch Geld für die Kaution und entwickelt eine zunehmend aggressivere Abwehrhaltung gegen die Frau, die sie aufgenommen hat, gegen die Abhängigkeit und ewige Anpassung.

Der Film arbeitet, basierend auf dem Roman Tryggðapantur von Auður Jónsdóttir, mit reduzierten Mitteln, einer kühlen Grundstimmung und bisweilen zu wenig Licht. Ein erweiterter Kontext zur Politik, der „Angst der isländischen Nation vor Einwandern“, wie Gisella in ihrem Entwurf schreibt, wird nicht aufgeschlüsselt. Zudem wird Gisella, im Hinblick darauf, in ihrer Arbeitsweise oft zu vereinfacht dargestellt und wirkt dadurch als Journalistin nicht sehr überzeugend. Marisol und Abeba sind als Charaktere besser gestaltet, bleiben einem bewusst fremd, ihr Alltag wird nur angedeutet und nicht immer ist klar, ob sie die Wahrheit sagen oder einen anderen Plan verfolgen. Abebas Tochter Luna vermittelt derweil, mit kindlicher Sympathie, zwischen den sich erhärtenden Fronten.

Im Ansatz geht es weniger um den illegalen Status der Frauen oder einen grundlegenden Vergleich von herkunftsbedingten Privilegien als vielmehr um Respekt und die persönlichen Freiheiten, die die Charaktere sich nehmen, den Raum den sie beanspruchen und rechtmäßig für sich einfordern. Als Sozialstudie bleibt Tryggð zwar insgesamt zu vage, jedoch als Drama und psychologische Konfrontation mit der eigenen Menschlichkeit spannend. Die ultimative Konsequenz, die Gisella als Figur schließlich aus den Ereignissen zieht, ist bitterböse und resultiert dann doch noch aus einer Überlegenheit heraus, die mit purem Selbsterhalt allein nicht zu deuten ist. Denn unabhängig von allen guten Absichten bestimmen am Ende nur die Taten der Frauen ihre weitere Zukunft.

Tryggđ (The Deposit) (2019)

In Ásthildur Kjartansdóttirs Spielfilm-Debüt geht es um die Grenze zwischen Freundlichkeit und Grausamkeit. Gisella träumt davon, als Journalistin wichtige und richtige Dinge zu schreiben und so auch zu handeln. Aus diesem Grund kündigt sie auch ihren Job bei der Zeitung, nachdem mal wieder ein Artikel von ihr wegen der Verkaufszahlen bearbeitet wurde. Sie beginnt mit einer Recherche über die Lebenssituation von Einwanderern, wo sie Marisol, Abeba und ihre Tochter Luna kennenlernt, die in einer Baracke am Hafen wohnen. Um ihre finanziellen Probleme zu lösen, lädt sie alle ein, in ihrem großen Haus zu wohnen, das sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Zunächst funktioniert alles gut, aber bald wird der gegenseitige Respekt der drei Frauen zu einem Machtkampf, und die Gastfreundschaft wird durch Regeln und ein System von Strafen ersetzt.

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