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Endlich arbeiten sie wieder zusammen, das Juno-Dream-Team Jason Reitman und Diablo Cody. Mit Charlize Theron im Gepäck haben sie mit Tully einen Film entwickelt, dessen Ehrlichkeit und Humor direkt ins Herz treffen und mit den Klischees rund um Schwangerschaft und Muttersein gründlich aufräumen.

Tully (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Das Ende der lieblich-perfekten Mutterfiguren

Ach ja, es gibt doch nichts Schöneres als schwanger zu sein. Man glüht von innen, ist in seiner Mitte, streichelt sich über den dicken Bauch und weiß, man macht dort gerade etwas Magisches, man macht einen neuen Menschen. So viel zur Werbebotschaft der Schwangerschaft. Doch Marlo (Charlize Theron) ist nicht dieses glühend-magische Wesen. Marlo schwitzt. Marlo kommt kaum aus dem Sessel hoch, kriegt meist keine Luft und watschelt langsam hinter ihren anderen zwei Kindern hinterher, derer sie kaum Herr wird.

Denn Jonah (Asher Miles Fallica), ihr Ältester, ist stark verhaltensauffällig und Sarah (Lia Frankland) das typische Mittelkind, das im stressigen Lebensalltag verlorenzugehen droht. Ach ja, dann ist da noch Drew (Ron Livingston), Marlos Ehemann. Drew ist ein Guter, ein Lieber, ein Ruhiger. Aber auch irgendwie einer, der mit Abwesenheit glänzt, selbst wenn er anwesend ist. Er arbeitet viel – er muss ja auch die ganze Familie in nächster Zeit allein ernähren – und wenn er zuhause ist, dann will er vor allem eines: abschalten. Und so verbringt Drew seine Zeit am Rechner oder im Ehebett, vor dem Fernseher und der Playstation.

Zwischen all dem Chaos, den Millionen To-Dos steht Marlo und trägt, metaphorisch als auch tatsächlich, die gesamte Last der Familie. Und Marlo ist offensichtlich müde. Ihre Antworten auf die ihr zugeworfenen Phrasen von Fremden und der Familie, wie schön doch das Wunder des Lebens sei, beantwortet sie automatisiert, die dahinschmelzenden letzten Tage vor der Geburt gehen ebenfalls an ihr vorüber. Einzig ihr Bruder Craig (Mark Duplass), der Geld hat und deswegen seine Kinder- und anderen Probleme outsourcen kann, vermag einmal zu ihr durchzudringen. Craig macht ihr ein Geschenk. Eine „Nighty-Nanny“, also eine Art Mary Poppins für die späten Stunden, die in den ersten Wochen hilft, das Kind nachts ruhig zu halten und den Eltern ein wenig Schlaf zu geben. Doch Marlo lehnt ab.

Als das Baby dann aber da ist und der Schlaf völlig passé – zumindest ihrer, denn Drew übernimmt keine der Nachtschichten, er muss ja arbeiten – besinnt sie sich. Sie kann nicht mehr. Sie braucht Hilfe. Und dann klopft es eines Abends an der Tür und da steht die Namensgeberin des Films: Tully (Mackenzie Davis). Tully ist perfekt. Sie ist jung, schön, dünn, lustig, klug, voller Energie. Tully passt auf das Kind auf, sie putzt die Wohnung, backt Cupcakes für die Schule. Und Tully macht klar: sie ist nicht nur für das Baby da, sondern auch für Marlo. Wenngleich sich diese erst wehrt, merkt sie bald, dass Tully genau ist, was ihr gefehlt hat. Eine Freundin. Eine Vertraute. Ein Mensch, der auf sie achtet, ihr hilft und ihr dabei auch noch etwas gibt, was sie längst vergessen hat: Ein Leben außerhalb von Kindern und Familie. Ein Leben, das Marlo einmal hatte. Eines, in dem man Sprachen lernt und reist, in dem man Pläne schmiedet für die Zukunft und darüber nachdenkt, dass man auf einem Planeten sitzt, der drehend durch den Weltraum rast. Kurzum: Tully ist all das, was Marlo hätte sein können. In einer anderen Welt, einem anderen Leben.

Das klingt alles recht tragisch, doch das ist es nicht. Tully ist immer noch ein Film von Jason Reitman und Drehbuchautorin Diablo Cody, die schon einmal das Thema Schwangerschaft und Muttersein auf beste Art in Juno bearbeitet haben. Genau das macht diesen Film zu einer so herausragenden Perle: Hier trifft das Wissen um die Realität von Müttern auf klugen und ehrlichen Humor. Die Kombination perfektioniert Charlize Theron, die schon in Young Adult mit den beiden kooperierte und sich überhaupt nicht zu schade ist, hier Körper und Seele zu entblößen und ihrer Figur die Tiefe und Ehrlichkeit zu geben, die sie verdient. Ebenfalls auf hohem Niveau: Mackenzie Davis, die quasi Marlos Alter Ego spielt. Zusammen lassen beide Frauen nicht nur viele verschiedene Facetten vom Frau- und Muttersein entstehen, sondern auch eine Tiefe und Wärme zwischen einander entstehen, die Tully zutiefst humanistisch verankern.

Doch es sind nicht nur die Dialoge und Figuren, die hier glänzen, es ist auch die sehr bewusste Art, in der Tully seine Themen kinematographisch dezidiert dekonstruiert. Das beginnt bei der Idee der perfekt-schönen Schwangeren, geht aber weit darüber hinaus. Tully beschäftigt sich mit dem Körperkino, vor allem mit dem Danach der Schwangerschaft. Er beschäftigt sich mit der Idee von Geburt und ihrem angeblichen Zauber, indem er die wohl unspektakulärste, langweiligste Geburtsszene des Kinos zeigt. Er nimmt die Verklärung und bemüht sich um ehrliche Bilder, die gekonnt eingerahmt werden in eine Geschichte, die noch diverse andere Mythen, mal subtil nebenbei, mal mit dem Holzhammer zertrümmert. 

Kurzum: Tully ist ein Film, der das Thema Mutterschaft in der derzeitigen Gesellschaft aufs Schärfste seziert, dabei aber niemals seine Liebe und Hoffnung verliert oder seine Figuren verrät.

Tully (2018)

Drei Kinder hat Marlo — darunter ein Neugeborenes, das sie nachts kaum zur Ruhe kommen lässt. Aus Mitgefühl macht ihr Bruder ihr dann ein Geschenk, das frischgebackene Eltern mit Neid erfüllen dürfte: Eine junge Frau namens Tully kümmert sich als „Night Nanny“ um die Kinder in der Nacht. Und mit der Zeit entsteht zwischen dem guten Geist und Marlo eine enge Verbindung.

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