The Divide

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom Ende allen Seins

Das Ende der Welt hat mal wieder Hochkonjunktur im Kino und man fragt sich schon, wie häufig wir uns noch das Ende unseres Planeten und das Vergehen allen Seins anschauen wollen. Während Filme wie Lars von Triers gewaltige Untergangsvision Melancholia und John Hillcoats humanistische Parabel The Road aber gerade aus der drohenden Apokalypse noch so etwas wie einen Rest Schönheit und Menschlichkeit abzuleiten verstehen, sucht man in Xavier Gens‘ ultradüsterem Endzeit-Thriller The Divide verzweifelt nach einem Funken Licht – und wird nicht fündig. Nirgends.
Am Anfang sehen wir ein Auge, aus dem eine Träne rinnt, dann ein Gesicht, das fassungslos durch eine Fensterscheibe auf die grellen Explosionen schaut, die dort draußen geschehen – und schon sind wir mitten drin im Chaos. In wilder Hast fliehen die Menschen nach dem Abwurf der Atombomben auf die Stadt durch das Treppenhaus, Kinder schreien, es wird gedrängt geschubst, getrampelt, ums Leben gerannt, bis der rettende Luftschutzbunker des finsteren Hausmeisters Mickey (Michael Biehn) endlich erreicht ist und dieser die Tür mit einem lauten Knall schließt. Dann folgt das Dunkel und die opening titles. Doch wer dann glaubt, man habe das Schlimmste bereits hinter sich, der sieht sich ebenso getäuscht wie die Geretteten, die sich in dem Bunker befinden. Denn was sie noch nicht wissen: Sie sind eine Geschlossene Gesellschaft im Sartre’schen Sinne. Und deren Motto ist zugleich auch dasjenige des Films: „Die Hölle, das sind die anderen.“ „L’enfer, c’est les autres“, so lautet der Kernsatz bei Sartres Drama. Treffender kann man diesen furiosen Albtraum vom Ende der Welt nicht in Worte fassen.

Was die zusammengewürfelte Gruppe in dem düsteren Keller ebenfalls nicht ahnt: Xavier Gens‘ Variation des existenzialistischen Dramas begnügt sich nicht allein mit psychologischem Horror, sondern lässt diesem mit unerbittlicher Konsequenz den ganz realen und sehr körperlichen Schrecken folgen. Hier, unterhalb der Erde, in einem Gefängnis, aus dem es aufgrund der Strahlung kein Entrinnen gibt, zeigt sich, was der Mensch wirklich ist, sobald die Fassade der Zivilisation in sich zusammengefallen ist wie die Hochhäuser der Stadt da draußen: ein Tier, und zwar ein äußerst bösartiges, das ums Überleben kämpft. Mehr nicht. Selbst wenn das Überleben angesichts des Zustandes der Welt eigentlich keine wünschenswerte Option mehr ist.

Auf den Schrecken des Krieges, der an keiner Stelle auch nur ansatzweise erklärt wird (wozu auch?) folgt der Krieg im Kleinen. Es beginnt mit Sticheleien, damit, dass immer wieder einer der Insassen die Nerven verliert angesichts der Geschehnisse und der düsteren Aussichten, dann folgen Verdächtigungen und erste Gewaltausbrüche. Und dann, völlig unerwartet, dringt ein mysteriöser Trupp in Schutzanzügen in den Keller ein und entreißt die kleine Wendy (Abbey Thickson) den Armen ihrer Mutter Marilyn (Rosanna Arquette). Unter dem Eindruck des Verlustes verliert Marilyn nahezu den Verstand – eine Situation, die Bobby (Michael Eklund) und Josh (Milo Ventimiglia) rücksichtslos und brutal ausnutzen, um ein Terrorregime unter Tage zu errichten.

Xavier Gens, der sich im Jahre 2007 mit Frontier(s) unter Horror-Fans einen Namen machte und der als ein wichtiger Vertreter des New French Horror gilt, hat mit dem Totalflop Hitman (2008) beinahe seinen guten Ruf verspielt, mit dem unabhängig produzierten The Divide, der beinahe ausschließlich in Winnipeg entstand, aber meldet er sich eindrucksvoll zurück.

Sicherlich fehlt es den Charakteren an der einen oder anderen Stelle an Tiefe, ist das Tempo der Geschichte zu hoch, um allzu großen Wert auf psychologische Feinheiten und ausgefeilte Backstories zu legen. Und dennoch packt einen The Divide von der ersten Minute an und lässt den Zuschauer nicht mehr vom Haken.

Gespickt mit zwar sichtbaren, aber keineswegs aufdringlichen Verweisen auf die Katastrophe von 9/11 und durchsetzt mit Anklängen an Filme wie Blade Runner, an Sartre und William Goldings Herr der Fliegen, gerät The Divide zu einem Abgesang auf die Menschheit, der viel weiter geht und viel mehr schmerzt als The Road oder andere Endzeitszenarien.

Neben den überwiegend großartigen darstellerischen Leistungen sind es vor allem die gelungenen Kamerafahrten von Laurent Barès und Jean-Pierre Taiebs exzellente melancholische Filmmusik, die dieses apokalyptische Kammerspiel zu einer Seherfahrung werden lassen, die sich so unbarmherzig in den Kopf des Zuschauers frisst wie die Strahlung in die Haut und die Herzen der Eingeschlossenen.

The Divide

Das Ende der Welt hat mal wieder Hochkonjunktur im Kino und man fragt sich schon, wie häufig wir uns noch das Ende unseres Planeten und das Vergehen allen Seins anschauen wollen. Während Filme wie Lars von Triers gewaltige Untergangsvision „Melancholia“ und John Hillcoats humanistische Parabel „The Road“ aber gerade aus der drohenden Apokalypse noch so etwas wie einen Rest Schönheit und Menschlichkeit abzuleiten verstehen, sucht man in Xavier Gens‘ ultradüsterem Endzeit-Thriller „The Divide“ verzweifelt nach einem Funken Licht – und wird nicht fündig.
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