Painless

Eine Filmkritik von Lida Bach

Schmerzvolle Erinnerung

Ein kleines Mädchen brennt lichterloh, ein kleiner Junge ist mit Bisswunden übersät, einer Gruppe Kinder werden die Fingernägel ausgerissen: die Bilder, in denen Juan Carlos Medina sich die geschundene Welt seines Schauerdramas ausmalt, sind zugleich schmerzhaft und auf bizarre Weise schmerzlos. Denn so ist auch das Dasein der kindlichen Protagonisten des allegorischen Debüts, mit dem der spanische Regisseur an die kaum verheilten Wunden des Bürgerkriegs rührt und für einen brutalen Geschichtshergang, der wie ein gemeinschaftlicher Impuls zur Selbstzerstörung scheint, ein radikales Gleichnis aufstellt.
Schlüsselfigur der ungewöhnlichen filmischen Verarbeitung einer düsteren Ära ist der junge Benigno (Mot Stothart), der in einer doppeldeutigen Szene einen Hundewelpen mit kaltblütiger Sorgfalt seziert. Es ist nicht nur eine Operation am lebenden Objekt, sondern ohne Betäubung. Die emotionale Taubheit entspringt einer physischen, die alle von Benignos Regungen überschattet; sei es Zartgefühl oder Skrupel. Mitleid entsteht in Medinas sich auf zwei langsam verflechtenden Zeitebenen abspielender Parabel durch das persönliche Erleben von Schmerz. An einem Ort, wo er nicht empfunden und ein Bewusstsein für fremde Schmerzempfänglichkeit nicht entwickelt werden kann, wird Unschuld zu Unmenschlichkeit. Ein solcher Ort ist das katalanische Bergdorf, in dem das beklemmende Lehrstück im Jahre 1931 seinen Anfang nimmt. In der kargen und dennoch seltsam malerischen Gegend wächst Benigno auf. Seine Altersgenossen und er haben sich noch niemals weh getan. Gerade das macht sie für ihre Eltern und die Dorfbevölkerung beängstigend, denn die Kinder besitzen keinerlei Schmerzempfinden und kein Einschätzungsvermögen für mögliche Folgen körperlicher Verletzungen.

Einige der grausigsten davon fügen die Spielgefährten aus Spaß oder Langeweile abwechselnd einander und sich selbst zu. Der Geruch versengender Haut und das Zischeln von Flammen auf dem eigenen Arm, das Fließen von Blut und der Geschmack des eigenen Fleisches und die übrigen in den verstörenden Anfangsszenen vorgeführten Effekte sind bloß kuriose Experimente in den Augen der Kinder; in denen der Erwachsenen ist es ein Grund, die vermeintlichen Monster aus der Gemeinschaft zu entfernen. In das Sanatorium, wo sie eingesperrt leben, kommt ein Schimmer von Menschlichkeit erst durch den jüdischen Arzt Holzmann (Derek De Lint). Er will den isolierten Kindern Verständnis für das ihnen Unbekannte lehren: Schmerz. Ihn kennt David Martell Jahrzehnte später nur zu gut. Der Hirnchirurg (Alex Brendemuhl) erhält nach einem Autounfall eine doppelte Hiobsbotschaft. Seine schwangere Frau ist tot, er selbst krebskrank. Eine lebensrettende Knochenmarktransplantation verweigern seine Eltern, denn Davids Familienbiografie birgt manches Geheimnis – und Schmerz.

Das Verschweigen der eigenen Geschichte wird zum buchstäblichen Totschweigen, das in der Gegenwart Opfer fordert. Das unheimliche Kindermärchen birgt eine kritische Auseinandersetzung mit ziviler Lethargie und Brutalisierung und den machtpolitischen Abgründen, zu denen sie führen. Die Monster der Franco-Diktatur und Bürgerkrieg beschwörenden Erzählung von Medina und REC-Autor Luiso Berdejo sind tragisch menschliche Kreaturen einer moralischen apathischen Gesellschaft, die sich aufgrund ihrer Empfindungslosigkeit wahrhaftig ins eigene Fleisch schneidet. Inspiriert von Guillermo del Toros Pan´s Labyrinth und The Devil´s Backbone, obschon weit weniger poetisch, ist Painless dichter an der Realität, als das drastische Ende ahnen lässt, und als historische Horror-Allegorie gewiss nicht schmerzfrei.

Painless

Ein kleines Mädchen brennt lichterloh, ein kleiner Junge ist mit Bisswunden übersät, einer Gruppe Kinder werden die Fingernägel ausgerissen: die Bilder, in denen Juan Carlos Medina sich die geschundene Welt seines Schauerdramas ausmalt, sind zugleich schmerzhaft und auf bizarre Weise schmerzlos.
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