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Freizügige Fotokunst trifft auf dörfliche Realität. Kann Philippe Le Guay aus diesem Ansatz Funken schlagen?

Ein Dorf zieht blank (2018)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Völlig nackt

Nicht selten leben Komödien von einem Zusammenprall der Gegensätze. Auch Philippe Le Guay wählt in seiner neuen Arbeit „Ein Dorf zieht blank“ eine derartige Konfrontation als Ausgangspunkt, indem er zum einen den Existenzkampf einer Gemeinschaft im Dorf Mêle-sur-Sarthe in der Normandie schildert und zum anderen von den künstlerischen Ambitionen eines erfolgreichen US-Fotografen erzählt.

Die Leute, die in Mêle-sur-Sarthe wohnen, sind überwiegend in der Landwirtschaft tätig – so auch der Bürgermeister Georges Balbuzard (François Cluzet). Die fallenden Fleisch- und Milchpreise haben in der Umgebung jedoch schon lange zu einer Krise geführt; etliche Mitglieder der Gemeinde sind bereits hoch verschuldet. Alle bisherigen Versuche, die Gesellschaft auf die herrschende Not in der Provinz aufmerksam zu machen, schlugen aufgrund des schwachen medialen Interesses fehl. Den exzentrischen New Yorker Fotokünstler Blake Newman (Toby Jones) tangiert das Leid der Bäuerinnen und Bauern ebenfalls kaum – er hat sich allerdings in den Anblick eines Feldes verliebt und möchte dieses als Motiv für sein nächstes Projekt nutzen. Er will das Feld fotografieren und darauf die nackte Bewohnerschaft von Mêle-sur-Sarthe platzieren. Der zunehmend verzweifelte Balbuzard sieht darin die Möglichkeit, die erhoffte Aufmerksamkeit zu erhalten, muss aber erst die Leute dazu bringen, sich öffentlich zu entblößen.

Die gute Nachricht ist: Das Drehbuch, das Le Guay gemeinsam mit Olivier Dazat und Victoria Bedos verfasst hat, sowie dessen Umsetzung verzichten weitgehend auf Kalauer und alberne Momente in Bezug auf Nacktheit. Vielmehr wird deutlich, dass die dörfliche Gemeinschaft Nacktheit vor allem mit Scham verbindet und die von Newman gewünschte Darstellung als Demütigung empfindet – sich nackt zu machen heißt hier auch, das eigene Elend einzugestehen. Hinzu kommt etwa die extreme Eifersucht eines Mannes (Grégory Gadebois), der nicht will, dass sich seine Frau (Lucie Muratet) unbekleidet vor allen anderen zeigt. In solchen Momenten reißt der Film interessante Themen sowie tief verwurzelte Ängste und Denkstrukturen an, lässt indes keine wirkliche Auseinandersetzung damit zu, da letztlich doch alles zu einer raschen Beseitigung der Konflikte führen muss.

Seinem ernsten Hintergrund – der prekären Situation von Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten und dabei nicht Teil von Großunternehmen sind – widmet sich Ein Dorf zieht blank in einigen Szenen intensiver und treffender. Nicht zuletzt profitiert das Werk davon, dass sich die Statisterie aus der tatsächlichen Dorfgemeinschaft zusammensetzt. Wenn im Gemeindesaal über Wege aus der Krise diskutiert wird und Klagen über die Politik geäußert werden, hat das etwas Glaubwürdiges, zumal das Skript in solchen Passagen nicht zwanghaft auf Pointen-Jagd geht. Weniger gelungen ist hingegen die Inszenierung eines Selbstmordversuchs, der in seiner chaotischen Auflösung weder als schwarzhumorige Einlage funktioniert noch der realen Tragik, dass sich laut Statistik in Frankreich jährlich circa 300 Personen aus dem landwirtschaftlichen Sektor das Leben nehmen, gerecht wird.

Der Film wendet sich diversen Nebenschauplätzen zu, die zwar unterhaltsam sind, aber (zu) wenig zur Geschichte beitragen. Ein junger Mann (Arthur Dupont) kehrt in das Dorf zurück, um das Fotogeschäft seines verstorbenen Vaters zu verkaufen; eine Familie aus Paris zieht – sehr zum Missfallen der Teenager-Tochter (Pili Groyne), die zugleich via Voice-over als Erzählerin fungiert – nach Mêle-sur-Sarthe, um dem urbanen Stress zu entkommen. Beide Handlungsstränge dienen dazu, noch weitere Sichtweisen auf das Dorfleben zu gewinnen; womöglich wäre eine Konzentration auf die spannenden Kernthemen des Werks – die wirtschaftliche Not und das kollektive Nacktfoto – jedoch der ergiebigere dramaturgische Weg gewesen.

Ein Dorf zieht blank (2018)

Ganz Frankreich leidet unter der Wirtschaftskrise und auch die Normandie bleibt davon nicht verschont. Nach dem jähen Preisverfall für Fleisch und Gemüse stehen viele Bauern in Mêle sur Sarthe kurz vor dem Aus. Doch Georges Balbuzard, der Bürgermeister des kleinen Ortes, will nicht so einfach klein beigeben und heckt einen Plan aus, wie er die Öffentlichkeit auf die Nöte aufmerksam machen will: Ein kollektives Nacktbild von 300 Menschen soll ein international sichtbares Zeichen setzen.

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