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Bin ich schön? Wie werde ich ein Star? Und hoffentlich holt mich hier bloß keiner raus! Denn ich will tanzen, singen und die Bühne erobern. Mit diesen Gedanken im Kopf kämpfen die jungen Protagonisten in „Lampenfieber“ darum, einen Platz im „jungen Ensemble“ des Friedrichstadt-Palastes zu ergattern.

Lampenfieber (2019)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Helden von heute

Von der gigantischen Bühne des Friedrichstadt-Palastes aus haben in den vergangenen Jahren schon viele eine erfolgreiche Karriere gestartet: Der aktuelle Shootingstar des deutschen Films Paula Beer (Transit) war Mitglied im berühmten „jungen Ensemble“ des Berliner Theaterkolosses, genauso wie Sonja Gerhardt, Benjamin Trinks, Julia Richter oder Alina Levshin.

Wie die sechs jungen Protagonisten in Alice Agneskirchners Dokumentarfilm Lampenfieber, der im Rahmen der Berlinale uraufgeführt wurde, mussten sie sich einst dem harten Auswahlverfahren von Christina Tarelkin stellen, die früher selbst auf der größten Theaterbühne der Welt stand und heute zusammen mit ihrem engagierten Team aus Regisseuren, Choreografen, Tanz- und Gesangslehrern, Bühnen- und Kostümbildern dafür Sorge trägt, den guten Ruf des „jungen Ensembles“ weiter zu pflegen.

Um zu wenige Anmeldungen für die erste und traditionell öffentlich ausgeschriebene Castingrunde muss sie sich keineswegs sorgen: Über 500 Kinder bewerben sich jährlich für einen der begehrten Plätze im derzeit 280 Mitglieder zählenden „jungen Ensemble“ des Friedrichstadt-Palastes, was in den leise beobachtenden Einstellungen von Kameramann Marcus Winterbauer schnell greifbar wird.

Dabei funktioniert Lampenfieber wie ein sympathischer Coming-of-Age-Film, der die jungen Protagonisten im selben Zuge schlichtweg zwölf Monate lang beim Älterwerden zeigt. Die erfahrene Münchner Dokumentarfilmerin Alice Agneskirchner (Wem gehört die Natur?) konzentriert sich in ihrer einjährigen, durchaus intimen Begleitung von Nick (11), Alex (16), Maja (9), Luna (10), Amira Pauletta (14) und dem exaltieren YouTube-Star Oskar alias „Ossy Glossy“ sowohl auf die ersten Erfolge wie zu erwartenden Rückschläge der international zusammengewürfelten Nachwuchstruppe.

Klar, aber durchwegs zu brav strukturiert, folgt sie ihren gut ausgewählten Protagonisten im Grunde vom ersten Vorsprechen und Vortanzen über diverse Kostüm- und Bühnenproben bis hin zur großen Premiere des Familienstücks „Spiel mit der Zeit“ vor 2000 Besuchern im November 2017. Dabei spart Lampenfieber im Subtext erfreulicherweise weder globale Metathemen wie Flucht und Migration noch frühzeitige, zum Teil auch sehr herbe Reifungsprozesse aus, durch die einige der begleiteten Kinder und Jugendliche infolge von Krankheitsdiagnosen, Todesfällen oder Verlustängsten in ihrem familiären Umfeld schlichtweg hindurchmüssen: auch wenn es richtig weh tut. Das geht einem beim Zusehen zwischenzeitlich an die Nieren und hebt Lampenfieber von biederen Fernsehdokumentationsformaten wie 37 Grad deutlich ab. Hier wird nämlich im O-Ton oft genug Tacheles gesprochen, sei es bei der Probe oder in den Armen einer schwer kranken Mutter. Und jene berührenden Momente werden glücklicherweise auch nicht sofort zentnerweise mit verkitschter Musik oder reißerischen Bauchbinden zugeschüttet, was Agneskirchners Regiestil in den besten Szenen eine spürbare Tiefe verleiht.

Was Lampenfieber, der formal-ästhetisch verhältnismäßig konventionell in Szene gesetzt wurde, überhaupt recht sehenswert macht, ist Alice Agneskirchners gelungene Mixtur aus komischen und ernsten, wahrhaftigen wie traurigen Momenten, die ihrem Dokumentarfilm eine angenehme Leichtigkeit im Tonfall verleihen. In Kombination mit dem konsequent ehrlichen Blick in die einzelnen, zum Teil vollkommen verschiedenen Familiensphären der Portraitierten, erzählt Agneskirchners Dokumentarfilm abseits des zentralen Lehr- und Ausbildungssettings zwischendrin einiges über die generellen Ängste und Nöte von jungen Menschen, die nach der Jahrtausendwende geboren wurden.

In toto ist Lampenfieber vielleicht kein großer Dokumentarfilm: Dazu ist Alice Agneskirchners Blickwinkel weder politisch noch soziologisch besonders bemerkenswert. Auch die reinen Schauwerte im Rahmen dieses gewaltigen Show- und Theateruniversums, das für Außenstehende seltsamerweise immer noch den langen Atem der DDR-Unterhaltungsindustrie atmet, sind lediglich ansehnlich: mehr aber auch nicht. Denn wirklich neuartige, gar überraschende Einstellungen sucht man hier vergebens. Trotzdem versprüht dieser Film einen gewissen Gute-Laune-Faktor. Und das ist doch etwas in diesen meist wenig harmonischen Zeiten.

Lampenfieber (2019)

Lampenfieber“ erzählt die Geschichte von fünf Kindern des jungen Ensembles des Friedrichstadt-Palasts während der Entstehung des neuen Kinderstücks „Von Zeit zu Zeit”. Vom Casting bis zum großen Premierenabend vor 2.000 Zuschauern erleben wir, wie die Kinder vor immer neue Herausforderungen gestellt werden: Probenstress, Lampenfieber, Konkurrenz, die erste Liebe.

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