Holy Smoke

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Montag, 12. Mai 2014, ARTE, 22:45 Uhr

Sie ist in diesem Jahr als Präsidentin der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Einsatz, wo bereits ihr erster Kurzfilm Orangenschalen / An Exercise in Discipline – Peel 1982 eine Goldene Palme gewann, ebenso wie sie selbst als Regisseurin 1993 für Das Piano / The Piano: Die neuseeländische Filmemacherin Jane Campion, die im vergangenen Monat 60 Jahre alt geworden ist, findet ihre Filme in diesen Tagen anlässlich des runden Geburtstags und der ehrenhaften Funktion in Cannes recht häufig im internationalen Fernsehprogramm repräsentiert. So auch beim deutsch-französischen Kultursender ARTE, der am heutigen Montag nach Ein Engel an meiner Tafel / An Angel at My Table (1990) auch das herrlich schräge Drama Holy Smoke zeigt, welches Jane Campion gemeinsam mit ihrer Schwester Anna schrieb, die gleichfalls filmisch tätig ist.
Während einer Indien-Reise mit ihrer Freundin Prue (Samantha Murray) entdeckt die Australierin Ruth Barron (Kate Winslet) in der Person des Gurus Chidaatma Baba (Dhritiman Chatterjee) die absolute Erfüllung ihrer spirituellen und anderen Sehnsüchte, vernichtet kurzerhand ihr Rückflugticket und beschließt, sich fortan gänzlich seiner Lehre und ihm selbst zu widmen. Entsetzt vom fernen Ausstieg ihrer Tochter reist Mutter Miriam (Julie Hamilton) höchstpersönlich nach Südasien, um die offenbar verwirrte Ruth schnurstracks unter dem Vorwand, ihr Vater (Tim Robertson) sei ernsthaft erkrankt, sofort nach Hause zu holen. Diese Finte zündet zwar nicht, doch angesichts eines Zusammenbruchs ihrer Mutter willigt Ruth dann schließlich doch ein, diese zunächst einmal auf der Heimreise zu begleiten, um bald nach Indien zurückzukehren.

Es ist ein heimlich von ihren Eltern eingefädelter, derber Entzug, der die widerständige Ruth nun in der Abgeschiedenheit des australischen Outbacks erwartet, nachdem sie ihren kerngesunden Vater begrüßt hat: Unter dem Kommando des bislang erfolgreichen, professionellen und nüchternen „Exorzisten“ P. J. Waters (Harvey Keitel), seines Zeichens Sektenexperte, soll Ruths Geist von den indischen Einflüssen drastisch gesäubert werden, und diese Radikalkur soll sich innerhalb von drei Tagen unter rechtschaffenem Zwang in förderlicher Isolation vollziehen. Doch das Bild, das sich P. J.’s Freundin Carol (Pam Grier) bietet, die später als hilfsbereite Assistentin vor Ort erscheint, zeigt deutlich, wer inzwischen im erbarmungslos tosenden Kampf der Geister und Geschlechter durch unwiderstehliche Anziehungskraft die Führung übernommen hat …

Innerhalb der geschickt angelegten Dramaturgie gelingt es den Schwestern Campion, ihre kleine Geschichte über große Themen derart zu gestalten, dass die Wendungen vom leichtgängigen Beginn bis zum überraschenden Ende hin so lebendig und abwechslungsreich wie die Charaktere daherkommen, deren Wandlungsfähigkeit ein wesentliches Element dieses beinahe aberwitzigen Dramas darstellen, das im Rahmen seiner Uraufführung beim Filmfestival von Venedig dort mit dem Elvira Notari Preis ausgezeichnet wurde. Den Fallen der Brisanz der Sphäre von Kultur und Geschlecht entgeht Holy Smoke mit pfiffiger Lässigkeit, die gerade zum Schluss des Films noch einmal mit leicht verwirrendem Triumph über die Engstirnigkeit besticht – eine kluge Parabel der überzeichneten Desillusionierung der konventionellen Werte.

Holy Smoke

Sie ist in diesem Jahr als Präsidentin der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Einsatz, wo bereits ihr erster Kurzfilm „Orangenschalen“ / „An Exercise in Discipline – Peel“ 1982 eine Goldene Palme gewann, ebenso wie sie selbst als Regisseurin 1993 für „Das Piano“ / „The Piano“:
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