Hannibal (Staffel 1 - Uncut)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Über Widersprüche und ästhetisierten Ekel – die Serie "Hannibal"

Hannibal Lecter – allein bei dem Namen denkt man an Chianti, Clarice Starling und gehäutete Leichen. Der wohl bekannteste Serienmörder der Popkultur ist der Inbegriff des hochintelligenten und distinguierten Psychopathen, wenngleich diese Einordnung in der forensischen Psychiatrie umstritten wäre. In der Fiktion indes ist Hannibal Lecter als Antagonist nahezu unwiderstehlich: scharfsinnig, überlegen, bis auf Empathie zu scheinbar allem fähig, gebildet und vor allem kultiviert.

Diese bestechende Verbindung aus abgrundtief Bösem und geschliffenem Geschmack machte ihn für das American Film Institute zum bösesten Schurken der Filmgeschichte – und sie ist ein guter Ausgangspunkt für eine Serie, die sich einem bisher unbekannten Kapitel in Lecters Biographie widmen will: dem ersten Zusammentreffen zwischen Hannibal Lecter und dem FBI-Profiler Will Graham, das zeitlich zwischen den Büchern Roter Drache und Hannibal Rising einzuordnen ist. Am Anfang von Hannibal wird daher der angesehene Psychiater Dr. Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) vom Leiter der FBI-Einheit für Verhaltensanalyse, Jack Crawford (Lawrence Fishburne), auf Empfehlung seiner Kollegin Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas) beauftragt, sich um die Psyche von Will Graham (Hugh Dancy) zu kümmern. Graham ist nämlich zu derart umfassender Empathie fähig, dass er mit den Gefühlen der Täter deren Taten nacherleben kann (diese Episoden werden im Bild mit einem Pendel eingeleitet und beendet). Mit dieser Gabe – oder wie Graham es bezeichnen würde: mit diesem Fluch – ist er große Stütze bei den Ermittlungen, allerdings droht er an seinen Gedanken und Gefühlen zu zerbrechen. Dennoch will Crawford auf seine Hilfe nicht verzichten, schließlich kann Graham – so wird beständig betont – Morde verhindern, und baut deshalb auf Lecters Unterstützung.

Schon diese Ausgangssituation birgt einige Ungereimtheiten und Widersprüche. Das FBI heuert Dr. Lecter auf eine persönliche Empfehlung hin an, überprüft wird er anscheinend nicht. Auch erhält er im weiteren Verlauf Einsicht in vertrauliche Ermittlungen, ja, er ist sogar an Tatorten und in Gesprächen aktiv an ihnen beteiligt, ohne dass sich irgendjemand daran stört. Darüber hinaus ist Will Graham von der ersten Folge sehr labil, dennoch hält beispielsweise die Sorge von Alana Bloom, die ihn bereits begutachten sollte, Jack Crawford nicht davon ab, ihn mit gefährlichen und wichtigen Ermittlungen zu betrauen. Selbst innerhalb der Serienfiktion fällt es schwer zu glauben, dass das FBI personell derart schlecht besetzt ist.

In dieser Konstellation wird nun pro Folge ein Fall gelöst, daneben gibt es die fortlaufende Handlung um Abigail Hobbs (Kacey Rohl). In der zweiten Folge wurde sie von ihrem kannibalistischen Vater beinahe ermordet, von Graham aber in letzter Sekunde gerettet. Sie ahnt Lecters Geheimnis und kommt ihm im Verlauf der Serie gefährlich nahe, zugleich fühlt sich Graham für sie verantwortlich. Deshalb wird sie für Lecter zu einer wichtigen Figur in seinem Spiel mit Graham. Eigentlich ist es nämlich sein Ziel, Graham in den Wahnsinn oder zumindest auf die dunkle Seite seines Selbst zu ziehen. Seine Motive werden innerhalb der Serie nicht beleuchtet, vielmehr sind wir auf Thomas Harris‘ Bücher und die bisherigen Verfilmungen angewiesen. Dann wissen wir, dass Lecter ein sadistischer Psychopath ist, der kein Gewissen hat und keine Motive für seine Taten braucht. Spannung entsteht auf diese Weise indes nicht, denn dank der Bücher und Filme wissen wir ja auch, wie es ausgehen wird. Vielmehr offenbart sich hier der größte Schwachpunkt der Serie: Sie findet keine Position zu den Vorläufern. Damit Hugh Dancy und Mads Mikkelsen glaubwürdig sind, sollte man tunlichst alle bisherigen Film-Grahams und Film-Lecters vergessen. Im Vergleich zu beispielsweise William Petersen (Blutmond) fehlt es Hugh Dancy an Charisma, außerdem spielt er Graham von der erste Folge an wie einen unsicheren, schlaksigen Schüler, der belehrt werden muss und sein Blick von unten in die Kamera ist weder abgründig noch gefährlich, sondern wirkt aufgesetzt. Mads Mikkelsen legt Hannibal Lecter als dandyhaften, sehr kontrollierten Psychiater an, Bedrohlichkeit strahlt er indes nicht aus – es sei denn, der Zuschauer verfügt über das nötige Vorwissen, auf das Regie und Kamera bei nahezu jeder Einstellung setzen. Nur unter dieser Bedingung schaffen die verzögerten Aufnahmen sowie die besonders kunstvoll inszenierten Essensszenen mitsamt bedeutsamer Musik eine düstere Atmosphäre, nur dann ergeben die einem Menü folgenden Episodentitel der ersten Staffel Sinn.

Dennoch stellt sich die Frage, warum sich die Autoren ausgerechnet auf Lecters aus allen vorhergehenden Verfilmungen bestens bekannten Kannibalismus und Sadismus konzentrieren, anstatt weniger bekannte Aspekte zu thematisieren. Doch statt zu erzählen, wie Lecter das Vertrauen des FBI gewinnt und diese cleveren Menschen täuscht, führen die Autoren lieber eine klischeehafte Journalistin ein, die sich unverantwortlich verhält und noch dazu erstaunlich wenig Interesse für Lecter zeigt, obwohl er sie bedroht hat. Außerdem finden sie pro Folge einen möglichst ekligen Mordfall, der in erstaunlicher Geschwindigkeit aufgeklärt wird – schließlich muss ja ausreichend Zeit für die Essensszenen bleiben. Mal züchtet also ein Psychopath Pilze auf Menschen, dann schneidet ein Mörder seinen Opfern den Rücken auf und tackert die Hauthälften wie Engelsflügel an Bettpfosten. Blut ist indes an den meisten Tatorten nicht zu finden. Denn bei allem Ekel bleibt die Serie in ihrer Ästhetik streng klinisch. Gerade von einem Serienschöpfer wie Bryan Fuller, der mit Heroes und Pushing Daisies bereits sein Gespür für außergewöhnliche Handlungen und Sinn für Ästhetik unter Beweis gestellt hat, wäre hier mehr zu erwarten gewesen.

Die ästhetische Überinszenierung verleiht der Serie immerhin teilweise eine bedrückende Stimmung, aber auch sie kann nicht über die fehlende Spannung hinwegtäuschen. Erst mit dem fortgesetzten Handlungsstrang um Abigail Hobbs wird die Serie unterhaltsamer, auch verspricht das vorherzusehende Finale zumindest eine interessante Wendung für die zweite Staffel. Jedoch reichen ästhetisierter Ekel und einige gute Ansätze nicht aus, um über die Widersprüche und Schwächen dieses unterkühlten Versuchs einer spannenden Serie hinwegzutäuschen.
 

Hannibal (Staffel 1 - Uncut)

Hannibal Lecter – allein bei dem Namen denkt man an Chianti, Clarice Starling und gehäutete Leichen. Der wohl bekannteste Serienmörder der Popkultur ist der Inbegriff des hochintelligenten und distinguierten Psychopathen, wenngleich diese Einordnung in der forensischen Psychiatrie umstritten wäre. In der Fiktion indes ist Hannibal Lecter als Antagonist nahezu unwiderstehlich: scharfsinnig, überlegen, bis auf Empathie zu scheinbar allem fähig, gebildet und vor allem kultiviert.

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