Die Bestie (Limited Edition Blu-ray)

Und Borowczyk schuf Ejakulat und Haare

In der Blütezeit des europäischen Sexfilms, in der auch Arthouse und Problemfilm noch nicht zwingend zu identischen Kategorien des schlechten Gewissens verschmolzen waren, schuf Borowczyk Ejakulat und Haare. Ein schlüpfrig-freudianisch aufgeladenes Erwachsenenmärchen voll schwarzen Humors, dessen Symbolsprache sich an Freuds Der Wolfsmann und Die Schöne und das Biest orientiert – und von der Kritik teils recht ratlos, viel schlimmer: von der Zensur völlig ignorant behandelt wurde. Im Booklet (übrigens sicher eines der schönsten und umfangreichsten der hiesigen Editionsangebote) informiert Jörg Hackfurth: Erst 1981 lief der 1975 produzierte Film gekürzt in den deutschen Kinos, die ebenfalls gekürzte Verleihkassette landete 1984 auf dem Index und war fortan indiziert. Der Befund: Pornographie und Tierpornographie. Nun, 24 Jahre später, darf man sich dank der Bemühungen des Rechteinhabers Bildstörung die Geschichte zu Gemüte führen, ohne Angst um die eigene sittliche Konstitution haben zu müssen.
Es geht um die Liebe zwischen Mensch und Tier bzw. darum, wie der Mensch das Tier als Code benutzt, um die Angst vor den eigenen Begierden zu zähmen. Daraus besteht die Beziehung zwischen King Kong und Jessica Lange, zwischen Jessica Bay und dem Biest und auch jene zwischen der amerikanischen Millionenerbin Lucy Broadhurst und dem Sohn Mathurin des verarmten Landadeligen Marquis Pierre de l`Esperance, der es nicht abwarten kann, die beiden schnellstmöglich zu verheiraten, um seine finanzielle Lage auszubessern. Allerdings ist die Familie zugleich von einem Fluch belastet, den sich allerdings nur der besorgte Onkel zu Herzen nimmt: Kommt es zur Heirat, wird Mathurin sterben. Dies hat eine sehr freudianische Bewandtnis: Vor 200 Jahren begegnete einer Vorfahrin der Familie im angrenzenden Wald ein wolfsähnliches Monstrum, das sie vergewaltigte und anschließend starb. Eine Geschichte, von der sich die eintreffende Lucy sehr beeindruckt zeigt, nachdem sie sie auf einem Gemälde im Anwesen erblickt und sie sogleich in der folgenden Nacht im Traum selbst erlebt. Am nächsten Morgen ist Mathurin tot. Unter dem Gipsverband auf seiner Hand befindet sich statt dieser eine Wolfsklaue, auf seinem Rücken ein zurückgebildeter Schwanz.

Wenn der Mensch um seine Moral bangt, dann am stärksten, wenn er seinen animalischen Anteil erkennen muss. Daraus destilliert Borowczyk keine katholische Moral, indem er den Lobgesang auf die unterworfene Natur anstimmt oder kulturpessimistisch das gleiche Instinktereservoir von Mensch und Tier relativierend ins Spiel bringt. Es ist die wörtliche Erfüllung des kulturgeschichtlichen Gebrauchs tierlicher Symbole, der Raub jener Privilegien, die den Mensch über die (auch eigene) Natur triumphieren lassen. Das macht den Film so herzhaft klug angeschmutzt. Hier wird die verdrängte Sexualität nicht schamhaft auf die Natur projiziert, sondern beide Elemente vereinen sich. Zwar zunächst in einem lebensgefährlichen Kampf, der Vergewaltigung, der indes ist bald beigelegt, nachdem die Lust obsiegt und die Bestie folglich stirbt. Das ist keine schwülstige Männerphantasie: Das Symbol, der Code, die Form für die Angst vor den inneren Impulsen, die Natur also schlägt nicht einfach zurück (und das wäre in der Tat eine schwülstig-aggressive Männerphantasie – weil sie sich an der Zerstörung der von ihr errichteten sexuellen Ordnung insgeheim lustvoll ergötzt), sie tritt leibhaftig als das auf, wofür sie ersonnen wurde. Und geht natürlich daran zugrunde. Wenn die in seine Gestalt verlagerte Furcht nicht mehr funktioniert, dann hat die Bestie als Symbol ausgedient.

Dass es weitaus mehr über diesen Film zu sagen gibt, beweist bereits das opulente Booklet. Dass eine sorgfältige Veröffentlichungspolitik in Kombinationen mit schlichtweg perfekter Ausstattung hierzulande selten anzutreffen ist, beweist, im Guten (für sich selbst) wie im Schlechten (für den Markt), Bildstörung. Eines der wenigen Label, deren Veröffentlichungen abonniert gehören.

(Sven Jachmann)

(Anmerkung der Redaktion: Die vorliegende Rezension bezieht sich auf die 2009 erschienene DVD-Fassung des Filmes, der nun im Jahr 2015 erstmals auf Blu-ray vorliegt. An der Qualität des Films ändert das nichts — zumindest nicht im Schlechten. Das Bild der HD-Abtastung ist kristallklar und erstrahlt wie am ersten Tag der Aufführung.)

Die Bestie (Limited Edition Blu-ray)

In der Blütezeit des europäischen Sexfilms, in der auch Arthouse und Problemfilm noch nicht zwingend zu identischen Kategorien des schlechten Gewissens verschmolzen waren, schuf Borowczyk Ejakulat und Haare. Ein schlüpfrig-freudianisch aufgeladenes Erwachsenenmärchen voll schwarzen Humors, dessen Symbolsprache sich an Freuds „Der Wolfsmann“ und „Die Schöne und das Biest“ orientiert – und von der Kritik teils recht ratlos, viel schlimmer: von der Zensur völlig ignorant behandelt wurde.
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