Das grüne Gold (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Auf Schnäppchenjagd in Äthiopien

Die neue Landlust ist da! Nicht als gedrucktes Hochglanzmagazin, um die Seele saturierter Mitteleuropäer baumeln lassen zu können, sondern ganz real und brutal hart auf zig Hektar großen Waldflächen in Äthiopien. Angetrieben durch milliardenschwere global investments seitens der Weltbank, der Vereinten Nationen oder der EU haben sich in den vergangenen Jahren unzählige Glücksritter mit dicken Brieftaschen in eines der ärmsten Länder der Welt aufgemacht, um vor allem eines zu finden: „Grünes Gold“ – so zynisch werden jene gigantischen Landstriche beispielsweise im Westen des Landes genannt. Es herrsche vor Ort eine regelechte „Goldgräberstimmung“ – und das sieht man auch unweigerlich in Joakim Demmers Dokumentarfilmhit Das grüne Gold (u.a. DOK.fest München, Docville, Doc Fest Sheffield), der inzwischen völlig zurecht auf der Shortlist für den besten europäischen Dokumentarfilm steht.

„Die Deutschen wollen investieren! Die Amerikaner wollen investieren! Alle wollen investieren! Was wird aus unserem Land?“, singen drei äthiopische Männer allein auf weiter Flur: Eine gleichsam einprägsame wie verstörende Einstellung ist das zu Beginn von Das grüne Gold. Sie bleibt im Gedächtnis und gibt die Marschrichtung für das unglaublich inhumane Geschäftsgebaren milliardenschwerer Konsortien wie beispielsweise „Saudi Star“ vor, einer so genannten „agricultural development“-Gesellschaft. Was im ersten Moment noch nach gutem Willen klingen mag, bringt doch langfristig nur reichlich Verderben in die entsprechenden Regionen; womöglich unwiederbringlich, weil von transnationalen Institutionen abgenickt oder vielfach sogar entscheidend mitfinanziert.

Um aus Sicht der „dealmaker“ leichter an diese Landflächen kommen zu können, veranlasst die diktatorische Führung des arg kriselnden Staates immer wieder Zwangsumsiedlungen und Rodungen im großen Stil, die im Regierungssprech verharmlosend „Verdorfungen“ genannt werden und in erster Linie den ausländischen Investoren aus dem arabischen, europäischen und US-amerikanischen Raum dienen: Ohne jegliche Rücksicht auf den jahrzehntelangen Familienbesitz zahlloser Klein- und Kleinstbauern, denen im selben Zuge ihre Existenzgrundlage entzogen wird. „Luft lässt sich nicht beackern“, murrt einmal einer der O-Ton-gebenden Ex-Bauern vor Ute Freunds gewohnt souveräner Kamera.

Quasi als Dank – der nächste unsägliche Zynismus in Joakim Demmers aufrüttelndem Dokumentarfilm – bekommen manche von ihnen mehr unfreiwillig als gewollt einen Flüchtlingsstatus, um zum Beispiel in den benachbarten Südsudan aufzubrechen. Und in einem dieser Auffangcamps wird ihnen dann beispielsweise wieder Reis aus den Welternährungs- oder Entwicklungshilfeprogrammen ebenjener Investoren „serviert“, die sie mithilfe der Regierung zuvor enteignet hatten: For free, versteht sich, weil damit ja aus EU-Sicht angeblich soviel Gutes für diese weithin benachteiligten Regionen Afrikas getan wird.

Es stellen sich einem bei der Betrachtung von Demmers zwar überwiegend konventionell inszeniertem Ökologie-tifft-Wirtschaft-trifft-Globalisierungs-Thriller zwangsläufig die Nackenhaare auf. Denn dieses in sieben Jahren entstandene Langzeitdokumentarfilmprojekt trifft ins Mark unserer reichen westlichen Hemisphäre, die zusehends von reinen Marktinteressen bestimmt wird. Mit dem Argument der Weltbank, für die Weltgemeinschaft flächendeckend noch mehr Lebensmittelanbauflächen schaffen zu wollen, werden vor Ort tausende Ureinwohner entrechtet, gedemütigt, vertrieben und zum Teil sogar gefoltert oder ohne Rechtsgrundlage ins Gefängnis gesperrt wie Omot Agwa Okwoy, einem der unvergesslichen Protagonisten des Films. Als einer der Mitarbeiter des „Gambela-Nationalparks“ hatte er sich zuvor wortstark gegen die Verpachtung desselben an ausländische Investoren gewandt. Mit fatalen Folgen: Nach seiner Entlassung bekam er zusätzlich einen verbalen Maulkorb verpasst. Im Jahr 2015 landete er nach seiner Verhaftung im Knast. Dort sitzt er bis heute – ohne eine echte Chance auf Rehabilitation.

Ganz ähnlich erging es dem einheimischen Umweltjournalisten Argaw Ashine, der aufgedeckt hatte, dass die äthiopische Regierung diverse internationale Entwicklungsprogramme als Vorwand für Zwangsumsiedlungen missbrauchte. Von freier Meinungsäußerung, einem unabhängig arbeitenden Medienapparat oder einer realen Opposition kann in dem Land aktuell keineswegs mehr die Rede sein: Auch davon erzählt Das grüne Gold im Subtext sehr glaubwürdig, gut recherchiert und unweigerlich nachdenklich stimmend.

Der gebürtige Schwede Demmer (Tod in Gibraltar), der in den 1990ern an der Berliner DFFB studierte und in der deutschen Hauptstadt bis heute ein Büro unterhält, legt mit diesem vehement ehrlichen Dokumentarfilm unweigerlich den Finger in die Wunde unseres westeuropäischen Wohlstandbauchs. Denn wer zahlt am Ende die Rechnung für all diesen neoliberalen Wirtschaftsinteressen- und EU-geförderten Bürokraten-Wahnsinn? Sicherlich nicht der x-beliebige Deutsche, der sich gerade am neuesten Discounter-Prospekt ergötzt: Ach, der Reis ist ja billig geworden – und die günstigen Schulhefte erst! Da muss ich unbedingt zuschlagen.
 

Das grüne Gold (2017)

Weltweit gibt es einen massiven kommerziellen Ansturm auf Ackerland – das neue grüne Gold. Die Auswirkungen spüren Hunderttausende von Menschen in den Entwicklungsländern. In Äthiopien, das von Hungersnot betroffenen ist, verpachtet die Regierung Millionen Hektar Land an ausländische Investoren, in der Hoffnung auf Exporteinnahmen. Aber der Traum vom Wohlstand hat noch eine Schattenseite – die größte Zwangsvertreibung in der heutigen Zeit, eine bösartige Spirale der Gewalt. Dunkle Tage für die Meinungsfreiheit. Diese Katastrophe wird mit Milliarden von Entwicklungsgeldern von Institutionen wie der Weltbank mit verursacht.

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