Camp Armadillo

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Dänische Jungs im Herzen der Finsternis

Junge dänische Soldaten ziehen los zu einem sechsmonatigen Einsatz in Afghanistan. Mads, genannt „Mini“ und ein paar Kumpels aus seiner Truppe verabschieden sich von ihren Familien und Freunden. Die Abschiedsszene am Flughafen ist großes Kino: Kameraführung, Montage und Filmmusik schaffen einen intensiven Moment, der emotional berührt und den Zuschauer mit einer Kunstfertigkeit in die Geschichte hineinzieht, die man sich bei so manchem Spielfilm wünschen würde. Doch Armadillo ist ein Dokumentarfilm, ausgezeichnet mit dem Großen Preis der „Semaine de la Critique“ 2010 in Cannes und nominiert für den Europäischen Filmpreis in der Kategorie „Dokumentarfilm“. Der dänische Filmemacher Janus Metz Pedersen hatte die Gelegenheit, zusammen mit dem Kameramann Lars Skree den Einsatz eines dänischen ISAF-Zugs in der Provinz Helmand im Süden Afghanistans zu begleiten. Insgesamt dreieinhalb Monate drehten sie in vier Etappen vor Ort.
Der direkte Vergleich zu dem US-amerikanischen Dokumentarfilm Restrepo drängt sich auf, der beim Filmfestival in Sundance als Bester Dokumentarfilm 2010 ausgezeichnet wurde. Hier haben der Journalist Sebastian Junger und der Fotograf Tim Hetherington ein ganzes Jahr mit 15 Soldaten im Außenposten „Restrepo“ im heftig umkämpften Korengal Tal verbracht. Sie dokumentieren mit rohen Videobildern hautnah den nervenaufreibenden Alltag der Soldaten zwischen stupidem Abwarten und heftigen Gefechten, die schließlich auch einen Toten in ihren Reihen fordern. Ein wesentlicher Bestandteil von Restrepo sind Interviews, in denen einzelne Soldaten nach ihrer Rückkehr in den Alltag (oder zumindest dem Versuch davon) das Erlebte reflektieren. Aus dieser Rückschau ergibt sich ein Gesamtbild der Ereignisse, die einige der regelrecht traumatisierten Soldaten noch nicht wirklich hinter sich lassen konnten.

„Fuck, das war toll, das werden wir so schnell nicht vergessen!“, ruft einer der jungen Dänen in Armadillo, nachdem sie am Ende eines heftigen Feuergefechts vier Talibankämpfer erschossen haben. Er strahlt über das ganze Gesicht, das Adrenalin pulsiert noch sichtlich in seinem Körper. Wie er später Zuhause im Alltag darüber denken wird, dass er gerade Menschen getötet hat, das erfährt der Zuschauer nicht. Auch dass das Ereignis (wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen) noch ein Nachspiel haben könnte, deutet sich im Verlauf des Films nur an. Armadillo setzt ganz auf die Unmittelbarkeit der Geschehnisse und ihre direkt sichtbaren Auswirkung auf die jungen Männer vor Ort.

Einige von ihnen führt der Film schon vor ihrem Aufbruch nach Afghanistan ein. Der Protagonist Mads ist beim Essen im Kreis seiner Familie zu sehen, wo seine Mutter es kaum ertragen kann, dass ihr Sohn den bevorstehenden Einsatz als „Abenteuer“ bezeichnet. Eigentlich hatten seine Familie und auch er selbst bis zuletzt gedacht, er würde bei den Friedenstruppen im Kosovo eingesetzt werden. Aus politischer Überzeugung ist eigentlich keiner dabei, sie sind eher auf der Suche nach Erfahrung und eben Abenteuer. In einem einwöchigen Trainingscamp haben sie sich schon zusammengerauft, ihren Abschied von Dänemark feiern sie mit einer wilden Party mit einer Stripperin und viel Alkohol. Durch den bei beiden Szenen unterlegten heftigen Metal-Soundtrack wird schon hier suggeriert: Der Grat zwischen zivilem und barbarischem Verhalten ist schmal, und aufgeputscht überschreitet man ihn leichter. Armadillo will von den ersten Filmminuten an emotionalisieren. In brillanten HD-Bildern nimmt der effektvoll auf Spielfilmdramaturgie getrimmte Dokumentarfilm den Zuschauer mit auf die Reise nach Afghanistan. Für Momente wähnt man sich ob der fulminanten Bilder und des Soundtracks beinahe in einer modernen Fassung von Francis Ford Coppolas Apocalypse Now.

Eine Reise ins Herz der Finsternis ist Armadillo letztendlich auch, und bei aller fiktionaler Überhöhung ist der Film ein erschütternder Einblick in die Abgründe der Kriegsrealität: Die Lage ist unübersichtlich. Nicht nur am Nachtsichtgerät fällt es den Soldaten schwer zu erkennen, was sich um sie herum wirklich abspielt. Auch bei Tag ist das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen einem afghanischen Zivilisten, den sie schützen sollen und einem militanten Taliban, den sie bekämpfen sollen, meist nur eine versteckte Waffe. Die freie Zeit vertreiben sie sich mit Pornos und Ego-Shootern. Unvermittelt ins reale Kampfgeschehen verwickelt, entfährt einem Soldaten, dass das ja „völlig surreal“ sei.

Die Szenen von Kampfeinsätzen sind mit zwei Kameras gedreht, zusätzlich haben die Filmemacher einigen Soldaten kleine Kameras am Helm installiert. Als Zuschauer erlebt man so das blutige Kampfgeschehen hautnah mit, die selbst ausgeübte Brutalität, die sich wiederum auf die Soldaten auswirkt. Manche werden zynisch, um sich emotional zu retten. Andere verwandeln sich allmählich von sympathischen Kerlen zu fragwürdigen Gestalten. Einer gefällt sich zunehmend in seiner Rolle als aktiver Held der Taliban-Tötung, und wenn er mit blonder Stoppelfrisur und martialischem Oberkörper-Tattooo seine „Heldentat“ für die Kameraden noch einmal nachspielt, wirkt er wie Dolph Lundgren in einer seiner Rollen. Mads dagegen wird immer in sich gekehrter. Doch die Mischung aus Angst, Adrenalin, Action und Kameradschaft zeigt schließlich auch bei ihm ihre Wirkung – er will, wie fast alle seiner Kameraden, nach diesem Einsatz wieder nach Afghanistan zurückkehren.

Janus Metz Pedersen will mit Armadillo nichts erklären und auch nicht werten. Der Film funktioniert in seiner beeindruckenden filmischen Perfektion eher als Projektionsfläche. Je nach persönlichem Blickwinkel kann man ihn leicht als beides lesen: als eindrücklichen Anti-Kriegsfilm und Kriegsfilm zugleich…

Camp Armadillo

Junge dänische Soldaten ziehen los zu einem sechsmonatigen Einsatz in Afghanistan. Mads, genannt „Mini“ und ein paar Kumpels aus seiner Truppe verabschieden sich von ihren Familien und Freunden. Die Abschiedsszene am Flughafen ist großes Kino:
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