Restrepo

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Afghanistan-Krieg oder: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Man glaubt sich beinahe auf einem Klassenausflug, auf einer feucht-fröhlichen Fahrt nach Fort Lauderdale oder Daytona Beach zum Spring Break oder nach Las Vegas zu einer flotten Junggesellenabschiedssause à la Hangover. Wir sehen die lachenden Gesichter junger Männer, die sich selbst mittels ihrer Handy-Kameras verewigen. Bis man merkt, dass die Reise, auf der sich die Männer befinden, kein Spaß ist, sondern blutiger Ernst. Denn die jungen Kerle, die hier leicht angeheitert Blödsinn in die Kamera brabbeln, ziehen in den Krieg: Sie gehören dem 2nd Platoon der Battle Company, 173rd Airborne Brigade und stehen kurz vor ihrem 15-monatigen Einsatz im Korengal-Tal in Afghanistan – einem der gefährlichsten Einsatzorte in diesem Krieg und laut CNN gar einer der gefährlichsten Orte auf der Welt. Die Soldaten nennen es schlicht „das Tal des Todes“. Und schnell wird sich zeigen, dass diese Bezeichnung ihre Berechtigung hat.
Einer der Männer, den diese Anfangsszenen zeigen, heißt Juan „Doc“ Restrepo. Und dieser Kerl von gerade mal 20 Jahren ist der erste Soldat des Trupps, um den es hier geht, der bei den Kämpfen im Korengal-Tal fällt. Restrepo gerät in einen Hinterhalt, wird zweimal am Hals getroffen und verblutet auf dem Weg ins Feldlazarett. Ihm zu Ehren erhält ein umkämpfter Gefechtsvorposten hoch über dem Tal seinen Namen. In den kommenden 15 Monaten begleitet die Kamera die Kameraden des Gefallenen bei ihrem alltäglichen Kampf gegen einen unsichtbaren Feind, bei ihren Ritualen gegen die Angst, bei ihrer kindlichen Freude darüber, wenn es einen der Feind trifft, bei ihren hilflosen Versuchen, mit den afghanischen Repräsentanten der Gegend in einen respektvollen Dialog zu treten.

All dies zeigt der Film mit großer Unmittelbarkeit: Schnell geschnitten sind die Filmemacher und mit ihnen der Zuschauer mittendrin im Kampfgeschehen. Man spürt schnell nahezu körperlich die ständig lauernde Gefahr, die sich gleich zu Beginn in aller Härte zeigt. Direkt unter dem gepanzerten Wagen, in denen die beiden Regisseure sitzen, detoniert ein selbstgebauter Sprengsatz, der zum Glück nur den Motorraum beschädigt.

In Restrepo geht es nicht um Argumente für oder wider den Einsatz in Afghanistan, es geht nicht um strategische und geopolitische Zielsetzungen. Dies ist eine Perspektive, die der Film kategorisch und bewusst verweigert. Wir sehen keinen General, keinen Politiker, keinen Verantwortlichen für den Militäreinsatz, sondern nur die Soldaten, die hier stationiert sind und ihr Leben lassen im Kampf gegen einen unsichtbaren Feind. In Zeiten, in denen das Wort Afghanistan in den Nachrichten uns immer mehr abzustumpfen droht, versuchen die beiden Regisseure zu zeigen, was der Krieg für die Soldaten bedeutet, wie er sich anfühlt, wie er aussieht, wie zermürbend und letzten Endes auch sinnlos er ist.

Genau dieser Ansatz, der auch auf jeden Off-Kommentar verzichtet und niemals den Krieg an sich, sondern allerhöchstens die Anwesenheit im Korengal-Tal in Frage stellt, hat dem Film neben viel Lob – vor allem in den USA – auch einiges an Kritik eingebracht. Restrepo zeige „Militärkitsch“, war da an einer Stelle zu lesen, der Film sei durch seine Herauslösung des Gezeigten aus dem größeren politischen Kontext geradezu verharmlosend. Mit Sicherheit kann man Vorwürfe wie diese nicht ganz von der Hand weisen. Jungers und Hetheringtons Haltung ist einseitig und bisweilen merkwürdig indifferent, sie fragen so gut wie nie nach, geben keinen Kommentar ab, sondern sind stets nur dabei an vorderster Front. Andererseits stellt sich schon die Frage, wie konkret eine neutralere Sicht auf die Soldaten, auf den Konflikt möglich sein soll und ob sich der Zuschauer hier nicht doch manches selbst erschließen kann, ohne die komplexe Wahrheit wie auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.

Die nächste Frage, die man sich angesichts von Restrepo stellen muss, ist die ob und wie ein Film wie Restrepo oder auch der dänische Dokumentarfilm Camp Armadillo einen Krieg wie jenen in Afghanistan, der noch in vollem Gange ist, überhaupt erfassen kann. Ob deren Eindimensionalität auf die westlichen Soldaten und ihr Entstehen im Rahmen eines „embedded journalism“ überhaupt eine vertretbare Sicht auf die Dinge reflektiert. Oder ketzerisch gefragt: Was bringen Filme wie diese überhaupt an Erkenntnisgewinn für das Publikum? Dass der Krieg, jeder Krieg, sinnlos und absurd ist und die Menschen verroht, ist eine Binsenweisheit, die als Aussage kaum über 90 Minuten trägt. Und die sinnliche Erfahrbarkeit der allgegenwärtigen Todesgefahr lässt zumindest den Verdacht wachsen, hier handele es sich in gewisser Weise um sensationslüsternes Event-Kino, versehen mit dem ultimativen Siegel des Echten, Authentischen und Realen. Wie man es auch dreht und wendet: Es ist schwierig und beinahe unmöglich, zu einem abschließenden Urteil über diesen überaus ambivalenten Film zu gelangen.

Sicherlich kann und muss man Restrepo hinterfragen, kann und muss man auf seine natürlichen Mängel hinweisen. Gleichzeitig muss man aber auch feststellen, dass dieser Krieg wahrscheinlich nie in seiner Gänze und Monströsität darstellbar ist, dass aufgrund der Kampfhandlungen ein anderer Zugang kaum machbar erscheint. Insofern ist Restrepo sicherlich nicht optimal. Aber er stellt einen ersten dokumentarischen Ansatz dar, sich dem Krieg auf sehr unmittelbare Weise anzunähern. Und selbst das ist schon entsetzlich und erschreckend genug.

Der Diskurs, der Restrepo spätestens seit der Nominierung für einen Academy Award begleitet, dreht sich vor allem um den Vorwurf der mangelnden Distanz. Einer der maßgeblich Beteiligten, der mehrfach ausgezeichnete Fotograf und Kriegsberichterstatter Tim Hetherrington, der diesen Film gemeinsam mit dem Journalisten Sebastian Junger mit enormen Risiken realisiert hat, wird an der Diskussion über diesen Film und dessen sehr spezielle Herangehensweise nicht mehr teilnehmen können: Er starb am 21. April 2011 in der libyschen Stadt Misrata durch eine Granate, die von Gaddafi-treuen Truppen abgefeuert worden war.

Restrepo

Man glaubt sich beinahe auf einem Klassenausflug, auf einer feucht-fröhlichen Fahrt nach Fort Lauderdale oder Daytona Beach zum Spring Break oder nach Las Vegas zu einer flotten Junggesellenabschiedssause à la „Hangover“. Wir sehen die lachenden Gesichter junger Männer, die sich selbst mittels ihrer Handy-Kameras verewigen.
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