Berlin Falling

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Fall aus großer Höhe

Ken Duken hat etwas gewagt. Während hierzulande gerade bei Genrefilmen immer wieder die Mutlosigkeit der Filmemacher und/oder Filmförderung beklagt wird, hat Ken Duken mit Berlin Falling einen harten Thriller gedreht, den man in dieser Konsequenz sehr selten zu sehen bekommt: Frank (Ken Duken) hat seinen Leben definitiv nicht mehr im Griff. Seine Wohnung verwahrlost, er säuft bis zum Umfallen. Aber nun soll seine Tochter für ein paar Tage bei ihm bleiben, also räumt er die Wohnung auf und setzt sich in sein Auto, um vom platten Land zum Hauptbahnhof nach Berlin zu fahren und sie dort abzuholen. Aber nüchtern packt er das aller guten Vorsätze zum Trotz nicht. Also hält er an einer Tankstelle und kauft Apfelsaft und Wodka. Dort wird er von einem Mann angesprochen, der eine Mitfahrgelegenheit sucht. Andreas (Tom Wlaschiha) lässt sich von Franks Schroffheit und klaren Regeln nicht abschrecken, steigt in den Wagen – und entpuppt sich zunächst als Nervensäge. Aber nicht nur das: Frank entdeckt in Andreas’ Gepäck eine Bombe. Und da sich Berlin Falling zu diesem Zeitpunkt noch im ersten Drittel befindet, beginnt hier ein alptraumhafter Trip.
Dieses erste Drittel ist spannend inszeniert. Früh ahnt man, dass mit Andreas etwas nicht stimmt, innerhalb dieses engen Raumes eines Autos entspinnt sich ein Machtspiel zwischen den Männern, bei dem es zu einigen Wendungen und Zwischenfällen kommt. Die Beklemmnis des Wagens wird in der spannungsreichen Kameraarbeit von The Chau Ngo sehr gut angefangen. Sobald Frank das Auto verlässt, geschieht etwas – und hier erweisen sich sogar die Weite eines Waldstücks oder auch die Straßen von Berlin als ausweglos.

Hinzu kommt, dass mit der Bombe ein zeitlicher Druck aufgebaut wird: Andreas droht, sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu zünden, vorher muss Frank aber noch gewisse Dinge erledigen. Dabei stellen sich anfangs spannungstreibende Fragen: Was will Andreas wirklich? Und ist Frank eigentlich zu trauen? Immerhin ist er ein Säufer mit psychischen Problemen und vermutlich einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aber je näher das Duo Berlin kommt, desto mehr Erklärungen gibt es — und hier will Ken Duken in seinem Regiedebüt dann doch zu viel: Es stellt sich heraus, dass Frank nicht zufällig ausgewählt wurde, sondern als Soldat der Bundeswehr in Afghanistan gekämpft hat. Dort musste er mit ansehen, wie Kinder sterben, seither ist er traumatisiert und mit diesem Auslandseinsatz begann sein Abstieg. Nun soll er selbst zum Attentäter werden. Andreas ist überzeugt, dass Menschen wie Schafe sind und einen Hirten brauchen – und er sieht sich selbst in dieser Rolle. Deshalb plant er nun einen Anschlag in Berlin, den Frank ausführen soll. Natürlich wird auch Franks Familie bedroht, natürlich ist Andreas ein Terrorist mit einem Netzwerk im Hintergrund. Aber mit diesen Erklärungen schleichen sich auch Widersprüche ein: Woher wusste Andreas beispielsweise, wann und wo Frank halten wird. Und was ist letztlich seine Motivation?

Darüber hinaus sind diese Handlungselemente nicht originell, vielmehr wirken sie wie Versatzstücke aus anderen Filmen und Serien. Die Schaf-Analogie ist schon zentral in American Sniper, die Vater-rettet-Familie-Nummer hinreichend bekannt aus der Taken-Reihe und über den Prozess der Radikalisierung hat Hatufim — In der Hand des Feindes schon einiges erzählt. Dadurch wird die Handlung überdies vorhersehbar – inklusive des Endes. Glücklicherweise tragen aber immerhin die beiden Hauptdarsteller dazu bei, dass man ein wenig Interesse aufrechterhält. In Erinnerung von Berlin Falling bleibt aber letztlich vor allem der Mut, in Deutschland diesen Genrefilm anzusiedeln und zu realisieren. Und mit einem besseren Drehbuch könnte da das nächste Mal ein richtig guter Film herauskommen.

Berlin Falling

Ken Duken hat etwas gewagt. Während hierzulande gerade bei Genrefilmen immer wieder die Mutlosigkeit der Filmemacher und/oder Filmförderung beklagt wird, hat Ken Duken mit „Berlin Falling“ einen harten Thriller gedreht, den man in dieser Konsequenz sehr selten zu sehen bekommt: Frank (Ken Duken) hat seinen Leben definitiv nicht mehr im Griff. Seine Wohnung verwahrlost, er säuft bis zum Umfallen.
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Meinungen

Simon Steinkrüger · 23.10.2017

Guten Tag Frau Hartl,
Andreas wusste wo Frank halten würde - denn er er hat den Tank von Franks Auto geleert. Nachdem Frank sein Wohnung aufgeräumt hat, schmeißt er den Müll in einen Container - und dort liegt der Schlauch, mit dem Andreas den Tank geleert hat. Als Frank an seinem Auto vorbeigeht, schließt er noch den halboffenen Tankdeckel, ein weiteres Indiz für die Manipulation ist das überraschte Erstaunen in Franks Gesicht, als er merkt, dass der Tank leer ist.

Kinoliebhaber · 14.07.2017

Hallo Frau Hartl,

eigentlich mag ich solche Psychogramme. Was ich gar nicht mag sind allerdings unlogische oder gar politisch korrekte Filme. Bombenanschlag in Berlin durch einen Deutschen Terroristen klingt schon wieder nach superpolitisch korrekt. Ist dem so? Wäre nett, wenn Sie mir einen Satz dazu schreiben könnten und mir womöglich einen sinnlosen Kinogang ersparen...oder natürlich andersrum :-)...gerne auch an die genannte mail. DANKESCHÖN!

Sonja Hartl · 13.07.2017

Sehr geehrter Herr Kneissl,

selbstverständlich habe ich den Film zu Ende gesehen - wie ich alle Filme, die ich bespreche, von Anfang bis Ende schaue.

Zunächst zum Ende: Ich will es hier nicht verraten, aber spätestens mit Ankunft in dem Keller in Berlin und der vollständigen Enthüllung des Plans war mir klar, worauf es hinauslaufen muss. Daher die Vorhersehbarkeit. Zum Anfang: Falls Sie die spannungstreibenden Fragen meinen, die ich im Text formuliert habe - sie drücken die (durchweg positive) Ambivalenz aus, die ich anfangs empfunden habe. Denn hier wird vieles schön offen gelassen.

Viele Grüße

Norbert Kneissl · 12.07.2017

Sehr geehrte Frau Hartl,
ganz ehrlich, haben sie den Film bis zum Ende gesehen?
Die Fragen zum Anfang erschließen sich uns nicht und auch nicht die Vorhersehbarkeit am Ende.... Wir laden sie gerne morgen Abend hier in Berlin in die Vorstellung im Cubix zur Diskussion ein.
Herzliche Grüße