Log Line

In Valentin Thurns neuem Dokumentarfilm geht es um fünf Träume – von kleinen Wohn(t)räumen bis zu großen Reiseplänen. Und nicht einmal der Himmel ist das Limit.

Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wie im Schlaf

Der Dokumentarfilmer Valentin Thurn hat bereits mehr als 20 Werke für Film und Fernsehen realisiert, am bekanntesten sind aber seine Filme über Lebensmittel („Taste the Waste“, „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“). In seinem neuesten Dokumentarfilm hat er sich Träumer:innen und deren Träumen gewidmet. Die Bandbreite reicht von der Erde bis zum Mars.

Gut drei Jahre war Thurn mit seinen Protagonist:innen unterwegs. Sein Film entführt uns in eine Zeit, in der die Träume noch nicht jäh von der Coronapandemie unterbrochen wurden. Musikfestivals waren ebenso noch möglich wie das uneingeschränkte Reisen, etwa nach Indien, wo der Designer Joy Lohmann seine Vision von einer schwimmenden Insel aus Müll im dichten Gewusel der engen Straßen vorstellt. Aus heutiger Sicht wirken diese Bilder beinahe wie aus der Zeit gefallen. Thurns Dokumentarfilm versammelt nicht nur Menschen, denen der Sinn nach Veränderung steht, die präpandemischen Ansichten wecken auch beim Publikum die Sehnsucht nach Veränderung. Ob es ein Zurück zum Davor oder eine Veränderung hin zu etwas Neuem werden soll, müssen wir freilich selbst entscheiden.

Thurns Film bietet ein breites Spektrum an Träumen, von denen sich manche scheinbar mühelos in den Alltag übertragen ließen, andere aber wohl für immer Hirngespinste bleiben dürften. Neben Lohmann, der sich selbstironisch als „Universal-Dilettant“ bezeichnet und in seinem Freundeskreis des Öfteren als „größenwahnsinnig“ eingestuft wird, rückt der Filmemacher vier weitere Menschen mit kleinen und überlebensgroßen Träumen in den Fokus. Die mal alternativen und nonkonformistischen, mal ökologischen Ideen dahinter sind das Bindeglied. Und wie immer bei Thurn sieht das hervorragend aus. Sein Kameramann Gerardo Milsztein setzt die Protagonist:innen und ihre Umwelt wie in einem Spielfilm in Szene.

Line Fuks träumt vom freien, zwanglosen Lernen jenseits der Schulpflicht. Dafür ist sie mit ihrer Frau Katja und den sieben Kindern nach Portugal gezogen. Auf einem weitläufigen Grundstück rund um einen eigenhändig renovierten Bauernhof bringen sich die Kinder alles Lebensnotwendige größtenteils in Eigenregie bei. Der ehemalige Manager Carl-Heinrich von Gablenz, der mit seiner Idee des Cargolifters bereits vor Jahren krachend gescheitert ist, hält auch weiterhin an der Vision fest, große Lasten umweltfreundlich zu transportieren. Diesmal ist alles nur einige Nummern kleiner als beim ersten Versuch. Günther Golob will noch höher hinaus. Seine Kulturagentur in Graz hat er an den Nagel gehängt, um an der ersten Mars-Mission teilzunehmen, die 2026 ins All starten soll. Eine Mammutunternehmung ohne Rückflug-Ticket. Bei Van Bo Le Mentzel geht es hingegen winzig zu. Der Architekt entwirft Tiny Houses, die die Wohnungsnot lösen sollen. Er fordert (mietfreien) Wohnraum für alle.

Valentin Thurn sieht seinen Protagonist:innen kommentarlos beim Träumen zu und schaltet alsbald in den Schlafwagen-Modus. Wie realistisch und wie utopisch die Träume sind, müssen wir beim Zusehen schon selbst entscheiden. In kurzen Zwischensequenzen wird bedeutungsschwanger zu vergänglichen Sandkunstwerken über die Welt und den Menschen philosophiert. Mit derselben schlafwandlerischen Sicherheit, mit der Thurn seinen Film inszeniert, scheint er den darin vorgestellten Utopien auch zu erliegen. Das Schöne an Träumen ist zwar, dass sie sich auch lohnen, ohne je in die Tat umgesetzt zu werden, weil das Träumen an sich eine wunderbare Erfahrung ist. Am Ende wirkt all das aber etwas zu verträumt.

Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung (2021)

Es sind persönliche Revolutionen, mal größer, mal kleiner, die Joy, Van Bo, Line, Carl-Heinrich und Günther anzetteln. Denn sie haben sich in den Kopf gesetzt, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben und gängige Denkmuster zu durchbrechen. Während die eine davon träumt, dass ihre Kinder ohne Schule aufwachsen, möchte der andere zu den ersten gehören, die den Planeten Mars besiedeln. Sie sind Fantasten, Idealisten, Pioniere – und allen ist eines gemeinsam: Sie haben für sich entschieden, dass Selbstfindung nur dann funktioniert, wenn man Ziele nicht länger vor sich herschiebt und endlich den Mut aufbringt, seinen Traum zu leben. Die eigene Wirklichkeit ändern zu wollen, ist das eine. Und wahrscheinlich leichter gesagt, als getan. Doch loszulassen, zu sich selbst zu finden und seine Vision zu verfolgen, ist, wie sich schon bald zeigt, ein Weg, der nie zu Ende ist…

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